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"Diese Generation fühlt sich von der Gesellschaft verlassen"

In Südeuropa wachse eine "Generation Abgehängt" heran, sagt der Armutsforscher Christoph Butterwegge im Hinblick auf die hohe Jugendarbeitslosigkeit. Die Politik müsse für mehr Verteilungsgerechtigkeit sorgen, um "sozialen Unfrieden" zu verhindern.

Christoph Butterwegge im Gespräch mit Gerd Breker | 11.09.2012
    Gerd Breker: Unsere Kinder sollen es einmal besser haben – ein Antrieb der älteren Generation für die folgende. Doch was ist davon noch leistbar, wenn 50 Prozent der Jugend eines Landes ohne Arbeit und ohne Perspektive darauf dahinvegetieren – so der Fall in Spanien. Das Problem der Jugendarbeitslosigkeit hat sich die MP3-Audio internationale Arbeitsorganisation ILO in Genf angeschaut und kommt dabei zu dramatischen Zahlen, vor allen Dingen was die Jugendarbeitslosigkeit in den südeuropäischen Ländern anbelangt - zugleich mit der Perspektive, dass sich diese Lage so schnell nicht zum besseren wenden wird.

    Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Armutsforscher Christoph Butterwegge von der Universität Köln. Guten Tag, Herr Butterwegge.

    Christoph Butterwegge: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Über 53 Prozent in Spanien, 55 Prozent in Griechenland - dies die Quoten für die Jugendarbeitslosigkeit. Die Zahlen, Herr Butterwegge, sind das eine, aber dahinter stehen Menschen, dahinter stehen Familien, dahinter stehen Schicksale.

    Butterwegge: Ja, das ist natürlich eine "Generation Abgehängt", die da heranwächst, und man kann sich das vorstellen: Diese jungen Menschen, denen auch von Anfang an vermittelt wird, wir brauchen euch eigentlich nicht, oder wir haben für euch jedenfalls keine Lehrstellen, Ausbildungsplätze oder Arbeitsplätze, diese Generation fühlt sich natürlich von der Gesellschaft verlassen und hat kaum Perspektiven. Man kann keine Familie gründen, die Lebensplanung ist nicht möglich, jegliche Planungssicherheit für die Zukunft fehlt, und es ist klar, dass es dann natürlich auch stärker zu Phänomenen kommt wie Kriminalität, Drogensucht, das Abtauchen in eine Parallelwelt, die dann wiederum beklagt wird und mit Polizei und mit anderen repressiven Mitteln bekämpft wird, statt für soziale Perspektiven dieser jungen Leute zu sorgen, das heißt, eine aktive Beschäftigungspolitik zu machen, dafür zu sorgen, dass die Verteilungsgerechtigkeit nicht immer mehr auf der Strecke bleibt, das heißt auch, den gesellschaftlichen Reichtum, der noch vorhanden ist, auch in diesen südlichen, südeuropäischen Ländern, den anders zu verteilen und natürlich auch durch Steuermittel dafür zu sorgen, dass das Bildungssystem verbessert wird und damit auch neue Perspektiven geschaffen werden.

    Breker: Bringt so eine Zahl von 50 Prozent, jeder zweite Jugendliche hat nur Arbeit, bringt das vielleicht auch Gefahren für den gesellschaftlichen Frieden?

    Butterwegge: Ja, das kann man sich leicht vorstellen. Es gibt ja bereits in diesen Ländern, ganz besonders in Spanien, auch in Griechenland und Portugal, sehr massive Proteste gegen die Sparpolitik der jeweiligen Regierung und natürlich auch gegen diese sozialen Probleme, die mitbedingt sind durch die Regierungspolitik und das, was man meiner Meinung nach fälschlicherweise als Sparprogramme bezeichnet, denn das sind ja in Wirklichkeit Kürzungsprojekte und es sind vor allen Dingen Maßnahmen, die den Sozialstaat, der ohnehin in den südeuropäischen Ländern eher rudimentär entwickelt ist, noch weiter zurechtzustutzen. Und wenn das über die Hälfte der jungen Leute trifft, dann ist klar, dass die sich auch an solchen Protesten besonders beteiligen. Das ist so gewesen in Spanien, zum Beispiel in Madrid an der Puerta del Sol, das ist in der Occupy-Bewegung so, das sind die positiven Aspekte. Aber negativ, ganz klar, gibt es auch sehr viel Resignation, Jugendliche, die sich zurückziehen, Jugendliche, die in die Esoterik ausweichen, Jugendliche, die gar nicht mehr ein und aus wissen, die total verunsichert sind, psychosoziale Probleme vermehren sich und das heißt, für die Gesellschaft bedeutet das am Ende eben auch mehr Unzufriedenheit, mehr sozialer Unfrieden und auch natürlich letztlich für die Gesellschaft weniger Demokratie, denn natürlich wenden sich diese jungen Menschen auch von der Politik ab. Sie sehen in den Politikern eher Gegner, sie versprechen sich nichts mehr von der Politik, und das heißt, sie gehen möglicherweise auch verloren dafür, sich einzumischen, demokratische Partizipation zu üben, und auch das, denke ich, muss man beklagen, wenn man diese sehr wenig hoffnungsvollen Anzeichen der Gesellschaftsentwicklung sieht.

    Breker: Keine Arbeit, kein Geld, da muss die Familie dann einspringen – eine Bankrotterklärung des Sozialstaates.

    Butterwegge: Ja! Vor allen Dingen ist mit Jugendarbeitslosigkeit natürlich auch vermehrt Jugendarmut verbunden. Übrigens ist, obwohl bei uns in Deutschland die Jugendarbeitslosigkeit – und darauf ist ja auch die Bundesregierung stolz – diese gigantischen Ausmaße nicht erreicht, auch bei uns sind die jungen Leute, anders gesagt die Jugendlichen, die Heranwachsenden und die jungen Erwachsenen, die Hauptbetroffenengruppe von Armut. Die aktuelle Debatte über die Zuschussrente von Frau von der Leyen und die Solidarrente der SPD lenkt natürlich davon in gewisser Weise ab. Altersarmut droht dieser Generation dann natürlich auch vermehrt. Aber auch bei uns bereits sind die Jugendlichen besonders betroffen und deshalb finde ich es so wichtig, dass sich die zuständigen Politiker diesen Problemen zuwenden und nicht nur die Leistungsträger im Sinn haben, denn auch das ist übrigens in den südeuropäischen Ländern genauso wie bei uns feststellbar. Neben diesen Abgehängten, auch im Bildungssystem Abgehängten, gibt es auch eine Bildungselite von jungen Menschen, die mal besser gebildet und ausgebildet sind, die an die Eliteuniversitäten gehen, ins Ausland abwandern, dort auch natürlich gute Jobs bekommen, viel Geld verdienen, und insofern setzt sich auch die Spaltung der Gesellschaft in arm und reich auf diese Art und Weise weiter fort.

    Breker: Diese Schere geht weiter auseinander, Herr Butterwegge, und die Mittelschicht schmilzt dabei. Auch das hat Auswirkungen auf den sozialen Frieden.

    Butterwegge: Ja natürlich! Das kann man sich leicht vorstellen, wenn auf der einen Seite der Reichtum wächst, auf der anderen Seite die Armut und die Perspektivlosigkeit und die Unterversorgung von Menschen, dann zerfällt die Gesellschaft. Und wenn die Mitte schmilzt, wenn die mehr und mehr zerrieben wird zwischen den Extremen, oben und unten, zwischen arm und reich, dann gibt es eigentlich keinen günstigen Nährboden mehr dafür, dass sich die Gesellschaft demokratisch, human, sozial entwickelt und es kann eben auch die Gefahr entstehen, dass sich junge Menschen in ihrer Verzweiflung – auch das sieht man in Griechenland schon – an die extreme Rechte wenden, dass sie ihre Hoffnung plötzlich auf Leute richten, die ihnen versprechen, autoritär und in undemokratischer Weise die gesellschaftlichen Zustände, die für sie so ungünstig sind, zu ändern, diese Demokratie zu zerschlagen, die Politiker, die normalerweise im Fernsehen zu sehen sind, von der Bildfläche verschwinden zu lassen und ein ganz anderes Regime zu errichten, und auch diese Gefahr des Rechtsextremismus und Rechtspopulismus muss man ernst nehmen, wenn sich die sozialen Zustände auf diese Art und Weise verschärfen.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung des Armutsforschers Christoph Butterwegge von der Universität Köln. Herr Butterwegge, ich danke Ihnen dafür.

    Butterwegge: Bitte schön, Herr Breker.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.