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"Diese Debatte hat langsam einen Bart"

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Andrea Nahles unterstützt den Kurs von Parteichef Kurt Beck im Umgang mit der Linkspartei. Durch die Stellungnahme Becks sei die Debatte in der SPD zwar nicht beendet, aber in geordnete Bahnen gelenkt worden. Sie habe daher keinen Grund, an der Führungsfähigkeit des Parteivorsitzenden zu zweifeln, betonte Nahles.

Moderation: Sandra Schulz |
    Schulz: "War was?" könnte man fragen, wenn man den Auftritt des SPD-Parteichefs Kurt Beck vor der Bundespressekonferenz gestern verfolgt hat. Nach zweiwöchiger Abwesenheit (erzwungen durch Krankheit - nach erheblichen Turbolenzen in seiner Partei um die Haltung zur Linkspartei) hat sich Beck gestern zurückgemeldet. Zukunftsfähig nannte er die Partei, der er vorsitzt, für die kommenden Herausforderungen bestens gerüstet - so als hätte es das Debakel der hessischen SPD nie gegeben und den scharfen Gegenwind aus eigenen Reihen auch nicht. Kein Wort der Kritik gegenüber Andrea Ypsilanti, möglicherweise weil sich Beck selbst in der Bredouille sieht.
    Am Telefon bin ich nun verbunden mit der stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles. Guten Morgen!

    Nahles: Guten Morgen Frau Schulz.

    Schulz: Frau Nahles, gibt es in Ihrer Partei sonst noch wen, der für zwei Wochen ins Bett gehört?

    Nahles: Ach ja, den einen oder anderen, wenn ich mir die schniefenden Nasen gestern angeguckt habe.

    Schulz: Also rein gesundheitlicher Natur dieser Befund. Das heißt in der SPD ist alles so weit in Ordnung?

    Nahles: Ich glaube, dass die Debatte nicht zu Ende ist, aber dass sie doch wieder in geordnete Bahnen kommt. Der Kapitän ist wieder an Bord und jetzt ist es auch ein bisschen gut mit dem wilden Gerede, sondern ich denke wir sollten jetzt zur Tagesordnung nicht übergehen, aber doch ein Stück weit Beruhigung wäre gut.

    Schulz: Wie soll das passieren mit den geordneten Bahnen? Die inhaltlichen Differenzen bestehen ja nach wie vor.

    Nahles: Es gibt in den Sachthemen, die sehr schwierig sind, wie zum Beispiel der Bahn, ja Verfahrensvorschläge. Wir werden da miteinander jetzt die vorhandenen Konzepte prüfen. Es gibt auch eine klare Ansage, dass die Diskussion fortgeführt werden soll auch zum Thema Linkspartei, aber eben mit einem Punkt, wo man es auch entscheiden muss, noch mal bündeln muss - und zwar am 31. Mai. Das heißt es ist jetzt gar kein Abbruch der Diskussion, aber es ist doch auch eine Perspektive, dass man vor der Sommerpause dann auch diese Debatte wirklich beenden kann.

    Schulz: Finanzminister Steinbrück, der ja wie Sie Stellvertreter Becks ist, wird mit den Worten zitiert, er fühle sich beim Gedanken an seine Partei an eine Psychiatrie erinnert. Woher kommt diese Einschätzung?

    Nahles: Das ist aber nicht freundlich. Das kann ich auch nicht bestätigen und ich denke, dass man solche Kommentare ein Stück weit jetzt auch der Debatte der letzten zwei Wochen schulden muss, weil das doch auch sehr anstrengend war - ich glaube auch für die, die uns da draußen in der Welt zugehört haben. Aber die SPD ist glaube ich eine stolze Partei mit einer langen Tradition auch der internen Diskussionen und jetzt sollten alle mithelfen, wieder ein Stück weit nach vorne zu gucken. Wir haben hier genügend Aufgaben auch in der Regierung, die erledigt werden müssen.

    Schulz: Blicken wir noch einmal auf den Auftritt Kurt Becks gestern. Er hat ja gesagt, die Vorfälle hätten durch seine Äußerungen einen Galopp bekommen, der nicht beabsichtigt war. Kann sich ein Vorsitzender der SPD solche Fehler leisten?

    Nahles: Zunächst einmal glaube ich diese Debatte - und da stimme ich mit Kurt Beck überein - wäre ohnehin notwendig gewesen aufgrund der veränderten Realitäten in den westdeutschen Landesparlamenten. Wir hatten auch eine Vereinbarung, dass wir darüber reden, aber wie gesagt ein paar Tage später als es dann passierte. Und ja, es ist menschlich, dass man auch tatsächlich sich mal irrt. Es ist von Kurt Beck auch ehrlich dazu ein Bedauern eingeräumt worden. Ich muss dem nichts hinzufügen.

    Schulz: Sie sagen es habe eine Verabredung gegeben, dass sie darüber reden, aber das Gegenteil war ja der Fall. Mit seiner Äußerung gegenüber Journalisten vor der Hamburger Wahl hat Kurt Beck einen Alleingang hingelegt. Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass sich solche Alleingänge nicht wiederholen?

    Nahles: Wir haben nun nicht seit gestern Bekanntschaft mit Kurt Beck - ich selber komme aus Rheinland-Pfalz -, sondern seit vielen, vielen Jahren. Er ist einer der erfolgreichsten Regierungschefs in der Bundesrepublik Deutschland und das ist wirklich für mich ein Ausweis und Beleg neben meiner persönlichen Kenntnis, dass hier kein Grund besteht, an seiner Führungsfähigkeit zu zweifeln. Ich finde diese Debatte hat jetzt auch langsam einen Bart. Wir sind jetzt ein Stück weiter. Es gibt breite Unterstützung für ihn, unter anderem aus den Ländern, die diese grundsätzliche Strategieentscheidung für sehr richtig halten, weil sie auch Handlungsfähigkeit dadurch haben, die sie vorher nicht hatten.

    Schulz: Das heißt Sie schließen auch aus, dass es in den nächsten Monaten einen Personalwechsel an der Spitze Ihrer Partei gibt?

    Nahles: Ja, das schließe ich aus.

    Schulz: Und was gilt für die Kanzlerfrage? Ein Kandidat Kurt Beck, der sagt, hinterher sei man immer klüger. Verlangt man von einem Kanzlerkandidaten nicht größere Weitsicht?

    Nahles: Man verlangt offensichtlich von Politikern Übermenschliches, wenn ich das mal so sagen darf. Ich persönlich sehe überhaupt keinen Grund, jetzt diese doch eher etwas aufgebauschte Personaldebatte der letzten Tage fortzuführen. Wir haben eine klare Vereinbarung, dass wir das Ende diesen Jahres, Anfang nächsten Jahres in der SPD klären. An diesem Zeitplan gibt es nichts zu rütteln. Und Kurt Beck hat das erste Zugriffsrecht.

    Schulz: Der Personaldebatte hat Kurt Beck gestern selbst weiteren Vorschub geleistet, indem er sagte, die SPD werde nicht mit demselben Kopf zweimal gegen dieselbe Wand rennen. Das klingt ein bisschen danach, als würde sie mit einem anderen Kopf gegen dieselbe Wand rennen wollen.

    Nahles: Das bezog er ganz klar auf die hessische Situation. Das war kein Kommentar zur Bundessituation.

    Schulz: Wie glaubwürdig ist Kurt Beck?

    Nahles: Ich glaube das ist eine Frage, die ich für mich mit "sehr groß" beantworte, weil ich ihn erlebt habe, wie er für die Leute arbeitet, wie er in Rheinland-Pfalz Bildungspolitik vorantreibt, wie er die SPD mit einem neuen Grundsatzprogramm ausstattet, wie er tatsächlich dort in der Lage ist, auch ein Bedauern einzuräumen für das, was vielleicht nicht mehr so gut gelaufen ist, was die Kommunikation angeht. Und er hat auch gesagt, dass es strategische Gründe gibt, Realitäten sich verändern. Was will man eigentlich mehr?

    Schulz: Dass sich Realitäten verändern, dass man nicht die Meinung ändert, sondern dass man seine Meinung weiterentwickelt, das ist ja die Formulierung, auf die sich Kurt Beck auch schon gestützt hat, als es um den Meinungsumschwung zur Frage der Ausweitung des Arbeitslosengeldes I ging. Teilen Ihre Einschätzung der Glaubwürdigkeit die Wähler, wenn die aktuellen Umfragen bei weniger als 30 Prozent liegen, die Kurt Beck als Kanzler wählen würden?

    Nahles: Dass wir hier gerade eine ausgesprochen schwierige Diskussion hatten, die auch nötig war, und dass wir auch nicht in der komfortablen Lage waren, weil es eben gerade in Hessen sehr eng geworden ist was die Regierungsbildung angeht, das wissen wir ja. Wir reden ja nicht - und ich tue das auch nicht - auf der Basis, dass jetzt alles paletti ist, wir keinen Bedarf hätten, auch mit den Leuten, die irritiert sind, jetzt zu reden. Aber die grundsätzliche Frage, die man sich stellen muss: Ist der Kurs, den Kurt Beck vorschlägt, richtig und ist das mittelfristig auch zu schaffen, dass wir die Fragen, auch Glaubwürdigkeitsfragen, die an uns gestellt werden, wieder klar beantworten, dass wir dort wieder Vertrauen aufbauen können? Da sage ich auch ja!

    Schulz: Auch wieder klar beantworten heißt, dass es Zeiten gegeben hat, in denen die Antworten in der SPD nicht ganz klar waren?

    Nahles: Ich hatte das Gefühl, dass wir ein bisschen zu viele Solisten in den letzten Tagen hatten.

    Schulz: Wie beurteilen Sie denn den Umgang mit der hessischen Landtagsabgeordneten Dagmar Metzger, die den Begriff "Wortbruch" ja offenkundig ein bisschen anders auffasst als Kurt Beck?

    Nahles: Entschuldigung, aber Sie haben eine sehr starke Fixierung auf Kurt Beck. Es ist erst mal eine Entscheidung getroffen worden, dass in den Ländern entschieden wird.

    Schulz: Ich hatte nach Dagmar Metzger gefragt.

    Nahles: Ja, das ist mir vollkommen klar. Darauf werde ich auch jetzt antworten. Aber wenn diese Entscheidung in den Ländern fällt, dann gibt es auch erst mal eine klare Verantwortung in den Ländern. Ich finde das auch richtig. Dagmar Metzger sollte - und da bin ich entschieden auch der Auffassung des Präsidiums der SPD - ihre Gewissensfreiheit haben. Man muss ganz klar sagen: Es hat auch gestern noch mal eine Klarstellung gegeben. Es hat nie die Aufforderung von niemandem gegeben, die Partei zu verlassen. Ich denke auch, dass hier Druck unangemessen ist, sondern dass man versuchen muss, miteinander zu reden. Ich glaube wenn Frau Metzger sich dann entscheidet, in der Fraktion zu bleiben, ist das völlig in Ordnung und das muss akzeptiert werden.

    Schulz: Sagt die stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles. Haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch.

    Nahles: Auf Wiederhören!