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"Diese Staatsreform darf nicht scheitern"

SPD-Generalsekretär Hubertus Heil warnt eindringlich vor einem Scheitern der Föderalismusreform. "Man kann sich viel wünschen. Weihnachten ist aber nicht, sondern wir müssen jetzt zu realistischen Kompromissen und Lösungen kommen", verlangte Heil Zugeständnisse von den Bundestagsabgeordneten bei den abschließenden Beratungen.

Moderation: Burkhard Birke |
    Burkhard Birke: Sie gilt als Mutter der Reformen, wurde uns als der große Wurf angepriesen und soll - geht es nach der Kanzlerin - unbedingt noch vor der Sommerpause endgültig auf den Weg gebracht werden: die Föderalismusreform. Im Kern geht es um die Neuordnung der Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und auch Kommunen. Die Zahl der im Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetze soll drastisch reduziert werden von derzeit knapp drei Fünftel auf weniger als zwei Fünftel aller Gesetze, und im Gegenzug dafür erhalten die Länder weitgehende Befugnisse neu zugesprochen, vor allem in der Bildungs- und Umweltpolitik. Auch die Beamtenbesoldung und der Strafvollzug fallen künftig eindeutiger als bisher in die Kompetenz der Länder.
    Heute wird sich wie erwähnt Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten der Länder treffen, um letzte Hürden aus dem Weg zu räumen und den Blick in die Zukunft zu wagen, denn in der wohl brisanteren zweiten Phase der Föderalismusreform geht es um die Neuordnung der Finanzbeziehungen.

    Ich begrüße jetzt Hubertus Heil, den SPD-Generalsekretär, recht herzlich in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Schönen guten Morgen, Herr Heil!

    Hubertus Heil: Guten Morgen, Herr Birke!

    Birke: Herr Heil, Fußball ist ja zurzeit in aller Munde. Lassen Sie mich deshalb im Fußballjargon formulieren. Könnte es sozusagen in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit noch eine Niederlage für die Föderalismusreform geben?

    Heil: Lassen Sie mich in der Fußballsprache antworten: Der Ball ist noch nicht im Tor, aber auf dem Elf-Meter-Punkt. Also wir haben gute Möglichkeiten, innerhalb der vorgegebenen Spielzeit das Spiel zum Erfolg zu führen für das Land.

    Ich will noch mal sagen, worum es eigentlich geht. Sie haben im Nebensatz das eben angesprochen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen wieder klarer Kompetenzen zuordnen können. Ich habe als Bundestagsabgeordneter in den vergangenen sieben Jahren hin und wieder Arbeitsgruppen des so genannten Vermittlungsausschusses leiten dürfen - oder soll ich leiden dürfen sagen -, und ich kann Ihnen nur sagen, dass wir dort die Kompetenzen stärker trennen. Das ist wichtig für die Zukunft der Demokratie und gerade angesichts der europäischen Entwicklung notwendig. Die Menschen wissen gar nicht mehr im Einzelnen, wer am Ende was entschieden hat. Das müssen wir miteinander schaffen, da steht viel auf dem Spiel, und deshalb müssen alle sich jetzt bewegen.

    Birke: Alle müssen sich bewegen und es gibt ja insbesondere auch in Ihrer Fraktion im Bundestag, in der SPD-Fraktion, Kritik zum Beispiel daran, dass die Länder künftig die Umweltgesetzgebung des Bundes konterkarieren dürfen durch eigene Gesetzgebung. Auch im Bildungsbereich gab es hier Kritik. Wo muss sich heute konkret bei dem Ministerpräsidententreffen etwas bewegen?

    Heil: Wir haben heute das Ministerpräsidententreffen, Sonntag den Koalitionsausschuss, in der kommenden Woche tagen die Fraktionen und dann der Deutsche Bundestag. Wie gesagt: Da wird man zu vernünftigen Kompromissen an der einen oder anderen Stelle kommen können. Ich bin sehr zuversichtlich, dass dies in dem von Ihnen angesprochenen Umweltrecht der Fall sein kann, dass man zu vernünftigen Lösungen kommt.

    Birke: Aber was konkret, Herr Heil? Das ist alles sehr, sehr schwammig. Es ist ohnehin sehr schwer für die Hörer zu verstehen. Was konkret sollte man denn im Umweltrecht machen? Soll den Ländern das Recht noch einmal abgesprochen werden, zum Beispiel beim Hochwasserschutz eben ihre eigene Suppe zu kochen und nicht das, was bundesweit oder gar europaweit vorgegeben ist?

    Heil: Nein. Ich sage ganz offen: ich will diese Gespräche nicht belasten mit Detailfestlegungen. Ich sage nur, dass man in diesem Bereich zu Änderungen und zu vernünftigen Kompromissen kommen kann. Das ist das, was ich aus den Gesprächen mitbekommen habe. Wie gesagt: Wichtig ist, dass man bei all den Details das Grundziel nicht aus dem Auge verliert. Diese Föderalismusreform, diese Staatsreform darf nicht scheitern. Wer, wenn nicht so eine große Koalition sollte sie eigentlich sonst zu Stande bringen.

    Birke:! Herr Heil, ich bin trotzdem ein bisschen hartnäckig, weil in den Details steckt ja, wie man so landläufig sagt, auch der Teufel. Der Teufel steckt im Detail, zum Beispiel bei der Kompetenz fürs Heimrecht. Die Wohlfahrtsverbände befürchten angesichts knapper Kassen einen Wettbewerb nach unten. Sie auch?

    Heil: Wir haben wie gesagt eine Fülle von Einzelpunkten aus der Anhörung von Verbänden gehört. Ich finde vieles bedenkenswert, aber man muss jetzt sehen, was auch möglich ist im Gesamtpaket. Ich warne davor zu glauben, dass sich alles ändern lässt. Wir werden wie gesagt in den Gesprächen gucken, dass wir zu vernünftigen Lösungen kommen. Die Länder sind - das will ich mal sagen als jemand, der Bundestagsabgeordneter ist -, die Landesparlamente sind nicht irgendwer. Das sind auch Leute, die verantwortungsvoll entscheiden können.

    Birke: Es sind Leute, die verantwortungsvoll entscheiden können, und es gibt ja auch einige Länderchefs, unter anderem der Christdemokrat Peter Harry Carstensen aus Schleswig-Holstein, der Ministerpräsident dort, der gar nicht zufrieden ist, dass er jetzt die Kompetenzen der Beamtenbesoldung bekommt. Haben Sie hier einen Verbündeten?

    Heil: Ich bin Generalsekretär der gesamten SPD, das wollte ich nur mal zu Protokoll geben, nicht nur der Bundes-SPD. Somit sehe ich das auch in einem Gesamtzusammenhang. Es gibt bei uns auch in der Partei genau wie in der Union – das will ich ganz offen sagen – natürlich unterschiedlichste Interessen. Das Sein bestimmt dann manchmal das Bewusstsein, und ich nehme auch zur Kenntnis, dass es auch zwischen den Bundesländern noch Diskussionsbedarf gibt. Heute wollen die Ministerpräsidenten zu einheitlichen Vorschlägen kommen. Wir brauchen Mehrheiten von zwei Dritteln im Bundesrat und im Bundestag, um diese Verfassungsreform zu realisieren, und wie gesagt da sollte Montag, wenn die Änderungen sozusagen bekannt werden, die möglich sind, jeder sich selbst prüfen, ob das gute Änderungen sind, oder anders gesagt, ob man, auch wenn man nicht zu 100 Prozent zufrieden ist, diese Reform scheitern lassen sollte. Ich bin dafür, dass wir die nicht scheitern lassen, dass wir zu notwendigen Veränderungen in den nächsten Tagen kommen. Es ist lang genug diskutiert worden, es gab Anhörungen, aber diese Staatsreform muss gelingen.

    Birke: Lassen Sie mich versuchen, trotzdem noch ein bisschen zu resümieren. Diese Veränderungen müssten kommen im Bildungsbereich, bei der Beamtenbesoldung, im Umweltbereich und beim Heimrecht?

    Heil: Nicht alle Wünsche werden wahr. Das kann ich jetzt so kryptisch und muss ich so kryptisch sagen. Ich sehe Bewegung wie gesagt im Umweltrecht, auch beim Thema Kooperationsverbot im Wissenschaftsbereich. Darüber kann man diskutieren, sollte man auch diskutieren. Es gibt dann noch eine Fülle von Details, die man eher im technischen Bereich sieht. Aber wie gesagt: Das wird eine Abwägung sein am Ende. Man kann sich viel wünschen. Weihnachten ist aber nicht, sondern wir müssen jetzt zu realistischen Kompromissen und Lösungen kommen.

    Birke: Es ist nicht Weihnachten, aber Sie müssen doch immerhin eine Zahl von Abgeordneten bescheren, die zumindest nicht dann 34 ausmacht, was dann die Zwei-Drittel-Mehrheit gefährden kann?

    Heil: Das ist richtig. Wir müssen die Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat haben, und deshalb haben wie gesagt die Abgeordneten die Aufgabe, am Montag im Gesamtzusammenhang die erzielten Kompromisse und Veränderungen zu bewerten und dann abzuwägen. Es ist ja meistens so, dass man in der Politik dann eine Abwägungsentscheidung treffen muss, und dann wird man diskutieren müssen: Ist das Glas halb leer, ist es halb voll, bis zu zwei Drittel voll oder zu einem Drittel? Das wird man sehen am Montag und da gibt es je nach Fachlichkeit in der Bundestagsfraktion oder in den Bundestagsfraktionen natürlich unterschiedliche Interessen. Die Bildungspolitiker sehen ihren Bereich, die Umweltpolitiker ihren Bereich. Unter dem Strich muss es stimmen für das gesamte Gemeinwesen, für den gesamten Staat, und das ist die Aufgabe, das als Abgeordneter entsprechend auch zu bewerten.

    Birke: Aber es geht ja, um im Fußballjargon zu bleiben, erst mal darum, die erste Halbzeit zu überstehen, denn ich habe es eingangs erwähnt: Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, will heute ja auch schon über den zweiten Schritt, den vielleicht viel entscheidenderen der Föderalismusreform sprechen, nämlich die Finanzbeziehungen. 30 Milliarden Euro und mehr werden pro Jahr umverteilt. Sollte man denn statt Geld umzuverteilen nicht besser neue, eigenständige und finanziell eigenständige föderale Einheiten, sprich neue Bundesländer, schaffen?

    Heil: Wir sollten offen sein für die Diskussion um die Reform der Finanzbeziehungen. Das haben wir im Koalitionsvertrag festgelegt. Da muss man sehr vorsichtig und behutsam sein. Da sind die Gespräche jetzt auch ganz am Anfang. Was nicht passieren darf ist, dass die getroffenen Vereinbarungen zum Solidarpakt II und zum Aufbau Ost in Frage gestellt werden. Das ist sehr wichtig und ein sensibles Thema. Insofern bei allem Verständnis dafür, da auch noch das Thema Länderfusionen draufzupacken. Ich halte das zurzeit nicht für eine realistische Diskussion. Ich komme zwar aus Niedersachsen, habe aber mal eine Zeit lang in Brandenburg gelebt. Wir wollten damals Berlin und Brandenburg vereinigen. Das ist übrigens damals nicht an den Politikern gescheitert, sondern an der Volksabstimmung. Also das ist nicht so einfach, zumal man für Länderfusionen immer auch eine Volksabstimmung braucht. Und da das einmal schon gescheitert ist, ist es ganz schön schwierig, das noch mal anzurühren.

    Birke: In der Tat. vor allen Dingen beim Geld hört die Freundschaft auf, sagt eine Volksweisheit. Die Schulden der Länder machen ja immer auch einen großen Strich durch solche Fusionsrechnungen. Ich glaube die Brandenburger wollten ja nicht die gigantischen Schulden von Berlin übernehmen. Jetzt fordert die FDP für diese zweite Stufe der Föderalismusreform, dass der Bund sämtliche Altschulden der Länder übernimmt, der Länderfinanzausgleich abgeschafft und ein Neuverschuldungsverbot im Grundgesetz verankert wird.

    Heil: Die FDP ist manchmal so simpel wie sie groß ist. Das muss man sagen. Das ist nicht ganz so einfach. Wir wollen auch die Oppositionsparteien, zumal die FDP ja in Ländern auch regiert, in diese Diskussion durchaus mit einbeziehen. Da geht es nicht um parteipolitische Nicklichkeiten, aber wer glaubt, dass diese Diskussion einfach ist, der macht den Menschen etwas vor.

    Birke: Wenn Sie jetzt abschließend noch mal ein Resümee, einen Ausblick wagen, werden wir die erste Halbzeit überstehen? Wird die Föderalismusreform so über das Wochenende gelöst, dass es am Ende des Monats und im Juli eine positive Abstimmung im Bundestag geben wird mit zwei Drittel Mehrheit?

    Heil: Ich bin sehr zuversichtlich, dass in der nächsten Woche die Möglichkeit da ist, das Problem zu lösen. Ich finde, wir dürfen es nicht verstolpern. Lassen Sie mich das so sagen. Wir sind den Bürgerinnen und Bürgern schuldig, dass eine große Koalition auch Größeres bewegt. Das ist eine Sache, die darf nicht liegen bleiben oder die darf nicht kaputt gemacht werden. Ich erlebe immer mehr eine europäische Entwicklung, wo die Menschen sich fragen, wer ist eigentlich auf welcher Ebene für was zuständig? Durch die Vermischung von Verantwortung entsteht Verdruss, weil man bei Wahlen das Gefühl hat, nicht mehr Auswahl zu haben. Deshalb müssen wir klarer sagen: Was macht ein Landtag, was macht ein Bundestag, was macht Europa? Da ist diese Föderalismusreform ein entscheidender Schritt nach vorne.

    Birke: Hubertus Heil war das, SPD-Generalsekretär, in den "Informationen am Morgen". Ich danke für dieses Gespräch, Herr Heil. Auf Wiederhören.

    Heil: Schönen Tag, Herr Birke.