Christoph Heinemann: Am Telefon ist Konstantin von Notz, Bundestagsabgeordneter und Netzpolitiker von Bündnis90/Die Grünen. Guten Tag!
Konstantin von Notz: Guten Tag, Herr Heinemann!
Heinemann: Herr von Notz, verlieren sich Politiker und Hacker aus den Augen?
von Notz: Sie dürfen es auf keinen Fall tun, denn die Digitalisierung ist ein hochpolitischer Prozess. Diese Transformation, die wir im Augenblick durchleben, die Frage, ob Freiheit und Rechtsstaatlichkeit und demokratischer Diskurs in Zukunft so selbstverständlich bleiben, wie sie es heute sind, die Frage stellt sich. Und deswegen braucht es jeden, der da mitstreitet für die richtigen Ziele und die Rechtsstaatlichkeit, und da gehört der Chaos Computer Club fest dazu.
Heinemann: Beklagen denn die Hacker, wie gehört, diese Entfremdung zur Politik, zu recht?
von Notz: Ja, sie beklagen es zurecht. Wobei das in dieser Pauschalität eben meiner Ansicht nach nicht richtig ist. Man muss schon mit ein bisschen Differenz auf die Dinge gucken. Es gibt sehr unterschiedliche Akteure im politischen Raum, die sehr unterschiedliche Dinge fordern. Die Große Koalitionen haben in diesem Bereich der Digitalisierung und auch, was die Fragen der Rechtsstaatlichkeit im digitalen Raum angeht, das Unbeobachtetsein, die Frage der Netzneutralität und Ähnliches hat die Große Koalition eben wirklich nicht weitergeholfen. Und diesen Frust verstehe ich sehr gut, denn das geht mir ganz ähnlich.
Heinemann: Wenn ich das richtig verstanden habe, differenzieren die Hacker aber nicht nach Parteien, sondern sprechen von der Politik.
von Notz: Das nehme ich niemandem übel, aber wenn man Demokratie ernst nimmt, dann muss man schon gucken, wer da wie unterwegs ist und wer was fordert. Und ich kann nur sagen, bei den Jamaika-Sondierungen gab es ja in dem Bereich durchaus viele positive Verständigungen. Das ist dann am Ende nicht zustande gekommen, weil eine Partei es vorgezogen hat, den Tisch zu verlassen. Aber es ist schon eine andere Politik als die der Großen Koalition möglich, und es ist auch zwingend erforderlich.
Und ich glaube, diese harsche Kritik – ich kann sie gut verstehen – des Chaos Computer Clubs ist auch immer eine Frage der Selbstverortung, ein infrage stellen der Dimension der eigenen Arbeit - wie politisch ist man selbst. Und ich sage mal, jetzt zu sagen, wir sind eine zivilgesellschaftliche Kraft, die diese Werte von Freiheit, von Rechtsstaatlichkeit, von Vertrauen, von Demokratie ins Netz tragen und dort verteidigen wollen, dieses zivilgesellschaftliche Rolle, die ist ganz wichtig, und die ist natürlich auch irgendwie hochpolitisch.
Heinemann: Fragt sich, ob sie auch in der Praxis funktioniert. Welche wichtigen Anstöße der Netzfachleute hat die Politik denn bisher aufgenommen und gesetzlich geregelt?
von Notz: Ich glaube, dass wir durch auch vom Chaos Computer Club stark mit unterstütztes Problembewusstsein für die Veröffentlichungen von Edward Snowden überhaupt nur diesen Untersuchungsausschuss durchbringen konnten, den Untersuchungsausschuss der letzten Wahlperiode zum NSA-BND-Skandal. Die Erkenntnisse, die wir da gewinnen konnten, die sind einzigartig, und sie haben uns einen Einblick gegeben im Hinblick auf die Umtriebe von Diensten im Netz, was uns einen ganz entscheidenden Schritt weitergeholfen hat. Und wenn man sich jetzt mal umguckt in der Welt – es ist nicht so, dass alle anderen Länder so was gemacht hätten, sondern das ist in Deutschland schon sehr einzigartig, ist auch verbunden mit dieser kritischen Öffentlichkeit, gerade auch durch die Arbeit des Chaos Computer Clubs.
Also, ich wäre nicht so defätistisch. Aber ich stimme völlig zu, es ist nichts, was auf Autopilot fliegt, und es gibt vehemente Streiter für sozusagen mehr Überwachung, weniger Rechtsstaatlichkeit, und bei Freiheitsrechten kann man ruhig mal fünf gerade sein lassen, und so ein bisschen autoritärer darf der Staat sein, aber doch zumindest im Internet und so. Und da muss man scharf gegenhalten, und da ist der Chaos Computer eine ganz wichtige Stimme.
"Gute Dinge setzen sich am Ende durch"
Heinemann: Und er war ja auch schon mal eingebunden in der vorletzten Legislaturperiode, in der Enquetekommission Digitale Gesellschaft, Sie haben ihr angehört. Daraus ist aber nichts geworden, sagen zumindest die Fachleute.
von Notz: Ja, wir haben da auch drei Jahre lang in dieser Enquetekommission zusammengearbeitet mit Leuten aus der Wissenschaft und auch mit Leuten vom Chaos Computer Club, mit Constanze Kurz und Markus Beckedahl und anderen, die sich da sehr engagiert haben. Und was wir aufgeschrieben haben, das war, glaube ich, immer noch, wenn man das heute liest, ist das sehr progressiv und gut.
Das Problem war die Große Koalition, die das dann übernommen hat, die hat halt relativ wenig davon die letzten vier Jahre umgesetzt, und das beklage ich so scharf und so schmerzlich, wie der Chaos Computer Club das tut. Und man muss sagen, die Digitalisierung in Deutschland hat sich in den letzten vier Jahren eben nicht zum Besseren entwickelt, weder beim Breitbandausbau, noch die letzten Entscheidungen zur Netzneutralität, die ganze Frage des Datenschutzes und der Integrität der digitalen Infrastruktur, das sind alles Baustellen. Und stattdessen haben wir gegenläufige Entwicklungen. Die Sicherheitsbehörden wollen Hintertüren in unserer Software haben.
Man überwacht lieber 80 Millionen als acht Gefährder, das ist alles verrückt. Aber man darf sozusagen sich von diesen großkoalitionären Mechanismen nicht verschrecken lassen, sondern man muss dafür streiten und kämpfen, und ich glaube fest daran, dass solche Positionen in der Demokratie mehrheitsfähig sind, und deswegen würde ich jetzt nicht ganz so pessimistisch sehen, wie das jetzt da ein bisschen aus Leipzig klingt, sondern wir müssen einfach sehr hart dafür streiten, und gute Dinge setzen sich am Ende durch.
Heinemann: Benötigen wir ein eigenes Ministerium für die digitale Gesellschaft?
von Notz: Ich bin da eher skeptisch. Vor fünf Jahren hätte ich Ihnen noch gesagt, das ist irgendwie eine interessante und spannende Idee. Inzwischen ist es so, dass alle Ministerien eigene Digitalabteilungen aufgebaut haben.
"Digitalisierung braucht dringend eine bessere Koordination"
Heinemann: Aber das ist doch Teil des Problems.
von Notz: Auf der anderen Seite, es ist eben einfach das Querschnittsthema unserer Zeit, und Sie können eben jetzt nicht aus allen – also wenn Sie jetzt digitale Arbeit und alles, was im Bereich Digitalisierung im Gesundheitsbereich passiert, aus dem Arbeitsministerium und aus dem Gesundheitsministerium herausnehmen und in ein eigenes Ministerium werfen. Dann ist das auch irgendwie schräg, weil dann ist sozusagen das Gesundheitsministerium nur noch für analoge Gesundheitspolitik zuständig.
Ich würde sagen, es braucht dringend eine bessere Koordination, das muss zwingend passieren. Wie das die letzten Jahre gelaufen ist, ist sehr unbefriedigend und hat eben auch diese schlechten Ergebnisse in den eben genannten Bereichen mit sich gebracht. Ich könnte gut damit leben, dass man beim Bundeskanzleramt eine Staatsministerinnenstelle aufsetzt, wo eben eine Person am Kabinettstisch die Verantwortung trägt und diese Prozesse koordiniert. Aber jetzt ein gigantisches Ministerium zu schaffen und allen anderen Ministerien diese Bereiche wegzunehmen, wird, glaube ich, nicht funktionieren.
Heinemann: Konstantin von Notz, Bundestagsabgeordneter und Netzpolitiker von Bündnis90/Die Grünen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
von Notz: Vielen Dank, alles Gute für Sie!
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