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"Dieser Haushalt ist eher für die Altpapiertonne geeignet"

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Christine Scheel, hat die Etatplanung von Finanzminister Steinbrück kritisiert. Mehrausgaben müssten durch Umschichtungen und nicht durch neue Schulden finanziert werden. Steinbrück werde sein Ziel, bis 2011 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, so nicht erreichen, betonte Scheel.

Christine Scheel im Gespräch mit Elke Durak |
    Durak: Die so genannte Haushaltswoche beginnt im Bundestag. Das heißt die erste Lesung des Etats für 2009 und des Finanzplans bis 2012. Das ist ein Thema des Interviews, das ich mit der Bündnis-Grünen Bundestagsabgeordneten und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Christine Scheel geführt habe. Das zweite - und dies zuerst -, die Koalitionsangebote für die Zeit nach der Bundestagswahl. Wir wissen: das Werben und Locken hat begonnen. Deshalb meine Frage an Frau Scheel, unter welchen Voraussetzungen die Grünen denn mit Union und FDP regieren würden beziehungsweise könnten?

    Scheel: Frau Durak, für uns ist erst mal ganz, ganz wichtig, dass die Grünen es schaffen, von den kleineren Parteien die größten und die stärksten zu werden. Erst dann werden wir sehen, ob es gelingt, dass die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten und Franz Müntefering als Chef die Fraktion und die Partei gemeinsam zusammenhalten kann. Es ist ja noch lange nicht ausgemacht, dass die Situation in den Umfragen auch stabil ein Stück nach oben geht bei der SPD, dass sich überhaupt etwas rechnet. Es ist für uns wichtig, denn wir wollen letztendlich uns aussuchen können, mit wem wir koalieren, und uns wäre natürlich die SPD näher als die CDU aufgrund der Energiepolitik.

    Durak: Angenommen es ginge nur in Dreierkonstellationen - da komme ich noch mal auf Jamaika zurück -, wie wäre es mit der Union und mit der FDP zusammen?

    Scheel: Es ist natürlich schon klar zu sagen, dass das Rütteln am Atomausstieg, auch das geringere Engagement, als wir uns das wünschen, im Zusammenhang mit verstärkter Komponente, bei regenerativen Energien zu investieren, das Festhalten an dem Neubau von vielen Kohlekraftwerken in dieser Region - in Deutschland insgesamt sind es ja über 20, die geplant sind -, dass dies es uns kaum möglich machen würde, mit der CDU zusammenzukommen, sondern die CDU müsste sich in der Energiepolitik sehr, sehr stark auf uns zubewegen.

    Durak: Und käme es zur Ampel mit der SPD und der FDP, wo liegen da Ihre Grenzen?

    Scheel: Bei der FDP hört man ja immer nur "Steuern runter, Abgaben runter", aber mehr Geld ausgeben für Forschung und Bildung, was wir uns auch wünschen würden. Allerdings sehen wir bei all den Vorschlägen, die von Seiten der FDP auf dem Tisch liegen, nichts was solide ist, sondern das sind alles im Prinzip Forderungen, die aber in der politischen Realität überhaupt nicht umgesetzt werden können. Das macht es natürlich sehr schwer, wenn man sich das anschaut, dass die FDP ja im Prinzip jahrelang mit an der Regierung war - 29 Jahre waren sie ja an der Regierung -, die Steuern nach oben geschoben hat und jetzt den Leuten verspricht, es geht alles nach unten. Das ist einfach nicht realistisch.

    Durak: Frau Scheel, kommen wir zum Haushalt. Der ist groß, kompliziert, wir können hier nicht alles besprechen. Aber wir kennen ja das Gedicht von Brecht: "prüfe die Rechnung, du musst sie bezahlen, lege den Finger auf jeden Posten, frage wie kommt er hier her". Das ist einfach und klar im Lob des Lernens beschrieben. Auf welche Stelle, Frau Scheel, legen Sie vor allem Ihren Finger?

    Scheel: Für uns ist es wichtig, dass nicht nur Ausgabensteigerungen oben aufgesattelt werden, sondern dass diese auch vernünftig gegenfinanziert sein müssen. Das heißt, wir Grünen fordern Zukunftsinvestitionen in Bildung und Forschung oder auch in Klimaschutz und Entwicklungszusammenarbeit. Aber wir wollen, dass dies durch Umschichtungen und nicht durch neue Schulden finanziert wird.

    Durak: Von wo bis wo schichten Sie denn um?

    Scheel: Dass wir beispielsweise im Bereich der Subventionen, der ökologisch schädlichen Subventionen - da gibt es noch sehr, sehr viele - diese Subventionen abbauen. Das ist im Bereich des Flugverkehrs, weil wir immer noch nicht eine gleichmäßige Besteuerung aller Verkehrsmittel haben. Der Flugverkehr ist hier privilegiert. Zum anderen haben wir gerade bei der Großindustrie noch sehr, sehr viele Ausnahmen bei der Ökosteuer. Die klein- und mittelständischen Unternehmen zahlen sie ganz ordentlich, aber die Großindustrie ist in vielen Zusammenhängen in dem Sektor ausgenommen und hier gäbe es schon auch mehr Gleichheit zu schaffen.

    Durak: Peer Steinbrück möchte einen ausgeglichenen Haushalt bis 2011 haben, das heißt keine Neuverschuldung mehr. Das scheint ja manchmal so, als ob nur noch er daran festhielte. Aber mal für den Bürger gefragt, der den großen Haushalt wahrscheinlich sowieso nicht versteht. Was nützt dem Bürger heute ein ausgeglichener Haushalt, wenn er selbst immer weniger Geld in der Tasche hat?

    Scheel: Das ist ja genau das Dilemma, dass die Große Koalition in den letzten Jahren fast 60 Milliarden Euro mehr Steuern eingenommen hat, allein auf der Bundesebene, aber trotzdem im nächsten und übernächsten Jahr noch weitere neue Schulden gemacht werden. Das heißt, es gibt alleine im nächsten Jahr nach den Berechnungen des Finanzministeriums fast elf Milliarden mehr Steuereinnahmen, aber sie senken die Neuverschuldung nur um knapp 1,5 Milliarden Euro. Das heißt, der Mensch kann es nicht mehr verstehen. Die Steuereinnahmen kommen, die Leute bezahlen die Steuern und gleichzeitig gelingt es aber nicht, die Neuverschuldung auf null zu fahren. Deswegen ist für uns dieser Haushalt eher für die Altpapiertonne geeignet als für die kommenden Beratungen, weil auch die Prognosen in diesem Haushalt im Blick auf die konjunkturelle Entwicklung allein für das Jahr 2009 schon gar nicht mehr stimmen. Und ich finde schon, dass wir es als Opposition verdient haben, einen Haushalt vorgelegt zu bekommen, der der Realität einigermaßen entspricht und nicht irgendwo im Wolken Kuckucksheim mit Schönwetterperioden zusammenkommt.

    Durak: Hätten Sie als Grüne vielleicht noch ein Angebot an die Bürger, die Auto fahren wollen oder müssen? Ist es an der Zeit, den Steueranteil am Benzin- und Dieselpreis zu senken?

    Scheel: Das ist ein heikles Thema, denn in dem Moment, wo sie das tun, heißt es ja nicht unbedingt, dass es für die Bürger günstiger wird. Wichtig ist, dass die Automobilindustrie endlich von der Politik aufgefordert wird - und zwar auch mit rechtlichen Konsequenzen -, dass sie Autos auf den Markt bringt, die weniger Verbrauch haben, die weniger CO2 ausstoßen, damit auch weniger Benzin oder Diesel verbrauchen und damit es für die Leute wieder erträglicher wird.

    Durak: Habe ich richtig gehört? Sie wollen von Staatswegen in unternehmerische Entscheidungen eingreifen?

    Scheel: Es gibt eine Selbstverpflichtung der Automobilindustrie, dass der Verbrauch in den letzten Jahren reduziert werden sollte. Dieser Selbstverpflichtung ist die Automobilindustrie in Deutschland in dieser Form nicht nachgekommen. Deswegen halten wir es für richtig, dass ab 2012 keine Autos mehr auf den Markt kommen sollen, die mehr als 240 Gramm CO2 verbrauchen. Das ist eine Vorgabe, die letztendlich auch sinnvoll ist, weil wir gesehen haben, dass in anderen Ländern dieser Druck auch aufgebaut wird und dass wir mit unserer deutschen Automobilindustrie hier sehen müssen, dass wir konkurrenzfähig bleiben. Deswegen brauchen wir Autos, die eben weniger CO2 verbrauchen, um auch marktfähig zu bleiben, damit auch der Export funktioniert, dass deutsche Autos gekauft werden und keine ausländischen hier.

    Durak: Christine Scheel, Mitglied des Bundestages für Bündnis 90/Die Grünen, deren stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Parlament. Danke, Frau Scheel, für das Gespräch.

    Scheel: Schönen Tag.