Digitalisierung
Europa im globalen Wettrennen um Souveränität

Die digitale Infrastruktur Europas ist von Ländern wie den USA und China abhängig: EU-Länder importieren 80 Prozent ihrer Technologien und Anwendungen. Um das zu ändern, fordert die Eurostack-Initiative Investitionen in Höhe von 300 Milliarden Euro.

    Außenansicht eines Rechenzentrums in den Niederlanden.
    Um Europas digitale Infrastruktur unabhängiger von China und den USA zu machen, schlägt die EuroStack-Gruppe vor, den Ausbau von Cloud-Servern und Rechenzentren strategisch zu fördern (picture alliance / Westend61 | Mischa Keijser)
    Europas digitale Infrastruktur baut auf Technologien auf, die von internationalen Tech-Unternehmen importiert werden. Zugleich hinken europäischer Länder auf dem digitalen Weltmarkt weit hinterher: Ganze 70 Prozent der weltweit genutzten Basismodelle für Künstliche Intelligenz stammen aus den USA, gefolgt von China. Europäische Produkte dagegen sind weitaus seltener gefragt. Nur sieben Prozent der Anwendungen im Bereich Software, Internet und Mikrochips stammen aus europäischer Herstellung.
    Dabei wird der Kampf um sogenannte digitale Souveränität inzwischen immer dringlicher. Die digitale Infrastruktur ist längst zu einem Instrument geopolitischer Machtkämpfe geworden. Ökonomen warnen sogar davor, dass die US-Regierung unter Donald Trump Techkonzerne im Wirtschaftskonflikt mit Europa als politische Waffe einsetzen könnte.
    Wie kann sich Europa auf dem globalen Markt der digitalen Technologien besser aufstellen?

    Inhalt

    Wie steht es um die digitale Souveränität Europas?

    Auf dem Weltmarkt nimmt Europa nur eine geringfügige Position ein. Gerade in den Bereichen Künstliche Intelligenz, Halbleiterproduktion und Cloud-Anwendungen schwächeln europäische Länder im Vergleich zu den USA oder China. Laut einem Bericht der Bertelsmann-Stiftung stammen nur vier der 50 weltweit führenden Technologieunternehmen aus Europa.
    Bei den Investitionen in Künstliche Intelligenz lag Europa 2023 mit 2,4 Milliarden Dollar Investitionen weit hinter den USA zurück – dort wurden 22,4 Milliarden Dollar in die KI-Industrie gesteckt. Auch das Wachstum von europäischen Startups wird stark ausgebremst: Die EU erhält nur fünf Prozent des weltweit zu vergebenden Risikokapitals im Gegensatz zu den USA (52 Prozent) und China (40 Prozent). In der Folge sind zahlreiche Startups aus Europa ins Ausland abgewandert.
    Kapitalgeber und Unternehmer bewerten Europa auf dem Markt oft als nicht konkurrenzfähig. „Man hört so häufig, und das erzählen mir die Vorstandsvorsitzenden der Techunternehmen ‚Europa kann das nicht‘“, sagt die Europaabgeordnete Alexandra Geese, die sich für die Stärkung europäischer Digital-Unternehmen auf dem Weltmarkt einsetzt. Oft käme es aus dem Grund vor, dass europäische Tech-Firmen in Ausschreibungen ausgeklammert würden.
    Um Europas Positionierung auf dem Markt zu verbessern, erarbeitete die EuroStack-Initiative – eine Gruppe von Unternehmern und Forschern – einen Strategieplan, welchen sie Anfang 2025 der EU-Kommission vorlegten.

    Was will die EuroStack Initiative erreichen?

    Die EuroStack-Gruppe hat ein Konzept mit Vorschlägen und Maßnahmen entwickelt, mit denen die Abhängigkeit Europas von außereuropäischen Akteuren minimiert und eine souveräne Digitalwirtschaft aufgebaut werden soll. Zu den Zielen gehört:

    • Cloud, KI und Datenräume ausbauen
    • Innovative Anwendungen in Gesundheitswesen, Industrie und Finanzwesen vorantreiben
    • Mehr Eigenständigkeit in Quantencomputing schaffen
    • Eigene Halbleiter mit zuverlässigen Lieferketten entwickeln
    • Sichere Kommunikationsnetzwerke etablieren
    • Soziale Netzwerke und Medienplattformen nach europäischen Maßstäben fördern
    Das Ganze soll mit gezielten Kooperationen zwischen Politik, Wirtschaft und Forschung gelingen. Experten der Digitalwirtschaft kritisieren nämlich, dass es in Europa bislang an einer klar ausgerichteten Strategie fehle. In Zukunft müsse Europa mit konkreten Zielen und messbaren Fortschritten agieren.
    Dazu sind der Ökonomin Francesca Bria von der Bertelsmann-Stiftung zufolge in den kommenden zehn Jahren insgesamt mindestens 300 Milliarden Euro an Investitionen notwendig.
    Der Zweck der Eurostack-Initiative sei es, Europas digitale Wirtschaft eigenständiger zu machen und als gleichberechtigten Wettbewerber auf dem Weltmarkt zu positionieren, so Europa-Politikerin Alexandra Geese.

    Was für Erfolgsaussichten und was für Kritik gibt es an EuroStack?

    In einigen Bereichen wie der Halbleiterindustrie, Software-Plattformen oder Satelliten-Internet werde es lange dauern, eine europäische Infrastruktur zu entwickeln, sagt Ökonomin Francesca Bria von der Bertelsmann-Stiftung. In anderen dagegen seien schnelle Veränderungen möglich: Europäische Cloud-Lösungen haben vielversprechende Aussichten auf Erfolg.
    Bislang dominieren Amazon Web Services, Google und Microsoft 70 Prozent der Cloud-Speicherdienste, die von Privatkunden, Unternehmen und Regierungen genutzt werden. Doch Frank Karlitschek, Chef des deutschen Cloud-Anbieters Nextcloud, hält die europäischen Angebote nicht nur für gleichwertig zu denen aus den USA, sondern auch für sicherer. Das Problem sei, dass bei Nutzern die Bereitschaft fehle, europäische Anwendungen zu kaufen.
    Kritik gibt es derweil an den sogenannten „Buy-European“-Regeln, die das EuroStack-Konzept vorsieht: Diese umfassen eine Beschaffungsquote, die in der EU-Vergaberichtlinie festgelegt werden könnte und die Nachfrage nach europäischen Lösungen ankurbeln soll. Ökonomen zufolge verstoße dieser Vorschlag allerdings gegen Richtlinien der Welthandelsorganisation, wonach Anbieter aus allen Mitgliedstaaten gleich behandelt werden sollen.

    Produktion von Mikrochips für die Halbleiterindustrie

    Eine besondere Herausforderung ist das Ziel, die Halbleiterproduktion in Europa zu erhöhen. Ein Unterfangen, mit dem die EU-Kommission sich seit der Corona-Pandemie 2021 beschäftigt, als es zu stockenden Lieferketten kam.
    Die Wertschöpfungskette zur Produktion von Mikrochips für die Halbleiterindustrie ist über den ganzen Globus verstreut – mit verschiedenen Abhängigkeiten: So sind die USA auf das Design von Chips spezialisiert, Taiwan und Korea auf die Herstellung, Japan und einige EU-Länder auf Maschinen für die Herstellung, aus China kommen oft die benötigten Rohstoffe und seltenen Erden. 
    Diese Strukturen müssen mitgedacht werden. Europa könnte hier laut EuroStack punkten, indem es sich auf die Produktion von Chips im Automobilbereich und der Leistungselektronik konzentrieren würde.

    Mehr strategische Zusammenarbeit in der EU

    Schließlich wird der Ausbau strategischer Partnerschaften als von EuroStack als relevant erachtet: Denn die sehr verschiedenen Standards zwischen den EU-Staaten erschweren derzeit den Ausbau einer gemeinsamen europäischen Strategie in der Digitalpolitik.
    Um einen starken europäischen Binnenmarkt zu entwickeln, müssten die Regeln innerhalb der EU vereinheitlicht werden und die 27 EU-Länder besser zusammenarbeiten.

    Welche geopolitischen Konflikte gibt es?

    Der Ausbau einer starken europäischen digitalen Infrastruktur wie Cloud-Anwendungen ist zuletzt wichtig, damit sich Europa geopolitisch von den USA unabhängiger machen kann. Durch die Abhängigkeit von US-amerikanischen Anwendungen befürchten Kritiker, einen sogenannten ‚Kill Switch‘: die Fern-Abschaltung amerikanischer Digitaldienste.
    Tatsächlich führte die Politik der Trump-Regierung jüngst zum Eklat: So verhängten die USA im Februar 2025 Sanktionen gegen Karim Khan, Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH). US-Präsident Trump hatte seine Entscheidung damit begründet, dass der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag mit der Beantragung eines Haftbefehls gegen den israelischen Regierungschef Netanjahu im November 2024 seine Macht missbraucht habe. Kurz nach Verhängung der Sanktionen verlor Khan den Zugang zu seinem dienstlichen Microsoft-E-Mail-Konto.

    tan