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"Dieses Honorarsystem muss weg"

Angesichts der anhaltenden Ärztestreiks hat der ehemalige Präsident der Berliner Ärztekammer, Ellis Huber, eine Abschaffung der Kassenärztlichen Vereinigungen gefordert. Sie würden "ihrem Führungsauftrag, eine preiswerte, sozialverantwortliche Versorgung praktisch umzusetzen, nicht mehr gerecht". Das bestehende Honorarsystem belohne zynische Ärzte, die Medizin anbieten, die keinen Sinn macht. Die dem Patienten zugewandten Ärzte dagegen würden bestraft.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: In Deutschland sind heute viele Arztpraxen geschlossen. Vor allem gilt das für die niedergelassenen Ärzte in Norddeutschland. Diejenigen, die ihre Praxen für einen Tag schließen, sind in diesen Stunden in Berlin vor dem roten Rathaus. Dort demonstrieren tausende Ärzte gegen die Sparpolitik der großen Koalition. Zuletzt hat Schwarz-Rot ein Arzneimittelsparpaket beschlossen und nächste Woche wird die ganz große Gesundheitsreform eingeläutet, wenn die drei Landtagswahlen erst einmal vorüber sind. Ich begrüße Ellis Huber. Früher war er Präsident der Berliner Ärztekammer. Guten Tag Herr Huber!

    Ellis Huber: Einen schönen guten Tag!

    Meurer: Warum demonstrieren Sie nicht mit, Herr Huber?

    Meurer: Mir geht es darum, die Probleme im Gesundheitssystem zu lösen. Ich war ja 12 Jahre Ärztekammerchef und dann sechs Jahre Chef einer gesetzlichen Krankenkasse. Ich kenne beide Seiten und ich weiß, dass in diesem Gesundheitswesen viel Geld vorhanden ist. Etwa 2.000 Euro für jede Bürgerin, jeden Bürger wird in diesen Topf gegeben und nun geht es darum, dass dieses Geld vernünftig und sinnvoll eingesetzt wird für eine Medizin, die den betroffenen Menschen wirklich, wirklich hilft. Das braucht eine Zusammenarbeit von Ärzten, Krankenkassen und auch der Gesundheitspolitik, wenn Sie so wollen einen neuen Geist des Miteinanders in sozialer Verantwortung. Denn die Lage heute ist doch die, dass der zynische Arzt, der Medizin anbietet, die keinen Sinn macht, immer noch reich wird, während der gewissenhaft arbeitende, auch einfühlsame, dem Patienten zugewandte Doktor vor Ort tatsächlich schlecht und arm dran ist. Die demonstrieren nun! - Ich kann das verstehen.

    Meurer: Also die Proteste halten Sie für berechtigt, auch Aussagen wie "wir arbeiten ab dem zweiten Monat umsonst"?

    Huber: Das ist falsch! Im Hintergrund steht ein Honorarsystem, das eben die Zyniker belohnt und die guten Ärzte bestraft. Dieses Honorarsystem, dieses Punktegefüge muss weg. Die kassenärztlichen Vereinigungen werden ihrer Aufgabe einer sinnvollen Organisation der ärztlichen Versorgung im Großen nicht mehr gerecht. Das ist das eigentliche Dilemma. Weil die inneren Konflikte in der Gesundheitsversorgung abgewehrt werden, schiebt man nun die Aggression nach draußen. Ein alt bekanntes Prinzip: Wenn man selber nicht mehr weiter weiß, wird man böse zu den anderen. Im Durchschnitt erhalten die Vertragsärzte, die Kassenärzte in Deutschland, über 80.000 Euro im Jahr aus der gesetzlichen Krankenversicherung an Einkommen vor Steuern, aber all das ist schlecht verteilt und ungerecht verteilt und die einzelnen Ärzte fühlen sich tatsächlich ungerecht behandelt.

    Meurer: Also sollten die kassenärztlichen Vereinigungen abgeschafft werden?

    Huber: Es ist sinnvoll, sie abzuschaffen, weil sie ihrem Führungsauftrag, eine preiswerte, sozialverantwortliche Versorgung praktisch umzusetzen, nicht mehr gerecht werden und sie auch nicht mehr in der Lage sind, den Ärzten eine vertrauensvolle Perspektive, eine Perspektive, die sie wieder hoffen lässt, zu weisen.

    Meurer: Wer entscheidet dann über die Honorarverteilung?

    Huber: Wir brauchen ein völlig neues Honorarsystem. Beispielsweise haben wir in der Schweiz, in Zürich ein Gesundheitszentrum. Zehn Ärzte und Gesundheitstherapeuten arbeiten zusammen, haben eine Teamkultur errichtet. Mehr als 10.000 Bürgerinnen und Bürger sind in diesem Projekt eingeschrieben. Die Ärzte bezahlen sich ein Jahreszeithonorar, das noch verbessert wird, wenn die Gesamtergebnisse gut sind. Mit den Krankenkassen ist vereinbart, dass man für die volle Versorgung der Patienten eine Kopfpauschale im Jahr bekommt. Aus diesem großen zusammengeflossenen Topf wird dann alles bezahlt: Arzneien, Heil- und Hilfsmittel und Krankenhäuser. Die Ärzte sagen, wir denken bei unserer Arbeit nicht mehr an das Geld; wir wissen was wir haben.

    Meurer: Bei diesen Teamlösungen, die Sie gerade beschreiben, da gibt es dann weniger Zyniker, die das System ausnutzen?

    Huber: Richtig! Die Teamkultur führt zu mehr Lebensfreude, auch mehr Freizeit bei den Ärzten. Die Patienten sind zufriedener. Die Schweiz hat nachgewiesen mit diesen Projekten, dass 20 bis 30 Prozent der Kosten eingespart werden im Vergleich zur durchschnittlichen Versorgung. Das liegt daran, dass im jetzigen System durch das Misstrauen, jeder gegen jeden, etwa die Hälfte der Geldmittel, also etwa 1.000 Euro pro Bürgerin und Bürger, in Overhead-Prozesse, also in Verwaltung, in ein Nachdenken, wie kann ich noch besser abrechnen, fließen. Das ist eine Mittelvergeudung und das kann man ändern.

    Meurer: Sind solche Teamlösungen auch auf dem Land denkbar, in kleinen Städten mit wenig Ärztedichte?

    Huber: Ja selbstverständlich! Wir haben ja eine relativ hohe Ärztedichte. Auf dem Land kann man vernetzte Lösungen machen. Man kann die moderne Informationstechnologie nutzen. Es geht darum, diese Honorarsystematik, wo der Arzt nicht mehr als Person und Leistungsträger finanziert wird, sondern seine Gerätschaften honoriert werden, abzuschaffen und zu einem vernünftigen Miteinander zu kommen. Die Ärzte können das, was sie verdienen wollen, auch verdienen - das Geld ist da -, aber nicht dadurch, dass man das bestehende korrupte, desolate System weiter aufrechterhält.