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"Diese Mischverwaltung ist sinnvoll"

Die SPD hat Bundesarbeitsministerin von der Leyen erneut ihre Unterstützung für eine Grundgesetzänderung zur Reform der Jobcenter zugesichert. Die SPD-Politikerin Anette Kramme nannte die momentane Mischverwaltung den richtigen Weg zur Betreuung von Langzeitarbeitslosen. Deshalb sei eine Verfassungsänderung durchaus gerechtfertigt.

Anette Kramme im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Die einen nennen es Leistung aus einer Hand, für die anderen ist es eine verfassungsrechtlich unzulässige Mischverwaltung. Gemeint ist die Zusammenarbeit zwischen Kommunen und der Bundesagentur für Arbeit bei der Betreuung von Langzeitarbeitslosen. Den letzten Standpunkt hatte das Bundesverfassungsgericht vor gut zwei Jahren vertreten und ein neues Modell angemahnt, was langsam dringlich wird, denn bis zum Ende dieses Jahres ist nur noch Zeit. Über das wie war zuletzt in der Union neuer Streit entbrannt. Seit gestern Abend steht die Lösung, nun ist auch eine Änderung des Grundgesetzes angepeilt, die zu schwarz-roten Zeiten schon einmal am Widerstand der Unionsfraktion gescheitert war. Telefonisch verbunden bin ich jetzt mit Anette Kramme, der arbeitsmarktpolitischen Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Tag!

    Anette Kramme: Grüß Gott!

    Schulz: Wir haben gerade von der grundsätzlichen Kooperationsbereitschaft der Sozialdemokraten schon gehört. Die Pläne werden jetzt konkreter: eine Ausweitung der Optionskommunen, wie gerade angesprochen. Ist das auch mit der SPD machbar?

    Kramme: Ja. Man muss zwei Dinge unterscheiden. Wir sind grundsätzlich bereit, eine gemeinsame Aufgabenwahrnehmung durch die Argen grundgesetzlich sicherzustellen. Wir werden sicherlich auch dabei mitmachen, die bestehenden Optionskommunen abzusichern. Was allerdings schwierig mit uns wird, ist, wenn es um die unkontrollierte Erweiterung der Zahl der Optionskommunen geht. Der Bund gibt eine Menge Geld für die Verwaltung von SGB II aus und ich finde, dann gehört auch dazu, dass der Bund die Mittel ganz genau kontrollieren kann, mitwirken kann, mitgestalten kann.

    Schulz: 69 Optionskommunen sind es jetzt derzeit. Ab wann fängt das Phänomen an, das Sie gerade als unkontrollierbare Ausweitung bezeichnen?

    Kramme: Es ist natürlich Sache der Verhandlungen, dann eine andere Zahl festzulegen. Ich persönlich habe Schwierigkeiten, über eine höhere Zahl wie beispielsweise 80 hinauszugehen.

    Schulz: Wenn es keine Begrenzung gäbe, dann wäre im Zweifelsfall das parteipolitische Kalkül der SPD wichtiger als eine Einigung in der Sache?

    Kramme: Nein. Es geht nicht um das parteipolitische Kalkül, sondern es geht darum, auch in der Zukunft eine Arbeitsmarktpolitik gestalten zu können, die sinnvoll ist. Beispielsweise ist uns im Rahmen einer Evaluierung gezeigt worden, dass die Optionskommunen ein ganzes Stück schlechter funktionieren als die Argen. Das beispielsweise. Und ich sage mal, ich finde es sehr schwierig, wenn wir zu einer Kommunalisierung der gesamten Arbeitsmarktpolitik unter SGB II kommen. Ich fürchte da beispielsweise einfach Konkurrenzen. Nehmen wir mal an, wir haben da eine Stadt und wir haben da eine andere Stadt. An wen werden Arbeitsplatzangebote übermittelt? Da sehe ich durchaus Probleme, wenn wir weiter zu einer Kommunalisierung kommen würden.

    Schulz: Aber wie soll das verfassungsrechtlich überhaupt funktionieren, eine Begrenzung der Optionskommunen zum Beispiel auf die Zahl, die Sie gerade nennen, auf 80?

    Kramme: Das ist sorgfältig geprüft worden durch die verfassungsgebenden Ressorts. Was jetzt momentan durch Frau von der Leyen geplant war, das ist allerdings hochgradig kompliziert. Die bestehenden Optionskommunen zu entfristen, das verstößt meines Erachtens unter drei Gesichtspunkten gegen das Grundgesetz. Einerseits handelt es sich um eine unzulässige Aufgabenübertragung vom Bund an die Kommunen; das gestattet das Grundgesetz nicht. Es werden unzulässige Finanzbeziehungen gestaltet, also die Optionskommunen würden direkt das Geld, das normalerweise bei der Bundesagentur landen würde, weitergeleitet bekommen und an dieser Stelle gibt es dann natürlich auch ein Gleichbehandlungsproblem, warum will ich die einen ausschließen, die anderen nicht. All diese Probleme würden durch eine Grundgesetzänderung gelöst werden.

    Schulz: Aber nach allem was wir bisher wissen will die Union ja gerade die Begrenzung der Optionskommunen nicht. Also ist die Einigung auch mit der SPD nach wie vor alles andere als ausgemacht? Verstehe ich das richtig?

    Kramme: Ich sage mal, das wird mit Sicherheit ein Punkt werden, an dem die Verhandlungen sehr schwierig sind. Aber dass die Union das mit der Erweiterung der Optionskommunen zwingend will, das ist für mich nicht ganz nachvollziehbar. Ursula von der Leyen hat einen Gesetzesentwurf vorgelegt, in dem halt von den 69 bestehenden Optionskommunen gesprochen wird und eben von nichts anderem. Also weshalb sollte dort es zu einer anderen Positionsänderung kommen? Allerdings ist es so, dass man momentan nicht so ganz genau weiß, wer was in der Union denkt.

    Schulz: Wenn die Einigung zustande kommen sollte, ist das dann auch künftig Linie der SPD-Politik zu sagen, da wo das Grundgesetz nicht passt, wird es dann eben passend gemacht?

    Kramme: Nein! Mit Grundgesetzänderungen muss man selbstverständlich sensibel umgehen. Das ist selbstverständlich. Aber wir haben in der Vergangenheit aus weitaus nichtigeren Anlässen schon das Grundgesetz geändert. Hier geht es darum, eine funktionsfähige Arbeitsverwaltung zu haben. Diese Mischverwaltung ist sinnvoll, die wir dort haben. Deshalb finde ich ist das ein Grund, der das rechtfertigt, nun das Grundgesetz zu ändern.

    Schulz: Aber jetzt hat das Bundesverfassungsgericht ja moniert, dass der Arbeitsuchende keine festen Ansprechpartner habe, dass er im Zweifelsfall nicht wisse, gegen wen er sich richten solle, mit Beschwerden, mit Widersprüchen. Diese Verantwortungsdiffusion, die wird sich dann doch fortsetzen, oder?

    Kramme: Die Kritik des Bundesverfassungsgerichtes war ein ganz klein wenig anders. Auf jeden Fall habe ich sie so verstanden. Und zwar ging es vor allen Dingen um die Frage oder um das Problem, dem Bürger müsse genau nachvollziehbar sein, wer welches Thema innerhalb der Arbeitsverwaltung, innerhalb der Argen bearbeitet, jeder Entscheidungsträger müsse da klar erkennbar sein, und das sei das Problem, deshalb verstoße die bestehende Regelung gegen das Verfassungsrecht. Aber wenn wir das Grundgesetz ändern, ist dieses Problem natürlich aufgelöst.

    Schulz: Aber in der Sache bleibt das Problem bestehen. Das ist dann die Linie der SPD, Probleme, da wo sie auftauchen, einfach so bestehen zu lassen?

    Kramme: Nein!

    Schulz: Sondern?

    Kramme: Es geht darum, dass wir mit der Neuregelung oder mit der Schaffung eines Fortbestandes der bisherigen Regelung natürlich auch eine Menge Erleichterung für Bürgerinnen und Bürger schaffen. Es ist beispielsweise so, dass nur ein Antrag gestellt werden muss, ein Beispiel. Es ist beispielsweise so, dass nur ein Widerspruch erhoben werden muss. Wenn nur ein Bescheid ergeht, muss nur ein Widerspruchsverfahren durchgeführt werden, und im Zweifel geht es auch nur um eine Klage. Momentan, nach dem Gesetzesentwurf von Ursula von der Leyen zu der Jobcenterreform, zur Trennung der Argen, würde das Ganze so weit gehen: Wenn ich beispielsweise eine Frage zur Unterkunft habe, zu den Kosten der Unterkunft, dann muss ich den einen Träger anrufen und mich dort beraten lassen; wenn ich eine Frage habe, die die Arbeitsmarktpolitik als solches betrifft, beispielsweise ob mir eine Maßnahme bewilligt wird oder nicht, dann muss ich bei jemand anders anrufen. Das ist meines Erachtens nicht sinnvoll.

    Schulz: Und wenn wir jetzt auf die Perspektive schauen, die Reform der Jobcenter kommt, wird sich denn die Lage der Arbeitsuchenden damit verbessern, oder wird die einfach so bleiben, wie sie ist?

    Kramme: Wir haben erst kürzlich eine Gesamtevaluierung von SGB II bekommen und die besagt, die Langzeitarbeitslosigkeit ist reduziert worden. Das ist der eine wichtige Punkt. Überdies ist uns aufgezeigt worden, dass auch die arbeitsmarktpolitischen Instrumente dem Grunde nach funktionieren. Es gibt einige Knackpunkte, über die muss man reden, da sind auch Verbesserungen erforderlich. Wir sind zum Beispiel sehr betrübt darüber, dass es viele Menschen im Dauerbezug von SGB II gibt. 45 Prozent der Bezieher von Arbeitslosengeld II sind im Dauerbezug, und darüber müssen wir nachdenken. Das sind die entscheidenden Probleme, die wir lösen müssen.

    Schulz: Anette Kramme, die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, heute in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Danke schön!

    Kramme: Danke schön! Einen schönen Tag wünsche ich.