Donnerstag, 18. April 2024

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"Dieses war auf jeden Fall eine unfaire Wahl"

Der SPD-Bundestagsabgeordnete und OSZE-Wahlbeobachter Christian Kleiminger hat den Verlauf der russischen Wahlen kritisiert. Der gesamte Machtapparat und die Administration hätten die Putin-freundlichen Parteien unterstützt. Auch in den Medien seien Oppositionsparteien praktisch nicht vorgekommen. Umso wichtiger sei es deshalb, bei den anstehenden Präsidentenwahlen mehr Beobachter zu haben.

Moderation: Christian Schütte | 03.12.2007
    Schütte: Russland hat gewählt, Putin hat gewonnen. Die Rechnung der Kreml-Strategen ist aufgegangen. Im Vorfeld war die Parlamentswahl umfunktioniert worden zu einer Abstimmung über Putin. Nun ziehen vier Parteien in das Parlament, in die Duma ein. Davon ist nur eine, nämlich die kommunistische, eine echte Oppositionspartei. Dies gibt Putins Partei "Einiges Russland" einiges an politischem Gestaltungsspielraum.

    Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die OSZE, hatte wegen Visa-Problemen keine Beobachter ins Land geschickt. Anstelle der ODIR - so heißt das Wahlbeobachterbüro - sind aber einige Vertreter der parlamentarischen Versammlung der OSZE vor Ort gewesen, unter anderem der eben bereits erwähnte SPD-Bundestagsabgeordnete Christian Kleiminger. Er war in den vergangenen Tagen in Moskau und in St. Petersburg. Er ist am Morgen nach Deutschland zurückgekehrt und nun bei uns zum Interview. Guten Tag Herr Kleiminger!

    Kleiminger: Guten Tag!

    Schütte: War dies eine freie und faire Wahl?

    Kleiminger: Dieses war auf jeden Fall eine unfaire Wahl. Unfair deshalb, weil die Opposition keinerlei Chancen hatte. Sie hatte keinerlei Chancen, weil der gesamte Wahlkampf von Putin und seiner Umgebung dominiert worden ist. Das hat jeder sehen können, der in eine der großen Städte gefahren ist: zum Beispiel Moskau. Ich selber habe dort Plakate gesehen in einer Größe wie selten zuvor, auf denen gestanden hat "Moskau wählt das Vereinte Russland". Das Vereinte Russland ist die von Putin dominierte Partei. Diese riesigen Transparente hingen an öffentlichen Gebäuden und das zeigt, dass im Grunde genommen der gesamte Machtapparat, die Administration die Putin-freundlichen Parteien unterstützt hat. Da hatte die Opposition überhaupt keine Chance.

    Die Partei Vereintes Russland verfügt über ganz erhebliche Geldmittel, aber das ist es nicht allein. Sie besitzt die Medienmacht. Die Opposition kam in den Medien so gut wie überhaupt nicht vor. Man hat übrigens auch in den Straßen fast keinerlei Wahlwerbung der echten Oppositionsparteien gesehen.

    Schütte: Sie haben gerade schon angesprochen, dass es ein unfairer Wahlkampf gewesen sei. Welche Unregelmäßigkeiten haben Sie denn bei der Wahl beobachten können?

    Kleiminger: Insgesamt waren wir 33 Beobachter der OSZE und noch einmal 40 Beobachter des Europaparlaments. Ich selbst war zusammen mit zwei Abgeordneten des spanischen und des portugiesischen Parlaments im Raum St. Petersburg unterwegs. In St. Petersburg selber haben wir keine Wahlmanipulation in den Wahllokalen, die wir besucht haben, feststellen können. Das heißt aber nicht, dass es möglicherweise in anderen Teilen dieses riesigen Landes Wahlmanipulationen gegeben haben kann. Das schließe ich nicht aus.

    Umso wichtiger ist es jetzt, die heutige Pressekonferenz auch der OSZE, die in Moskau stattfinden wird, abzuwarten, weil dort ja auch die Erkenntnisse meiner Kolleginnen und Kollegen, die ja im ganzen Land verteilt waren bis hin nach Vladivostok, um diese Einschätzung dann auch abzuwarten.

    Schütte: Die Wahlbeobachter werden also Bericht erstatten. Mit welchen Konsequenzen?

    Kleiminger: Ich denke, dass das sehr wichtig ist auch mit Blick auf die dann anstehenden Präsidentenwahlen. Es wird ganz besonders wichtig sein, dass bei den Präsidentenwahlen - Sie hatten es erwähnt - die Beobachter der ODIR dann dabei sein werden, denn es ist natürlich nicht möglich, in einem so großen Land mit annähernd 70 Wahlbeobachtern ein flächendeckendes Bild zu zeichnen. ODIR verfügt ja über ganz andere Möglichkeiten. ODIR ist dann schon Wochen, gar Monate vor dem eigentlichen Wahltag im Land, um auch Stimmungen zu analysieren, Gespräche zu führen und so weiter. Das ist ganz dringend notwendig und viele meiner Gesprächspartner haben diesen unbedingten Wunsch geäußert, dass ODIR die Präsidentenwahlen dann begleiten wird.

    Schütte: Von offizieller Seite wurden jetzt zur Duma-Wahl tatsächlich auch kleinere Unregelmäßigkeiten zugegeben. Gehören dazu aber wahrscheinlich nicht die Vorwürfe, dass Geld geflossen sei, um Wähler zu beeinflussen, dass Stimmzettel ausgehändigt worden seien, auf denen die Partei Putins Geeinigtes Russland bereits angekreuzt gewesen seien. Halten Sie diese Vorwürfe für möglich?

    Kleiminger: Das ist schwer zu beurteilen. Für mich selber ist es Spekulation. Ich hatte Ihnen gesagt, dass wir in den Wahllokalen, die wir besucht haben, im Raum St. Petersburg jedenfalls solche Manipulationen selbst nicht gesehen haben. Ich halte es aber auch nicht für ausgeschlossen. Das muss im Einzelnen sehr, sehr sorgfältig geprüft werden.

    Schütte: Die Putin-kritischen Parteien sind aber auch - so heißt es - untereinander zerstritten. Hat sie möglicherweise auch dies um ein besseres Ergebnis gebracht?

    Kleiminger: Das ist sicherlich so. Das wurde mir auch von verschiedenen Gesprächspartnern so berichtet. Es ist nicht gelungen, die Opposition im Vorfeld zu einigen. Die spannende Frage wird natürlich sein, wie sich die Opposition zu der anstehenden Präsidentenwahl aufstellen wird.

    Schütte: Sie haben sich mit Vertretern der Opposition getroffen. Wie haben die diese Wahl beurteilt?

    Kleiminger: Die Vertreter der Opposition haben darüber berichtet, dass sie in den Medien praktisch nicht vorkommen, dass die Putin-freundlichen Parteien ökonomisch derart überlegen sind, dass die Oppositionsparteien praktisch an die Wand gedrückt werden. Insofern haben auch die Oppositionsparteien das Bild einer unfairen, weil nicht chancengleichen Wahl gezeichnet.

    Schütte: Über Putins Pläne ist viel spekuliert worden. Kann er sich eine stärkere Abgrenzung vom Westen leisten?

    Kleiminger: Das ist jetzt in der Tat reine Spekulation, wie sich Putin verhalten wird, welche Position, welchen Posten er anstrebt. Da gibt es ganz verschiedene Theorien. Ich gehe davon aus, dass es weiter eine faire Partnerschaft geben muss, und zu einer fairen Partnerschaft gehört auch, dass man Dinge wie unfaire Wahlen auch so nennt.

    Schütte: Herr Kleiminger, Sie sind vor Ort gewesen in den letzten Tagen. Was ist Ihr Eindruck? Ließe sich Russland ohne einen starken Mann an der Spitze regieren?

    Kleiminger: Das ist natürlich eine ganz schwierige Frage. Tatsache ist, dass sich viele Menschen, die sich einen relativen Wohlstand in Russland erarbeitet haben, nach einer starken Persönlichkeit sehnen. Das ist jedenfalls der Eindruck aus den Gesprächen, die wir vor Ort geführt haben. Nichts desto trotz: Das rechtfertigt nicht jedes Mittel.

    Schütte: Der Bundestagsabgeordnete Christian Kleiminger von der SPD, Wahlbeobachter für die OSZE bei der Duma-Wahl. Vielen Dank für das Gespräch!

    Kleiminger: Bitte schön.