Dienstag, 16. April 2024

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Dieter Wiefelspütz (SPD)
"Sarrazin geht es auch um die Provokation"

Dieter Wiefelspütz (SPD) unterstützt den Vorstoß seiner Partei, Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin aus der Partei auszuschließen. Sarrazin habe bei Fragen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Grenzen überschritten. Die Partie müsse sich aber auf einen langen Rechtsstreit einstellen, sagte Wiefelspütz im Dlf.

Dieter Wiefelspütz im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 12.07.2019
22.05.2019, Thüringen, Erfurt: Thilo Sarrazin (SPD), ehemaliger Berliner Finanzsenator, sitzt in der Arena Erfurt auf dem Podium.
Diskussion und Lesung mit Sarrazin (picture alliance / Martin Schutt)
Jörg Münchenberg: Kurz vor der Sendung habe ich über den Fall Sarrazin mit dem früheren SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz gesprochen und ihn zunächst gefragt, wieviel Widerspruch eine Partei eigentlich ertragen können muss.
Dieter Wiefelspütz: Eigentlich jede Menge. Die politischen Parteien in Deutschland sind gehalten, innerparteiliche Demokratie zu gewährleisten, und das bedeutet, da muss es ein breites Spektrum an Meinungen geben können in einer politischen Partei, überhaupt keine Frage.
Münchenberg: Das ja offenbar aus Sicht der SPD jetzt Herr Sarrazin vollkommen ausgeschöpft hat.
Wiefelspütz: Ja, vielleicht mehr als ausgeschöpft. Ich glaube, dass Herr Sarrazin schon ein ganz besonderer Fall ist. Sehen Sie, Sie können ja in Deutschland ganz einfach in eine politische Partei eintreten und sie auch wieder ohne irgendeine Kündigungsfrist sofort wieder verlassen. Das geht ja alles ganz, ganz schnell und passiert auch täglich immer wieder, Eintritte, Austritte, aus den verschiedensten Gründen. Parteiausschlussverfahren sind selten, nicht nur in der SPD selten, sondern auch anderswo selten, und sie sind verbunden mit sehr hohen Hürden, und das ist auch zurecht wegen der innerparteilichen Freiheit.
"Strenge Regeln, was Parteiausschlussverfahren angeht"
Münchenberg: Was macht jetzt Herrn Sarrazin aus Sicht der SPD so einzigartig, dass man sagt, er muss die Partei verlassen?
Wiefelspütz: Ich will mich jetzt nicht an die Stelle der Schiedskommission setzen. Ich bin selber Vorsitzender einer Schiedskommission auf der Ebene des Unterbezirks, auf der Ebene etwa, in der jetzt auch die Entscheidung getroffen worden ist in Berlin, Herrn Sarrazin auszuschließen. Aber ich darf das mal so sagen: Sie können in der SPD jede Menge. Wir sind die älteste demokratische Partei in Deutschland. Wir haben da auch keinen Nachholbedarf, was innerparteiliche Demokratie angeht. Es gibt strenge Regeln, was Parteiausschlussverfahren angeht.
Eins ist aber sicherlich sicher: Bei vielen, vielen Möglichkeiten, auch unterschiedlicher Meinung zu sein, Rassisten haben in der SPD nichts zu suchen und die werden unsere Partei verlassen müssen. Ob das im Einzelfall gegeben ist, ist dann zu prüfen, und man muss ja auch betonen, die Entscheidung in Berlin ist die erste Instanz. Wir haben gehört heute, dass Herr Sarrazin in die nächste Instanz gehen will, also Berufung einlegen, ein Rechtsmittel einlegen will, und möglicherweise sogar den Rechtsweg voll ausschöpft bis hin zu den ordentlichen Gerichten und bis hin zum Bundesverfassungsgericht. Das ist noch eine Geschichte, die uns möglicherweise lange beschäftigen wird.
Münchenberg: Darauf kommen wir gleich noch mal zu sprechen. – Thilo Sarrazin argumentiert, er beschreibe in seinen Büchern, die er jetzt geschrieben hat, lediglich aktuelle Zustände, zum Beispiel über Spaltungstendenzen in der deutschen Gesellschaft. Welche Kriterien kann man dann anlegen, um zu sagen, jetzt hat jemand tatsächlich das Maß überspannt?
Wiefelspütz: Sehen Sie, bei Sarrazin geht es um Fragen von Migration, um Fragen von Islam in Deutschland. Es geht um Fragen, wie man Integration regelt. Das sind zunächst Themen, bei denen man auch unterschiedlicher Meinung sein kann und die nach meiner festen Überzeugung auch hoch diskussionsbedürftig sind oder es wert sind, dass man sie intensiv diskutiert, und darüber muss auch gestritten werden können. Und es mag sogar sein, dass auch dies hier ein Thema ist, wo wir vielleicht an der einen oder anderen Stelle eher zu wenig geredet haben als zu viel. Aber ich sage noch einmal: Was nicht geht ist, Hass und Rassismus zu verbreiten. Über Islam reden ja, aber nicht hasserfüllt, über Migration ja, aber nicht mit einer rassistischen Grundierung, und das ist der große Unterschied. Und das alles im Rahmen einer großen Bandbreite von Möglichkeiten der Auseinandersetzung. Eine demokratische politische Partei lebt ja von dieser Auseinandersetzung, um auch zu Positionen zu kommen. Man muss nicht die Mehrheitsauffassung und auch nicht Parteibeschlüsse zwingend sich zu eigen machen, um in einer politischen Partei zuhause sein zu können. Es geht um die Grenzen und die Grenze ist jedenfalls in diesem konkreten Fall bei Sarrazin da überschritten, wo das Ganze in den Bereich von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Islamfeindlichkeit geht. Da wird eine rote Linie ganz klar überschritten.
"Das wird die SPD auch aushalten müssen"
Münchenberg: Herr Wiefelspütz, Sie haben ja vorhin auch schon angedeutet, Thilo Sarrazin hat selbst angekündigt, er werde notfalls durch alle Instanzen gehen. Das heißt doch im Umkehrschluss, das kann Jahre dauern und sichert ihm auch die mediale Aufmerksamkeit und schafft vielleicht auch für die SPD ein ständiges Rechtfertigungsproblem.
Wiefelspütz: Das ist richtig. Er beschäftigt uns ja schon auch seit geraumer Zeit. Das ist ja überhaupt keine Frage. Aber so ist das im Rechtsstaat. Das muss man dann aushalten können, und das wird die SPD auch aushalten müssen und sie wird es auch aushalten.
Münchenberg: Wäre nicht vielleicht ein anderer Weg auch gangbar gewesen, dass man gesagt hätte, man ignoriert ihn einfach, trotz SPD-Parteimitgliedschaft?
Wiefelspütz: Na ja. Man könnte ja fast, wenn ich das mal sehr zugespitzt formulieren darf, von einem Geschäftsmodell von Herrn Sarrazin sprechen – Geschäftsmodell auch im übertragenen Sinne. In der Zuspitzung formuliert: Es geht ihm auch um die Provokation. Er wäre ja, wenn ich so sagen darf, langweiliger und weniger interessant, wenn er nicht ein immer noch relativ prominentes SPD-Mitglied wäre. Er war immerhin Finanzsenator in Berlin, Bundesbankmitglied im Vorstand, also eine Persönlichkeit, die innerhalb der SPD und mit ihr auch in wichtige Stellungen gekommen ist, und er ist da sehr sichtbar gewesen und ist es auch heute noch. Das hat schon den Charakter an der einen oder anderen Stelle von einer Provokation. Aber das ist auch vielleicht gar nicht das Entscheidende, sondern es kommt darauf an, ist die Grenze überschritten, und ich glaube, mein Eindruck ist, dass man in der Vergangenheit außerordentlich viel Geduld hatte, sicherlich auch die Überlegung war, ignorieren wir das dann bestenfalls. Aber Sie sehen ja, es geht nicht. Er ist ja auch auf dem Markt der Buchveröffentlichungen verhältnismäßig erfolgreich – nicht mehr ganz so wie in den vergangenen Jahren, aber immerhin – und die Geduld hat da ein Ende gefunden und das ist auch schon seit geraumer Zeit so. Wenn man das so einschätzt, wird man auch damit leben müssen, dass dieses Problem nicht von heute auf morgen geregelt sein wird, sondern dass man da auch einen langen Atem haben muss. Aber ich glaube nicht, dass dazu eine ganz große Auswahl von Alternativen möglich ist für die SPD.
"Gau ist vielleicht ein Stück zu hoch gegriffen"
Münchenberg: Auf der anderen Seite: Es ist jetzt der dritte Anlauf, der zumindest jetzt auf der untersten Ebene funktioniert hat. Wenn das Ganze scheitern sollte auf dem ganzen Weg der Instanzen, dann wäre doch das für die SPD ein Gau.
Wiefelspütz: Gau, der größte anzunehmende Unfall, ist vielleicht ein Stück zu hoch gegriffen, würde ich schon meinen. Trotzdem: Ich meine, bei Fragen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und Religionsfeindlichkeit in Gestalt von Islamfeindlichkeit, da kommt man ja an den Kern von Toleranz, Respekt vor anderen Menschen und Humanität. Das ist etwas, jedenfalls für die SPD und ich vermute sogar für manch andere politische Partei in Deutschland, das ist einfach ein Punkt. Das geht so an den Kern der Grundüberzeugungen der deutschen Sozialdemokratie, dass man da einfach eine Grenze ziehen muss. Die ist überschritten durch Herrn Sarrazin und wenn dann unsere rechtsstaatlichen Rechtswege in der Schiedsgerichtsbarkeit in der SPD und auch in der Justiz außerhalb der SPD solche lange Strecke bedeutet, wenn man das durchsetzen will, den Ausschluss, dann wird man damit leben müssen. Da sehe ich keine Alternative. Das ist einfach eine Konsequenz. Aber sehen Sie, in Sachen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, ich glaube, dass es da nicht angeht, geduldig zu sein. Da muss man wirklich möglichst frühzeitig auch sehr konsequent sein mit einer ganz klaren Linie.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.