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"Dieser Charme war wirklich überfällig"

Keine wirkliche Annäherung der Positionen zwischen den USA und Europa sieht der Frankfurter Politikwissenschaftler Ernst-Otto Czempiel anlässlich der Europareise des amerikanischen Präsidenten. Dennoch sei der neue Umgangston in den transatlantischen Beziehungen längst überfällig gewesen. Auch Bushs erster Besuch der europäischen Institutionen lasse auf eine harmonischere Zusammenarbeit hoffen.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Am Telefon ist nun bei mir der Frankfurter Friedens- und Konfliktforscher Professor Ernst-Otto Czempiel. Guten Tag.

    Ernst-Otto Czempiel: Guten Tag Herr Heinlein.

    Heinlein: Herr Czempiel, teilen Sie die Skepsis der Demonstranten in Mainz gegenüber der amerikanische Charme-Offensive?

    Czempiel: Nicht in der Form, in der sie ausgedrückt worden ist. Aber ich glaube, alle Europäer warten darauf, ob der Charme sich auch zur Distanz entwickeln wird. Während wir darauf warten, Herr Heinlein, muss man zunächst mal sagen, dieser Charme war wirklich überfällig und er ist auch sehr willkommen. Der Stil beeinflusst natürlich die Substanz und was in den letzten vier Jahren zwischen Europa und Amerika ablief, diese Konfrontation, war schädlich für die Sache und für die atlantische Gemeinschaft. Man kann nur hoffen, dass wenn jetzt die Arbeit an den Interessendivergenzen weitergeht, es bei diesem Stil bleibt. Das wäre schon mal ein Fortschritt.

    Heinlein: Was erwarten Sie denn, wird es etwas an Substanz geben, wird diese neue Freundschaft mit Inhalten gefüllt werden?

    Czempiel: Also, ich glaube das ehrlich gesagt nicht, weil ich, wenn ich die Reden der amerikanischen Außenministerin und des Präsidenten abhöre, in der Sache eigentlich keinen Unterschied zu den vergangenen Positionen erkennen kann. Und ebenso ist auf europäischer Seite die Konzessionsbereitschaft relativ gering. Es wird sicherlich im Hinblick auf sagen wir mal die Ausbildungsleitung der Nato im Irak gewisse Veränderungen geben. Aber in der Substanz, im Hinblick auf die Strategien und die verschiedenen Interessen, ist natürlich die Lage unverändert. Vom Irak über China bis zum Iran gibt es in Europa andere politische Vorstellungen, als in Amerika. Das ist das eine. Und was noch wichtiger ist, es geht natürlich einfach nur um diese Sachprobleme, um die Sachdifferenzen, im Hintergrund aber geht es um die Machtverteilung in der atlantischen Gemeinschaft. Das ist sozusagen der politische Hintergrund, der die ganze Diskussion beherrscht und auch so erbittert macht. Die Europäer wollen mehr Mitsprache und Amerika will sie nicht geben.

    Heinlein: Warum sind die USA, warum ist Georg Bush nicht bereit, den Europäern mehr Zugeständnisse zu erlauben innerhalb der westlichen Allianz?

    Czempiel: Ja wissen Sie, wenn man Macht hat, ist es immer schwer, Macht abzugeben. Und diese Position ist nicht bei Bush alleine anzutreffen. Alle amerikanischen Präsidenten, vielleicht mit der einen Ausnahme Clinton, der wenigsten mal den Ansatz gemacht hat, die Europäer stärker zu beteiligen. Alle amerikanischen Präsidenten haben eigentlich an dieser, wie soll ich sagen, hegemonialen Figur der Nato und der atlantischen Gemeinschaft festgehalten, wo Amerika den Ton angibt, die anderen zwar informiert aber im Endeffekt nicht konsultiert werden, und die anderen folgen den Vorgaben der hegemonialen Macht. Das liegt auch an der Machtfigur. Sie müssen bedenken, Amerika, diese riesen Weltmacht steht 25 oder 15, je nach dem wen Sie sich aussuchen, 15 relativ kleinen Staaten gegenüber. Und man kann von der Weltmacht nicht verlangen, dass sie tut, was die kleinen von ihr wollen. Das geht einfach nicht.

    Heinlein: Wie ist denn in diesem Zusammenhang zu werten, dass George Bush zum ersten Mal nun auch den europäischen Institutionen seinen Besuch abstattete?

    Czempiel: Sehr hoch, es ist sehr hoch zu bewerten. In der Tat, es ist der erste amerikanische Präsident, der der Europäischen Union seine Aufwartung macht. Es ist ja auch die Rede von der strategischen Partnerschaft zwischen Nato und Europäischer Union. Das klingt zwar ein bisschen merkwürdig aber man sieht, dass die Europäische Union als außenpolitischer Faktor am Horizont Amerikas auftaucht. Und dass Amerika sich damit abzufinden beginnt, dass die Nato nicht mehr alleine die Europäer vereint, sondern dass die Europäer auch im Rahmen der EU zusammenarbeiten. Und ich denke, dass der Prozess der Emanzipation der Europäer, um es mal auf diesen Begriff zu bringen, die Emanzipation der Europäer aus der amerikanischen Hegemonie, dass der einen großen Schritt vorangekommen ist, übrigens gerade wegen der Konfrontationspolitik, die Bush in den vergangenen vier Jahren betrieben hat. Die war sozusagen ein ganz heilsamer Treibstoff für den europäischen Zusammenschluss, für die europäische Zusammenarbeit und dass dieser Prozess, der seit langem läuft, einen großen Schritt voran gekommen ist und sich auch weiter bewegen wird. Der Vorteil ist, wenn es bei dieser harmonischen Situation, bei diesem harmonischen Klima bleibt, dass dieser Emanzipationsprozess, wie unter Freunden, geschmeidig verläuft und nicht etwa dazu führt, dass es zum Bruch der atlantischen Gemeinschaft kommt.

    Heinlein: Und der erste Punkt, wo man diese neue Entwicklung überprüfen kann, ist dann zweifelsohne der Iran?

    Czempiel: Ja, also wenn Bush seine Absicht wahr macht, den Iran anzugreifen, dann glaube ich, haben wir eine wirkliche Krise und damit bricht alles zusammen, was jetzt aufgebaut worden ist. Und ich gehe davon aus, dass die Bush-Koalition sehr ernsthaft den Regierungswechsel im Iran, notfalls auch mit Gewalt, betreibt, weil das schon in ihrem Anfangsprogramm stand. Man vergisst immer, dass es ja ein außenpolitisches Programm der Bush-Koalition gibt, da war der Irak aufgeführt und selbstverständlich auch der Iran. Der Iran ist auch die Vormacht im mittleren Osten. Der Iran ist für Israel sehr viel gefährlicher, als der Irak es war. Und Israels Sicherheit steht der Regierung Bush außerordentlich nah. Also, ich denke, dass das der Scheitelpunkt werden wird, an dem sich ergibt, wohin die atlantische Gemeinschaft geht. Greift Bush, so wie er sich ja im Moment vorbereitet und auch durch die Spionagetätigkeit, die amerikanisch über dem Iran sich abzeichnet, den Iran an, dann haben wir eine Bruchstelle. Und ich glaube auch, dass in diesem Fall Großbritannien auf der europäischen und nicht auf der amerikanischen Seiten stehen wird.

    Heinlein: Der Frankfurter Politikwissenschaftler Ernst-Otto Czempiel. Danke für das Gespräch.