Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Digitaler Protest
Widerstand aus virtuellen Räumen

In der kunterbunten Welt des Computerspiels "Animal Crossing" machen Spieler als knuffige Spielfiguren nicht nur Urlaub von der Realität, sondern protestieren auch. Hongkong-Aktivisten nutzen das virtuelle Paradies als Protestraum, um gegen ihre Regierung vorzugehen - mit interessanten Resultaten.

von Christian Schiffer | 13.08.2020
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Ein Screenshot aus dem Computerspiel "Animal Crossing", das von Hongkong-Aktivisten zum virtuellen Protest genutzt wird (Nintendo EPD)
"Animal Crossing: New Horizons" ist ein knuffiges Spiel. Die Figuren sind knuffig, die Bäume sind knuffig, ja sogar Brücken, Fische oder Wespennester sind knuffig. Weit über 13 Millionen mal hat sich das Nintendo-Spiel bislang verkauft, welches im März 2020 erschienen ist. "Animal Crossing", das ist die kunterbunte Antithese zur tristen Corona-Realität, eine Mischung aus Lebenssimulation und Kreativbaukasten und ein Feel-Good-Game, in dem man eigentlich gar nicht mal so viel mehr tut, außer mit anderen zu angeln, zu ernten und zu werkeln. Trotzdem ist dieses Spiel in China nicht mehr erhältlich und das hat unter anderem damit zu tun, dass die knuffigen Schmetterlingsnetze in "Animal Crossing" nicht nur dazu verwendet werden, um knuffige Schmetterlinge zu fangen, sondern auch dazu, auf Bilder einzuschlagen, die Carrie Lam zeigen, die peking-treuen Regierungschefin von Hongkong.
Gasmasken als Protest-Symbol
Es handelt sich nicht um die einzige Protestaktion in "Animal Crossing": Videos zeigen, wie sich die Computerspielfiguren eine Gasmaske aufsetzten, auch das ein Symbol der Proteste in Hongkong. Andere Clips zeigen Poster, die in die Spielwelt drapiert wurden und auf denen "Free Hong Kong" steht. Stephan Schwingeler ist Professor für Medienwissenschaften an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim. Er sagt: Dass ausgerechnet knuffige Comicfiguren mit Knollnase und Kulleraugen zum Widerstand blasen, macht den Protest noch interessanter:
"Ja, das ist auf den ersten Blick natürlich ein Bruch, und der Bruch besteht absolut darin, dass in dieser heilen, wiederum hermetisch abgeschlossene Welt des Spiels und seiner Regeln auf einmal von außen etwas hineinkommt, nämlich tagesaktuelle politisches Geschehen, was da gewissermaßen eigentlich nichts zu suchen hat. Natürlich gibt's da einen ganz starken ästhetischen Bruch, aber der macht die Sache natürlich von außen betrachtet paradox, aber auch sehr, sehr interessant."
Dass innerhalb virtueller Umgebungen protestiert wird, ist gar keine so neue Entwicklung. 2020 kreiert die Künstlerin Anne Marie Schleiner eine Reihe von pazifistischen Graffitis, die man mit Hilfe seiner Waffe in dem berüchtigten Ego-Shooter Counter Strike an die Wand sprühen kann. Wenn es um China geht, dann spielt nicht nur Animal Crossing eine subversive Rolle, sondern auch der Team-Shooter "Overwatch", wo die Spielfigur Mei zum Symbol des Widerstands avanciert ist.
Echte Menschen hinter Spielfiguren
Computerspiele sind eben mehr als Computerspiele, sagt Stephan Schwingeler: "Es handelt es sich eigentlich um ganze Räume, die da aufgemacht werden, in denen sich echte Menschen bewegen. Die sind dann manchmal repräsentiert als putziger Waschbär, manchmal als waffenstarrender Söldner. Aber dahinter stehen echte Menschen, und wenn sich Menschen tatsächlich treffen, dann ist es so, dass diese echten Menschen auch die Dinge tun, die sie tatsächlich bewegen. Und das kann ein Protest sein. Das kann aber auch alles Mögliche sein, was mit Konsum zusammenhängt. Das können politische Inhalte sein. Das kann Sex sein. Das sind also alles die Dinge, die die Menschen von Grund auf bewegen, die dann innerhalb virtueller Umgebungen auch ausgelebt werden."
Zuckersüßer Schutzraum für Protest
"Bürger, lass das Glotzen sein, komme herunter reih Dich ein!", so lautet ein altgedienter Demo-Gassenhauer. Heute reihen sich die Bürger auch mal virtuell ein und Bilder des Protests gelangen nicht über die Nachrichten an die Öffentlichkeit, sondern über die sozialen Netzwerke. Vor allem aber muss in "Animal Crossing" niemand Angst vor Pfefferspray, Tränengas, Schlagstöcken und Gesichtserkennung haben. Die zuckersüße Welt aus "Animal Crossing" ist ein geschlossener Schutzraum, frei von Zensur und Überwachung – so zumindest das Versprechen. Aber das Spiel erfüllt auch eine andere, eine symbolische Funktion.
"Wir haben ja gesehen, dass zum Beispiel auch die Karikaturen, die mit Winnie the Puuh zusammenhängen, was auf den ersten Blick harmlos wirkt, durchaus Eindruck machen auf die chinesische Führungsriege. Und dementsprechend ist es nicht ausgeschlossen, dass auch so etwas auf den ersten Blick harmloses wie "Animal Crossing" dann doch einen Einfluss hat. Auf einer symbolischen Art und Weise, das heißt, es ist nicht ausgeschlossen, dass das hier Symbole entstehen, politische Symbole, die aus einem anderen Kontext stammen, die aber dann eben aufgeladen werden und dadurch eben auch einen ganz starken Einfluss und Impact entwickeln können."
Ob dieser Impact am Ende aber groß genug ist, um der Führung in Peking gefährlich zu werden, dass muss sich noch zeigen. Zweifel scheinen angebracht, denn eines ist klar: Die chinesische Führung ist vieles, aber eines ganz sicher nicht, nämlich: knuffig. Insbesondere im Umgang mit ihren Kritikern.