Dienstag, 30. April 2024

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"Dieses Mal ist es die letzte Haltestelle"

Silvio Berlusconi wird sich von den Posten in seiner Partei zurückziehen, glaubt Ulrich Ritter, ehemaliger Leiter der Italienredaktion der Deutschen Welle. Er sei zwar unberechenbar, angesichts seines Alters und noch ausstehender Verfahren sei eine führende Rolle im Wahlkampf jedoch unwahrscheinlich.

Ulrich Ritter im Gespräch mit Thielko Grieß | 02.08.2013
    Christoph Heinemann: Und was sagt der Betroffene? Italiens früherer Ministerpräsident Berlusconi hat das gegen ihn verhängte Urteil wegen Steuerbetrugs scharf kritisiert, der Richterspruch entbehre jeder Grundlage, sagte er gestern in einer Videobotschaft. Er habe niemals ein Steuerbetrugssystem auf die Beine gestellt, sondern vielmehr zum Reichtum des Landes beigetragen. Berlusconi war gestern Abend wegen Steuerbetrugs eben im Zusammenhang mit seinem Firmenimperium Mediaset in letzter Instanz verurteilt worden. Das Kassationsgericht erhielt die auf ein Jahr reduzierte Haftstrafe aufrecht, verwies ein ebenfalls verhängtes fünfjähriges Ämterverbot aber zur Neuverhandlung an das Berufungsgericht in Mailand zurück.

    Jan-Christoph Kitzler berichtete aus Rom , und über das Urteil hat mein Kollege Thielko Grieß mit Ulrich Ritter gesprochen, dem ehemaligen Leiter der Italienredaktion der Deutschen Welle, und er hat ihn gefragt, ob er, Ritter, den Richterspruch für das Ende der politischen Karriere von Silvio Berlusconi hält.

    Ulrich Ritter: Also er ist das erste Mal in 17 Jahren, als er Regierungschef war, definitiv verurteilt worden, und wenn er auch die drei Jahre, wenn ihm die auch angerechnet werden, wegen seines Alters, dass er nicht einsitzen muss, so wird er aber doch ein Jahr Sozialdienst ableisten müssen, und ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, der wirklich offiziell verurteilt ist, als Regierungschef noch einmal antritt beziehungsweise jetzt noch einmal in den politischen Ring steigt oder als Gegenkandidat noch mal einen Wahlkampf führen wird in Italien. Ich glaube, dass Silvio Berlusconi sich langsam, wenn auch nicht aus dem politischen Tagesgeschäft, aber so doch zurückziehen wird als Kandidat für seine Partei der Freiheit, die Popolo della Libertà.

    Thielko Grieß: Nun ist es ja aber so, dass wir bei Silvio Berlusconi und seinem politischen Handeln in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder viele Haken erlebt haben, die wir uns alle vorher nicht hatten vorstellen können - oder viele von uns. Könnte das nicht auch diesmal wieder so sein?

    Ritter: Das war zwar immer so, und als Regierungschef hatte er natürlich auch alle Macht, immer wieder eine neue Variante zu finden, damit er nicht verurteilt wird, aber wir dürfen ja nicht vergessen, dass weitere Prozesse anstehen, der Prozess im Amtsmissbrauch im Fall Ruby, Verführung Minderjähriger, also da kommt noch einiges auf ihn zu. Und er wird ja auch dieses eine Jahr, in dem er Sozialdienst ableisten muss - ob er dann jetzt, ich weiß nicht, einen Schulhof kehrt oder irgendwo Essen verteilt in einem Altenheim oder bei Asylanten -, er ist doch dann als Parteiführer und auch als Politiker ist er doch dann desavouiert. Er wird nach meiner Ansicht das nächste Jahr nützen, um etwas sich zurückzuziehen, und dann wird im nächsten Jahr Italien ja Mitte des Jahres 2014 die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen, da kann ich mir nicht vorstellen, dass es zu einem Wahlkampf noch im nächsten Jahr kommt, und dass sich Berlusconi noch einmal in den politischen Ring stellen wird. Ich glaube, er wird sich langsam zurückziehen - wenn auch, und das muss man natürlich sagen, Berlusconi, er ist immer unberechenbar. Aber ich glaube, dieses Mal - und man darf auch nicht vergessen, er ist Ende 70 -, denke ich, ist es wirklich Ultima fermata, die letzte Haltestelle.

    Grieß: Seine Partei, das Volk der Freiheit, so nennt sich die Partei übersetzt auf Deutsch, sitzt mit am Regierungstisch in Rom. Nimmt die Regierung gemeinsam mit Premier Letta nun Schaden?

    Ritter: Nein, im Gegenteil. Ich denke, dass Ministerpräsident Letta durch dieses Urteil gestärkt hervorgehen kann und diese große Koalition auf alle Fälle dieses Jahr noch durchführen kann, und wie ich schon sagte, im nächsten Jahr, 2014, kann sich Italien nicht leisten, in einen Wahlkampf zu steigen, weil es ja die Ratspräsidentschaft Mitte des Jahres 2014 übernehmen wird. Und Letta stürzt sicherlich nicht über Berlusconi, er wird auch nicht von dem Volk der Freiheit, von der Partei Berlusconis gestürzt. Wenn, stürzt Enrico Letta höchstens über innerparteiliche Parteigenossen, die ihn vielleicht stürzen können, denn die Linksdemokraten waren immer schon in Italien dafür bekannt, dass sie ihre eigenen Parteiführer dann doch stürzen können. Das gab es schon im Falle D’Alema, und es gab es auch im Falle von Prodi.

    Grieß: Sie sagen also, das Volk der Freiheit, Berlusconis Partei, kann auch ohne Berlusconi?

    Ritter: Diese Partei kann auch ohne Berlusconi, sie haben ja jetzt einen jungen Innenminister, Alfano, der wahrscheinlich diese Partei, wenn sie dann überhaupt überlebt, dann weiter führen kann. Aber ich denke, die Partei wird sich wieder aufsplittern in ein rechtes Lager und in eine gemäßigte, christdemokratische Partei.

    Grieß: Es wird sich voraussichtlich mit großer Sicherheit sehr viel Schadenfreude nun ergießen über Berlusconi. Halten Sie das für gerechtfertigt?

    Ritter: Also Berlusconi hat sich sehr viel zuschulden kommen lassen. Er hat das Land betrogen, er hat die Jugend betrogen - wir sprechen in Italien von einer Arbeitslosigkeit zwischen 30 und 35 Prozent Jugendarbeitslosigkeit -, er hat auch keinen Rückhalt mehr innerhalb der Industriellen, die ihn ja immer noch geschützt und gestützt haben. Ich glaube, dass man ihn zwar in der Zwischenzeit belächelt, aber er hat es einfach verdient. Er hat es nicht verdient, als Elder Statesman in die Geschichte der italienischen Politik einzutreten, wie zum Beispiel der ehemalige Staatspräsident Ciampi oder wie auch Prodi als ehemaliger EU-Präsident.

    Grieß: Dieses offizielle Urteil, kratzt das nun auch Berlusconis Popularität an, die er ja immer wieder gehabt hat und immer wieder aufgebaut hat in vielen Milieus in der italienischen Bevölkerung?

    Ritter: Also er wird sicherlich, wie ich schon sagte, bei der Industrie und bei den Industrievertretern keinen Rückhalt mehr finden. Er findet auch keinen Rückhalt mehr, bei Jungwählern sowieso nicht, weil eben die Jugendarbeitslosigkeit so stark ist. Er wird noch einigen Rückhalt finden in einigen Parteien der Rechten, die aber sich auch - wo man ja gesehen hat bei den letzten Gemeindewahlen in Italien -, die sich aber auch zersplittert. Rom ist verloren gegangen, die großen Städte sind verloren gegangen, also die Rechte hat in Italien keine Zukunft mehr. Ich glaube, die Zukunft gehört dem jungen Ministerpräsidenten Enrico Letta.

    Christoph Heinemann: Die Einschätzung von Ulrich Ritter, dem ehemaligen Leiter der Italienredaktion der Deutschen Welle, die Fragen stellte mein Kollege Thielko Grieß.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.