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Digitalisierung in der Wissenschaft
Open Science noch nicht im Forschungsalltag angekommen

Eine frei zugängliche Suchmaschine für Forschungsdaten und Literatur soll in den nächsten Wochen online gehen. Damit diese funktioniert, müssen Wissenschaftler ihre Daten zur Verfügung stellen. Doch die wenigsten Forscher erklären sich dazu bereit, ihre Ergebnisse zu teilen.

Von Philip Banse |
Klaus Tochtermann, der Direktor des Kieler Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft vor der Open Science Ausstellung
Die Open Science Ausstellung des Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft zeigt unter anderem eine Software für Offene Wissenschaft (Philip Banse)
"Open Science ist im Bewusstsein der Forschenden drin. Das ist schon mal der erste Schritt."
Klaus Tochtermann, Leiter des Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft in Kiel, das die Open-Science Ausstellung verantwortet. Aber:
"Es fehlt derzeit noch an Umsetzungsinstrumenten, um Open Science wirklich in den Forschungsalltag hineinzubringen."
Deswegen auch die Ausstellung. Denn das Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, kurz ZBW, ist in erster Linie ein Dienstleister:
"Unser Ziel ist es, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu versorgen mit allem, was sie brauchen. Das ist Literatur, das sind aber auch Forschungsdaten."
Und um rauszufinden, wie Werkzeuge und Infrastruktur aussehen müssen für eine Offene Wissenschaft, forscht das ZBW selbst und baut auch Software, sagt die Pressesprecherin Doreen Siegfried. Und einige Ergebnisse dieser Arbeit werden nun eben in dieser kleinen Ausstellung gezeigt, die in einem Klassenraum Platz hätte:
"Nehmen wir mal ein Beispiel: Wir interessieren uns für die Frage: Wie ernährt sich die Menschheit im Jahr 2050?"
Wissenschafts-Suchmaschine Gerdi
Doreen Siegfried steht vor einem Computerbildschirm, zu sehen eine Suchmaschine, aber nicht Google, sondern Gerdi, eine Suchmaschine, die in zwei, drei Wochen online gesehen soll, mit der Forscher und Forscherinnen zu diversen Themen wissenschaftliche Rohdaten suchen können. Ernährung in 50 Jahren? Dafür braucht man Daten zu Klima, Fischbeständen, Bevölkerungsentwicklung. Heute müssen Wissenschaftler danach sehr umständlich suchen, manchmal sogar durch die halbe Republik fahren – und wüssten immer noch nicht, ob sie wirkliche alle wichtigen Daten haben:
"Und mit Gerdi soll es so sein, dass ich tatsächlich einen Begriff eingebe oder zwei und dann bekomme ich alle Repositorien angezeigt und im Idealfall kann ich mir die Sachen dann auch direkt runterladen."
Repositorien - das sind Dokumentenserver, auf denen wissenschaftliche Materialien archiviert sind. Das Finden und Runterladen von dort funktioniert jedoch nur, wenn Forscher ihre Rohdaten, ihre Messdaten, Bilder, Excel-Tabellen auch komplett ins Netz stellen – gut erklärt und verschlagwortet:
"Aber, das funktioniert ja in der Praxis nicht"
Sieben Anreize, Wissenschaft zur Verfügung zu stellen
Welche Anreize also brauchen Wissenschaftler, um ihre Rohdaten, den Rohstoff ihrer Forschung, zu teilen? Das hat das ZBW in einem anderen Projekt an über 1500 Probanden untersucht, Titel: Data Sharing as Social Dilemma:
"Das ist hier mal als Infografik das Ergebnis, was hier dargestellt ist."
Ergebnis: Es gibt sieben Anreize; Jeder Forscher-Typ braucht jedoch andere Anreize:
"Dann nehme ich den aufgeschlossenen Typ, folge diesem grünen Pfad und der sagt: 'Ich möchte, dass mich mein Arbeitgeber unterstützt.' Und der labile und verletzliche Typ, der ist dann blau und der hat dann zwei Motivationen, einmal: 'Ich möchte eine Veto-Option in Bezug auf die Nutzung meiner Daten haben.' Und ihm ist wichtig: 'Ich brauche detaillierte Informationen über das konkrete Verfahren der Daten-Teilung und der Nutzungsbedingungen.'"
Forscher und Forscherinnen wollen nicht mit Geld entlohnt werden, sondern mit Reputation, zeigt Doreen Siegfried an einer anderen Schautafel, die Umfragen grafisch darstellt:
"Was tatsächlich am besten funktioniert, ist Daten-Zitation. Also das heißt, wenn ein Nachnutzer meine Forschungsdaten verwendet für eigene Forschungsprojekte und ich dann zitiert werde in den Fußnoten oder hinten im Literaturverzeichnis, dann ist das ein Anreiz tatsächlich. Denn dann bin ich sichtbar und man sieht, dass tatsächlich der Forschungsdatensatz so gut ist, dass auch andere ihn nutzen können und auch so relevant und wichtig ist."
"Die Bereitschaft, Daten zu teilen ist. Das Bewertungssystem in den Wissenschaften bremst diese Bereitschaft noch aus."
Bei Stellenausschreibungen, Berufungen oder Förderanträgen zähle allein: Wieviel hast du in welchen Zeitschriften veröffentlich, sagt Klaus Tochtermann, Leiter des Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. Die großen Wissenschafts-Institutionen müssten endlich weitere Bewertungskriterien entwickeln:
"Beispielsweise Engagement im Bereich Open Access. Wie viele Forschungsdatensätze habe ich veröffentlich? Wie viel Software habe ich Open Source genutzt oder anderen zur Verfügung gestellt? All sowas ist ja in der Dokumentation heutiger Berufungsverfahren nicht gefordert."