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"Dieses Land wird weiter mit diesem Bundespräsidenten leben"

"Machen wir uns nichts vor", sagt der ehemalige WDR-Intendant Friedrich Nowottny, "das Amt hat seine eigene Strahlkraft." Deshalb würden sich die Menschen weiterhin über Einladungen des Bundespräsidenten zum Sommerfest auf Schloss Bellevue freuen.

Friedrich Nowottny im Gespräch mit Gerd Breker | 05.01.2012
    Gerd Breker: Wir bleiben beim Thema des Tages: dem Fernsehinterview von Christian Wulff, das er gestern Abend den Kollegen von ARD und ZDF gegeben hat. Wir sind telefonisch verbunden mit Friedrich Nowottny, dem ehemaligen Intendanten des WDR. Guten Abend, Herr Nowottny!

    Friedrich Nowottny: Ich grüße Sie! Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Ja! Guten Tag wäre besser.

    Nowottny: Ich vermute, Sie haben mich als Journalisten gefragt und nicht als ehemaligen Intendanten. Journalist, der alle Bundespräsidenten dieser Republik gekannt hat. Na gut! Die gestrige Veranstaltung war für den Bundespräsidenten wie eine Fahrt eines etwas angestaubten Automobils durch die Waschanlage. Er kam raus, fühlte sich völlig gereinigt, und da kamen irgendwelche Journalisten wieder und sagten, na hören sie mal, das soll sauber sein! Das ist etwa der Eindruck, den man haben kann nach dem gestrigen Tag. Er meint, alles gegeben zu haben, alles auf den Tisch gelegt zu haben, seine Anwälte helfen ihm noch dabei. Aber ich glaube, es wird ihm nicht die Luft verschaffen, nach der er sich sehnt.

    Breker: Es ist ihm nicht gelungen, seine Glaubwürdigkeit wiederzuerlangen, Herr Nowottny?

    Nowottny: Ich kann die Glaubwürdigkeit vom Herrn Bundespräsidenten nicht quantifizieren. Ich weiß nicht, wann sie beginnt und wann sie aufhört. Er selbst hat dazu beigetragen, dass diese Unsicherheit beim Urteil über ihn bleibt.

    Breker: Ist das, was wir da erleben mit Christian Wulff - insbesondere mit dem Widerspruch, der sich ja gestern auch ergeben hat, dass der Bundespräsident sagt, er habe lediglich die Berichterstattung über seinen Kredit verschieben wollen, und die "Bild"-Zeitung unmittelbar, diesmal bei uns hier im Deutschlandfunk, dementiert und sagt, nein, nein, das war schon ganz bewusst die Absicht, den Artikel zu verhindern -, ist das eine Medienkampagne, die da läuft?

    Nowottny: Hier ist ein Vorgang, den der Bundespräsident selbst angestoßen hat, auf den Tisch der Öffentlichkeit geraten. Der Bundespräsident hat auf die Mailbox des "Bild"-Chefredakteurs gesprochen. Ich bin sehr gespannt, was er ihm gesagt hat. Die "Bild"-Zeitung, habe ich gerade Ihren Nachrichten entnommen, will ja den Inhalt dieser Botschaft aus Katar, glaube ich, veröffentlichen, wenn der Bundespräsident zustimmt. Na, da bin ich aber gespannt, was wir zu hören bekommen und zu lesen bekommen.

    Breker: Ja, Herr Nowottny, es war sogar ein wenig hämischer. Lassen Sie mich mal kurz aus diesem Brief zitieren, den ich in der Gestalt von epd hier vor mir liegen habe. "Um Missverständnisse auszuräumen, halte die "Bild"-Zeitung es für notwendig, den Wortlaut der Nachricht zu veröffentlichen. Sie wolle dies aber nicht ohne Wulffs Zustimmung tun und bitte daher, ganz im Sinne der von Ihnen gestern angesprochenen Transparenz, um das Einverständnis."

    Nowottny: Na ist das nicht fabelhaft? Also ich kann nur sagen, das sind ja unglaubliche Vorgänge, die wir in diesen Tagen erleben. Da macht sich die "Bild"-Zeitung zum Kämpfer für die Pressefreiheit ganz allgemein. Sie hat sich all von den Banden gelöst, die ein Teil ihrer Geschichte ausgemacht haben. Sie steht wirklich haushoch an der Spitze der Medien und versucht, die Medienfreiheit zu sichern, so wie das Grundgesetz es befiehlt. Das finde ich einen bemerkenswerten Vorgang. Der Bundespräsident muss damit leben lernen.

    Breker: Und die "Bild"-Zeitung lässt damit den "Spiegel" weit hinter sich.

    Nowottny: Aus dem Sturmgeschütz der Demokratie, wie Augstein seinen "Spiegel" immer nannte, wurde die Zimmerflack unserer Tage, die höchstens auf Mücken schießt.

    Breker: Herr Nowottny, es gibt ja noch einen anderen Aspekt bei dieser Affäre Wulff, und das betrifft nämlich die, die ihn da hingebracht haben, wo er jetzt ist, nämlich in das Bundespräsidentenamt, und das ist zu allererst Angela Merkel. Die CDU-Vorsitzende wollte ihn unbedingt, wollte nach Horst Köhler, dem Politlaien sozusagen, einen Politprofi haben. Wann nimmt sie denn Schaden in dieser Affäre?

    Nowottny: Ich sage Ihnen, in ihrem Selbstempfinden wird es überhaupt keinen Schaden geben. Sie sagt, da ist der Bundespräsident, der ist für fünf Jahre gewählt, wenn auch knapp, immerhin - wie gesagt: eine Stimme in der Politik reicht aus, um Mehrheiten zu beschaffen; da waren es ein paar mehr -, also da ist er, er hat sein Amt, er soll sehen, dass er jetzt klar kommt, ich habe damit eigentlich nichts zu tun und wenn mir jemand vorwerfen sollte, dass ich ihn in das Amt gehoben habe, dass er mein Kandidat war, dann kann ich nur sagen, gut, er ist jetzt Bundespräsident aller Deutschen und nicht nur meiner allein. Sie wird sich völlig unbeschädigt aus dieser Affäre heraustransportieren, wie sie das bei allen etwas kritischen Situationen, die für sie hätten entstehen können, gemacht hat. Sie hat da eine wunderbare Begabung dafür.

    Breker: Kann sie denn, Herr Nowottny, können wir, kann unser Land damit leben, einen Bundespräsidenten zu haben, dem es an Glaubwürdigkeit fehlt, dem es nicht gelungen ist, dieses Amt auch tatsächlich auszufüllen?

    Nowottny: Herr Breker, wir wollen es ganz offen aussprechen und nicht drum herumreden: Ich sage Ihnen, dieses Land wird weiter mit diesem Bundespräsidenten leben, es sei denn, es kommen noch irgendwelche Dinge zu Tage, die all unsere Vorstellungen von heute weit übertreffen. Die Menschen im Lande werden sich freuen, wenn sie eine Einladung des Bundespräsidenten mit goldenem Bundesadler auf der Einladungskarte finden, und sie werden ins Bellevue eilen und werden glücklich sein. Und das betrifft nicht nur die schlichten Menschen wie Sie und mich, sondern das betrifft die hohen Würdenträger in allen Kategorien. Der Bundespräsident hat mich zum Sommerfest eingeladen und alle in seiner Umgebung, die keine Einladung hatten, werden staunen. Und der Bundespräsident wird segnend durch die Lande fahren und wird Reden halten und alle werden sagen, er war wieder wunderbar. Machen wir uns nichts vor: Das Amt hat seine eigene Strahlkraft. Die übertrifft zumeist den Amtsinhaber.

    Breker: Und dass er nicht abgelöst wird, oder zum Rücktritt gedrängt wird, hat nichts damit zu tun, dass die Mehrheit in der Bundesversammlung derzeit so gering ist für Schwarz-Gelb?

    Nowottny: Ich glaube, die haben noch zwei Stimmen Mehrheit. Es gibt keine Funktion, die einen Misstrauensantrag für den Bundespräsidenten treffen könnte, anders als beim Bundeskanzler.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Meinung des ehemaligen Intendanten und Journalistenkollegen Friedrich Nowottny. Herr Nowottny, ich danke Ihnen sehr dafür.

    Nowottny: Alles Gute, Herr Breker.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.