
Medien berichten, wegen akuter Lieferengpässe bei Mikrochips für die Autoindustrie habe Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier von der CDU einen Brief an die taiwanesische Regierung geschrieben. Das wirft Fragen auf – nicht nur, weil die Bundesrepublik Taiwan nicht als Staat anerkennt. Die Sprecherin des Wirtschaftsministers bestätigt einen Kontakt, wenngleich nur mit knappen Worten.
"Deshalb beobachten wir die Lage da im Markt auch sehr genau und befinden uns im Austausch mit der Automobilindustrie, aber auch im Austausch mit dem taiwanesischen Wirtschaftsministerium."
Ohne Chips geht nichts mehr in modernen Autos
Überall auf der Welt stehen Auto-Fabriken Anfang des Jahres zeitweise still. Nicht nur Deutschland mischt daher plötzlich mit im Halbleiter-Markt. So verkündete die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki: "Die Regierung macht gerade potenzielle Engpässe in der Lieferkette ausfindig und arbeitet aktiv mit den wichtigsten Industrievertretern und Handelspartnern an einer Lösung."
Warum aber sind die kleinen Mikrochips so wichtig, dass sie ganze Produktionslinien lahmlegen?
"Also die Chips, die bei uns momentan fehlen, das sind primär komplexe Chips für die Steuerung von Bremssystemen, Motorsteuergeräten und anderem. Das heißt insbesondere leistungsfähige Mikrocontroller", sagt Joachim Damasky, technischer Geschäftsführer beim Verband der Automobilindustrie.
Die komplizierte Produktion braucht Zeit
"Man muss sich vorstellen, dass ein Auto heute mehr Softwarecode hat als ein Flugzeug", ergänzt der Autoanalyst Arndt Ellinghorst von Bernstein Research in London. "Die Ansprüche sind enorm hoch, weil alles was im Auto passiert ist natürlich höchst sicherheitsrelevant. Wenn etwas nicht funktioniert, können Leute sterben. Und insofern ist natürlich alles, was mit Halbleitern, mit Informationen im Fahrzeug zu tun hat, extrem relevant. Und wenn die Teile an der ein oder anderen Stelle fehlen, dann kann man die Autos nicht produzieren."
Denn die komplizierte Produktion kann nicht von einem Tag auf den nächsten hochgefahren werden. Hauchdünne Siliziumscheiben, sogenannte Wafer, werden in mehr als 1.000 Prozessschritten so bearbeitet, dass winzig kleine Strukturen darauf entstehen.
Fraunhofer-Forscher Michael Töpper: "So ein Wafer hat eine Durchlaufzeit in der Halbleiterfabrik irgendwas zwischen sechs Wochen und drei Monate. So lange dauert das, bis die Siliziumscheibe eigentlich als nackte Scheibe, als Einkristall, durch die Fertigung durch ist und dann eigentlich ein fertiger Chip hergestellt wird."
Dabei wird das Silizium mehrfach beschichtet und mit speziellen Schablonen belichtet, kleinste Stellen werden verätzt und mit Ionen beschossen. So entstehen, je nach Durchmesser der Scheibe und Größe der Chips, einige Dutzend bis mehrere Tausend Chips auf einem Wafer.
Das alles passiert in sogenannten Reinräumen: speziellen Fabriken mit stabiler Temperatur und Luftfeuchtigkeit, in denen die Luft beinahe staubfrei ist. Denn schon kleinste Partikel könnten die Produktion torpedieren: Die Strukturen auf den fertigen Chips sind winzig, gemessen werden sie in Nanometern. Ein Nanometer ist ein Milliardstel Meter.
Lieferprobleme haben vielfältige Gründe
Kunden müssen also frühzeitig bestellen, um pünktlich beliefert zu werden. Dieses System ist in den vergangenen Monaten an seine Grenzen geraten. Versorgungsengpässe bei Rohstofflieferanten, geopolitische Spannungen zwischen China und den USA sowie ein durch die Corona-Pandemie verzerrter Markt für die Miniatur-Rechner sind die Gründe.
Abhängig von chinesischer Silizium-Produktion
Während der Rohstoff knapper wurde, wirbelte die Corona-Pandemie die Nachfrage nach Chips durcheinander. Wübbeke sieht darin die Hauptursache für den aktuellen Mangel. "Der Punkt war ja, dass die Nachfrage nach Automobilen in der Krise erstmal relativ stark abgesackt ist. Für die Chip-Hersteller hat das bedeutet, sie brauchen erstmal andere Kunden. Dann hat man eben stärker fokussiert auf 'consumer electronics', auf Endgeräte im Elektronikbereich. Und fährt damit jetzt eigentlich auch ganz gut."
Denn die Elektronikkonzerne sind gute Kunden. Allein Apple fragt so viele Chips nach wie die gesamte Autobranche. Die sonst so mächtige Automobilindustrie hat daher in der Mikrochipbranche keinen vorrangigen Stellenwert, erklärt der Autoanalyst Arndt Ellinghorst: "Die Autoindustrie nimmt etwa zwölf bis 13 Prozent der gesamten Halbleiter ab, die in der Chipindustrie produziert werden. Das heißt die Autoindustrie spielt eine Rolle in der Halbleiterindustrie. Aber eine relativ kleine Rolle. Deswegen ist die Handlungsmacht natürlich auch eingeschränkt der Autohersteller."
Unter den Chip-Giganten kein deutscher und kein europäischer
Von diesen Foundries gibt es nur etwas mehr als eine Handvoll weltweit. Das liegt vor allem an den Produktionskosten, erklärt Joachim Damasky vom Automobilverband VDA: "Man muss einfach sehen, dass es eine Verlagerung in den letzten Jahren dahingehend gab, dass die Halbleiterhersteller die hohen Investitionskosten, die notwendig sind, um eine mehrere Milliarden Euro teure Produktionsanlage irgendwo aufzubauen für bestimmte Prozessoren, nur dann getragen werden können, wenn man die sehr hoch auslasten kann. Und das können diese Auftragsfertiger halt deutlich besser."
Die Kosten für die Herstellung von Mikrochips und ihr Marktpreis stehen also in einem so ungünstigen Verhältnis, dass sich viele kleine Fabriken nicht lohnen. So sind im Hintergrund wahre Chip-Giganten entstanden. "Und das Problem ist, dass kein deutscher dabei ist und eigentlich auch kein Europäer."
Das weltweit führende Foundry-Unternehmen ist die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company – kurz TSMC. Der nach Umsatz zweitgrößte Fertiger ist mit einigem Abstand die Foundry-Tochter des südkoreanischen Samsung-Konzerns. Auf Platz drei folgt das Unternehmen Globalfoundries, das zwar eine Fabrik in Dresden betreibt, seinen Sitz aber in Kalifornien hat und einer Investmentgesellschaft aus Abu Dhabi gehört.

Lieferketten unabhängiger machen durch europäische Zusammenarbeit
Joachim Damasky vom Autolobbyverband VDA geht gedanklich noch einen Schritt weiter: "Natürlich ist es so, dass geopolitisch hier schon wir auch als Europäer darüber nachdenken müssen, inwieweit wir unsere Lieferketten ein Stück unabhängiger gestalten können."
Ähnliche Überlegungen gibt es auf politischer Ebene: Bereits 2017 hat Deutschland zusammen mit drei weiteren EU-Ländern ein sogenanntes "wichtiges Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse" für Mikroelektronik angestoßen. Für diese Vorhaben erlaubt die EU Ausnahmen von ihren Beihilfe-Regeln, es darf also mehr als sonst subventioniert werden. Seit 2019 fließen die Mittel. Eine Milliarde Euro hat Deutschland bis 2023 veranschlagt. Die geförderten Unternehmen investieren ihrerseits 2,6 Milliarden Euro in Deutschland. Und die nächsten Subventionsprojekte sind schon in Sicht.
Johannes Bahrke, Sprecher der EU-Kommission für Fragen der Digitalwirtschaft: "19 EU-Staaten – darunter auch Deutschland – haben sich in einer gemeinsamen Erklärung verpflichtet, bei Prozessoren und Halbleitertechnologie enger zusammenzuarbeiten. Die EU-Kommission arbeitet ihrerseits an der Gründung einer europäischen Allianz für Mikroelektronik und Prozessoren."
Eine Idee, die EU-Industriekommissar Thierry Breton seit geraumer Zeit verfolgt. 20 bis 30 Milliarden Euro sollen durch Subventionen und private Investitionen zusammenkommen, so seine Idee. Auch die erneute Zusammenarbeit mehrerer europäischer Staaten verspricht Beiträge in dieser Größenordnung. Die genaue Summe steht aber noch nicht fest.
Auf einer Konferenz mehrerer Zeitungsverlage kündigte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier jüngst an: "Das wird in Milliardengrößenordnungen gehen. Ich gehe davon aus, dass wir, wenn alle Staaten ihre Beträge festgelegt haben und dann die Unternehmen Anträge stellen auf Förderung und sagen, was sie bereit sind zu investieren, dass wir einen deutlich zweistelligen Betrag zusammenbekommen werden."
Chipfabriken in Europa in den nächsten Jahren wenig realistisch
Strukturen von fünf Nanometern gelten aktuell als Spitzenstandard. Michael Töpper vom Fraunhofer-Institut schätzt: "Wenn Sie heute so eine neue, 5-Nanometer-Fab bauen, da rechnet man schon, na, so Größenordnung 15 Milliarden Euro oder US-Dollar. Und das sind dann schon Summen, da kann nicht jeder mehr mithalten."
Deshalb ist längst nicht jeder in der Branche überzeugt, dass die Subventionen ausreichen werden, Europa technologisch unabhängig zu machen.
Der Chef des Automobilzulieferers ZF Friedrichshafen etwa, Wolf-Henning Scheider, dämpft die Euphorie des Wirtschaftsministers: "Es ist durchaus begrüßenswert, wenn wir Fabs, also Chipfabriken, nach Deutschland, nach Europa bekommen. Und ich glaube das ist für Standardmikroprozessoren durchaus auch möglich. Bei den Hochleistungsrechnern sind wir allerdings so weit hinten dran – da gibt es momentan kein einziges europäisches Unternehmen, das auch nur annähernd in die Richtung von den Vorreitern hier in der Welt kommt – da sehe ich das über die nächsten wenigen Jahre als absolut nicht realistisch, dass wir dahin kommen."
Im Rahmen einer Gesamtdigitalstrategie sei es dennoch denkbar, den Schritt zu wagen. Das aber, glaubt der Industrielle, dauere dann wohl eher Jahrzehnte.
Europäische Konzerne mit Zukunftstechnik – nach Asien verkauft
Anders ist das im Fall der zweiten großen Übernahme im deutschen Chipmarkt: Siltronic, ein Hersteller von Wafern aus München, ist der einzige nennenswerte europäische Zulieferer der dünnen Siliziumscheiben. Künftig gehören mindestens 57 Prozent dem Konkurrenten Globalwafers aus Taiwan.
Übernahmen aus Asien – ein Anlass zur Prüfung für die Regierung?
Das mehrfach verschärfte Außenwirtschaftsrecht ist Sache des Bundeswirtschaftsministers. Er kann bei Übernahmen einschreiten, wenn diese die öffentliche Ordnung oder Sicherheit voraussichtlich beeinträchtigen. Geprüft werden auch Auswirkungen auf EU-Programme.
Ob das Ministerium im Fall von Siltronic Anlass zu dieser Prüfung sieht? Eine Sprecherin lässt diese Nachfrage des Deutschlandfunks unbeantwortet: "Wie Sie sicher wissen, können wir uns zu etwaigen Prüfverfahren nicht äußern, das heißt ich kann das weder bestätigen noch dementieren. Ich kann auch nicht sagen, ob wir so etwas anstreben. Unser Ziel war es nie und ist es auch nicht, jetzt generell keine Übernahmen mehr zuzulassen, das ist gar nicht vereinbar damit, dass wir ein sehr offener und freier Wirtschaftsstandort sind und das auch bleiben wollen."
Da es nur um eine Teilübernahme geht, sei das nicht unbedingt ein Fehler, meint auch der Fraunhofer-Forscher Michael Töpper. Mit Blick auf die aktuelle Lage schränkt er aber ein: "Aber eigentlich sollte man den Rohstoff nicht auch noch komplett wieder auslagern. Weil dann steht irgendwann die deutsche Halbleiterindustrie da und hat dann keine Wafer, wenn das alles kontrolliert wird. Weil eigentlich sind die Wafer so wie das Rohöl früher für die chemische Industrie. Man braucht die halt, diese Scheiben."
Das Management von Siltronic steht indes hinter dem geplanten Zusammenschluss. Zudem hat man sich mit Globalwafers auf eine Garantie für die deutschen Standorte sowie auf einen Kündigungsschutz bis Ende 2024 geeinigt. Schreitet die Bundesregierung ein, hat sie die Firma also gegen sich. Tut sie es nicht, wird Taiwans herausragende Stellung in der Mikrochipindustrie weiter gestärkt.
Welt der Mikrochips wird zum Schauplatz für die Weltpolitik
"Der größte chinesische Chiphersteller kriegt dann eben relativ viel Geld von der chinesischen Regierung, um dann eben ein schickes Werk in Shanghai aufzubauen. Und auf der anderen Seite hat man dann andere Halbleiterunternehmen, die dann eben nicht mehr so unterstützt werden. Und langfristig kann sich das natürlich auszahlen. Und China kämpft da auch mit harten Bandagen und auch natürlich zum Teil unfairen industriepolitischen Praktiken, das darf man natürlich nicht vergessen."
Die kleine Welt der Mikrochips ist zum Schauplatz für große Weltpolitik geworden. Und Europa, das stark von seiner Autoindustrie abhängt, steckt mittendrin. Die Verfügbarkeit von Chips werde immer wichtiger, prognostiziert der Automobilexperte Arndt Ellinghorst: "Man muss in diesen Technologien – das gilt für alle Tech-Bereiche der Autoindustrie – muss viel stärker in Europa investiert werden. Wir brauchen die Kapazitäten, um die Lieferfähigkeit der Autoindustrie sicherzustellen. Und wir müssen die extremen Abhängigkeiten von asiatischen Zulieferketten reduzieren. Ansonsten wird das, was jetzt mit der Halbleiterthematik hochgekommen ist, noch in viel größerem Ausmaß in Zukunft wieder auftreten."