Donnerstag, 28. März 2024

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Digitalisierung
Mit Tablet statt Stift und Papier in die Schule

Der Nachholbedarf der Schulen bei der Digitalisierung ist gewaltig. Einer Studie zufolge haben Achtklässler in Deutschland nur an jeder 16. Schule Zugriff auf ein Tablet. Das St. Josef-Gymnasium im thüringischen Dingelstädt hat den digitalen Rückstau hinter sich gelassen.

Von Henry Bernhard | 27.08.2018
    Schüler Rüsselsheim Gymnasium 7. Klasse Tablet-PCs Tablet Tablet-PC Internet Internetzugang Unterricht Klasse mobil mobiler Computer
    Digitales lernen verändert den Schulalltag (picture alliance / dpa / Arne Dedert)
    "Ich habe jetzt mal gelesen, in der Zeitung stand mal drin über Digitalisierung in der Schule: 'Mehr Computer in die Schule!' Wer so etwas sagt, der hat die Digitalisierung nicht verstanden! Ein mobiles Endgerät in die Tasche, was klein und kostengünstig ist – das ist Digitalisierung Schule, nicht mehr Computer-Kabinett. Computer-Kabinette sind eigentlich out. Vor zehn Jahren war ich stolz, da hatte ich ein vernetztes Computersystem, wir waren mit die erste Schule, die vernetzt war. Und jetzt brauchen wir das feste Netz nicht mehr, weil wir WLAN haben."
    Peter Krippendorf führt stolz durch seine Schule, das St. Josef-Gymnasium in Dingelstädt, im Eichsfeld, einer Region im Norden Thüringens. Der neobarocke Bau, der mit breiten, großzügigen Treppen und Räumen beeindruckt, täuscht: Hier residiert eine der modernsten Schulen Deutschlands. Hier passiert, was überall in Deutschland gefordert wird: Hier hantieren die Schüler immer öfter statt mit Stift und Papier ganz selbstverständlich mit Tablets, also mit Kleincomputern, die etwas kleiner als ein A4-Blatt und nur halb so dick wie eine Streichholzschachtel sind. Peter Krippendorf führt in einen Unterrichtsraum.
    "Zeigt mal, wie ihr den Boxplot überhaupt hinbekommen habt."
    Mathe-Unterricht in der 9. Klasse. Die letzte Stunde vor den Ferien. Horst Kretschmer hat den Schülern ein Arbeitsblatt ausgeteilt, auf dem Aufgaben stehen, deren Lösungsalgorithmus sie noch nicht kennen.
    "Da gibt es im Buch so Aufgaben, wo sie statistische Auswertungen machen. Und das ist eben etwas, was alle brauchen. Und sie sollen eben rausfinden, wie man das selber auch mit dem Tablet darstellt, also mit dem speziellen Mathematik-Programm."

    Die Schüler arbeiten für sich oder mit dem Banknachbar. Marlen arbeitet mit Michelle. Den Lösungsweg haben sie im Internet recherchiert, jetzt geht es um die Anwendung im Tablet-Computer.
    "Also, wir sollen einen Boxplot erstellen. Es gibt da so ein Programm, das heißt GeoGebra. Und da gibt es halt verschiedene Rechner, und damit können wir verschiedene Aufgaben lösen."
    Ende der 8. Klasse haben sie das Tablet in die Hand bekommen. Ihr Eindruck nach dem ersten Jahr:
    "Also, wir hatten zum größten Teil Gleichungssysteme gehabt, und ich muss sagen: Gleichungssysteme mit schwierigen Zahlen, wenn man die jetzt schriftlich rechnen würde, da hat das für dieses Thema viel Erleichterung gebracht, also sehr positiv, jedenfalls für Gleichungssysteme."
    "Es geht jetzt auch viel schneller, weil man es nur eingibt, und dann hat man gleich die Zeichnung da, wie wir es hier gezeigt haben. Und hier muss man alles in den Hefter zeichnen, Koordinatensystem zeichnen. Und das macht es viel einfacher und schneller."
    "Aber ihr seid doch schlau! Und ihr habt ja ohne jeden Zweifel, ohne dass ich Euch das Mindeste erzählt habe, rausbekommen, was ein Boxplot ist und wie ihr es erstellen könnt. Oder? Das war das Ziel; mehr wollte ich nicht machen."
    Mathelehrer Horst Kretschmer erklärt
    Mathelehrer Horst Kretschmer erklärt (Deutschlandradio/H. Bernhard)
    Die Eltern waren sofort überzeugt
    Bei Peter Krippendorff im Büro. Ein großer, hoher Raum, wenig Papier, wenige Bücher, wenig Dekoration, ein Computer. Krippendorff unterrichtet neben seiner Schulleiter-Tätigkeit Mathe und Chemie.
    "Der Ansatz war eigentlich, dass wir in der Fachkonferenz Mathematik über den Taschenrechner gesprochen haben, und zwar über das Computer-Algebra-System. Das ist seit Jahren in Thüringen Pflicht."
    Im Prinzip ein programmierbarer Taschenrechner mit vergrößerter Anzeige, auch für die graphische Darstellung von Funktionen.
    "Dann kam aber die Idee: Es gibt ja dieses Programm GeoGebra, und das läuft über Tablets, über Rechner. Und da haben wir uns überlegt: Wenn wir statt 160 Euro für einen Taschenrechner ausgeben, kaufen wir ein Tablet und haben einen viel größeren Umfang der Möglichkeiten des Einsatzes. Und das war die Geburtsstunde der Idee Tablet-Einführung. Und dann haben wir die Idee in der Lehrerkonferenz vorgestellt. Und plötzlich sagten die Deutsch-Lehrer: 'Oh, das können wir ja im Deutschunterricht auch verwenden!' Die Geographen sagen, 'Wir können das in Geographie gut verwenden!', die Chemiker sagen, 'Oh, wir können Daten aufnehmen und die Daten präsentieren!' Man hat plötzlich gemerkt, dass es ein unwahrscheinlicher Umfang ist, wo es einsetzbar ist."
    Krippendorf überzeugte den Landrat, das Schulamt, das Bildungsministerium in Thüringen von dem Plan, voranzupreschen und sein Gymnasium zu digitalisieren. Der Landkreis zahlte 100.000 Euro für sechs Beamer, fünf Großfernseher und zwei Whiteboards – eine Art interaktive digitale Tafel – für die Unterrichtsräume und für lückenloses WLAN im gesamten Schulgebäude. Gut die Hälfte des Geldes ging dabei für die Verkabelung drauf. Damit war die Schule gerüstet. Die Tablet-Computer für alle Schüler ab dem Ende der 8. Klasse, die 321 Euro aufwärts kosteten, müssen aber die Eltern zu bezahlen.
    "Dann war die Aufgabe, die Eltern zu überzeugen. Ich habe wirklich gesagt: Ohne Eltern führe ich das Projekt nicht durch. Wenn es ein Elternteil gibt, das sagt, 'Das geht nicht', dann lassen wir das Projekt fallen. Und wir haben dann in den Klassen, wo wir es einführen, Elternversammlungen durchgeführt, haben gezeigt, was wir machen können. Habe es an Mathematik aufgezäumt. Habe gesagt: 'Schauen sie sich das mal an: Das ist der Rechner; und jetzt mache ich das Gleiche mit dem Tablet. Schauen sie es sich an der Tafel an'. Da waren sie sofort überzeugt."
    Aber es blieb das Problem: Was ist mit den Schülern, deren Eltern sich kein Tablet leisten können?
    "Im letzten Jahr war das Problem aufgetaucht, da sagte eine Mutter: 'Wenn ich das nicht will, muss ich dann mein Kind an eine andere Schule anmelden?' Da habe ich ihr gesagt, 'Es würde mir unendlich leidtun, wenn sie ihr Kind nicht an der Schule lassen wegen der Tablets'. Und wenn man genauer hinschaut, ist eigentlich eine Finanzierungsfrage, was dahinter steckt. Und da habe ich gute Partner, die helfen können, dass die Kinder, die aus sozial schwachen Familien kommen, da auch soziale Unterstützung bekommen. Wir haben immer so zwei bis drei Tablets, die wir sponsern können. Und da bin ich sehr dankbar für, weil ich will, dass kein Kind aus finanziellen Gründen nicht an diesem Projekt teilnehmen kann. Das geht gegen mein pädagogisches Ethos. Und das schaffen wir bis jetzt."
    In einem Einzugsgebiet wie dem Eichsfeld, das für Ost-Verhältnisse recht wohlhabend ist – die Arbeitslosigkeit liegt bei 3,7 Prozent –, mögen zwei bis drei gesponserte Geräte pro Schule ausreichen. In sozialen Brennpunktschulen käme so ein Projekt aber sehr schnell an seine Grenzen. Das weiß auch Peter Krippendorf.
    "Eigentlich müsste diese Technik ja das Land bezahlen, das wäre mein Traum. Aber das wird es wahrscheinlich nicht werden."
    Das Land oder der Bund. Dessen Projekt Digitalpakt schlummert nun auch schon seit Oktober 2016 in den Startlöchern. Die damalige Bundesbildungsministerin Johanna Wanka hatte den Ländern fünf Milliarden Euro für die Digitalisierung der Schulen zugesagt. Geschehen ist seitdem nicht viel. Die Milliarden sind noch nicht einmal im Bundeshaushalt eingeplant. Mancher bezweifelte gar, dass sie noch in dieser Legislaturperiode fließen werden. Nun haben Bund und Länder zu einer grundsätzlichen Einigung gefunden, wie Helmut Holter, der Vorsitzende der Bildungsministerkonferenz, im Juni bestätigte:
    "In dieser Frage sind Bund und Länder zusammengerückt; man kann auch sagen, wir haben einen Schulterschluss heute geschlossen. Wir wollen zügig den Digitalpakt umsetzen. Das bedeutet, dass wir sagen als Länder: Diese Grundgesetzänderung muss sehr schnell erfolgen, damit das Geld auch ab 1.1.2019 abgerufen werden kann."
    Der Nachholbedarf ist gewaltig
    Die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek besteht auf einer Grundgesetzänderung – wegen des noch immer bestehenden Kooperationsverbots. Denn Bildung ist Ländersache; eigentlich muss sich der Bund aus diesem Bereich heraushalten. Doch Karliczek ist optimistisch, dass im Januar das Geld des Digitalpakts fließen wird.
    "Liebe Kommunen, ihr dürft gerne schon den Glasfaser-Ausbau bis in die Schule hinein organisieren, denn das ist eigentlich nicht Teil des Digitalpaktes. Das ist, glaube ich, wichtig zu sagen, denn oft ist der Eindruck, dass aufgrund gewisser Unsicherheiten jetzt ein Rückstau entsteht. Und das darf auf keinen Fall passieren."
    Der Nachholbedarf ist gewaltig. In einer aktuellen Studie hat die wirtschaftsnahe Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft den Stand der Digitalisierung an den Schulen der Industriestaaten verglichen – wobei Deutschland allenfalls mittelmäßig abschneidet. Nur an jeder 16. Schule haben Achtklässler in Deutschland Zugriff auf ein Tablet. Außerdem fehle es noch mehr an Unterrichtskonzepten und Schulung der Lehrer an der Technik der Zukunft, so die Studie.
    "Ich bin sehr gespannt – das muss ich sagen –, ich bin gespannt, was von den Milliarden, was die Bundesregierung sagt, in der Schule ankommt. Da bin ich echt gespannt. Ich würde mich freuen."
    Gerade der digitale Rückstau brachte den Dingelstädter Schulleiter Peter Krippendorf dazu, selbst umso schneller voranzugehen.
    "Die Kinder beschäftigen sich sowieso mit diesen technischen Geräten. Wir können sie sowieso nicht aus dem Leben der Kinder wegdenken. Ich weiß nicht, ob das Ergebnis des Unterrichts besser ist – kann ich nicht sagen. Der Unterricht ist effektiver, der Unterricht ist anschaulicher … Und warum sollen wir dieses Gerät nicht nutzen für die Bildungs- und Erziehungsarbeit."
    Als er Ministerium, Landrat, Eltern und Lehrer überzeugt hatte, ging es an die Qualifikation der Lehrer. Denn einem Lehrer, der gerade einmal einen Overheadprojektor bedienen kann, nützt die ganze teure technische Ausstattung nichts.
    "Als wir die Tablets eingeführt haben, haben wir die Lehrer gefragt: Was braucht ihr an Weiterbildung? Wie gehe ich mit dem Gerät um? Wie sichere ich meine Daten? Wie kriege ich meine Tafelbilder von Windows auf das Apple-System? Und dort haben wir mit eigenen Leuten – Hilfe war nirgends zu bekommen – Lehrerfortbildung gemacht in der Vorbereitungswoche. Das war wie so ein Dominospiel."
    Eine kleine Arbeitsgruppe von fünf Lehrern trieb die Digitalisierung voran. Sie besuchten Schulen, die schon Erfahrungen mit Tablets hatten, schulten sich gegenseitig. Dabei war auch Stephan Reich, der in Dingelstädt Chemie und Geographie unterrichtet.
    "Also, für mich als junger Lehrer eh sehr attraktiv, diese Geräte zu nutzen, weil man halt viel mehr Möglichkeiten hat zu visualisieren und seinen Unterricht anschaulich zu machen als das halt mit Overhead-Projektoren – Polylux, wie man es ja so schön nennt! – halt möglich ist. Also, ich war da sehr aufgeschlossen und habe auch viele Weiterbildungen mir organisiert, wo mich die Schulleitung auch freigestellt hat. Und ich habe das dann teilweise auch als Multiplikator im Kollegium dann mit verteilt, meine Erfahrungen, die ich da gemacht habe."
    Von Anfang an dabei war auch Andreas John, Lehrer für Englisch und Geschichte.
    "Am Anfang war es diese Gruppe, die eingestiegen ist. Und nur wenige Wochen später hat man schon gesehen, wie die Lehrer im Lehrerzimmer so in Grüppchen saßen. Und man merkte schon, wie sie sich versucht haben einzuarbeiten. Und dann kam wirklich jeden Monat eine Gruppe von drei bis vier Lehrern, die dann doch das iPad bestellt hatten. Und nach einem Jahr hatten 3/4 der Lehrer ein iPad."
    Die Schüler haben sich schnell an die Tablets gewöhnt
    iPads sind Tablets der Firma Apple. Andreas John verwaltet die Netzwerk-Technik des Hauses, soweit das nebenbei zu machen ist. Er registriert die Tablets, bespielt sie mit der nötigen Software, hilft bei Problemen. Zwei Stunden weniger muss er dafür wöchentlich unterrichten. Zwei Stunden, die vermutlich nicht ausreichen.
    "Ach, das kann ich nicht rechnen! Es gibt Phasen, da habe ich das Gefühl, ich sitze hier mehr und es klopfen mehr Schüler, die doch irgendeine Frage haben oder 'Bei mir ist die eine App nicht registriert.' Oder 'Ich kann plötzlich das und das nicht öffnen …'. Aber das hat sich alles wirklich sehr reduziert. Und die Geräte, die laufen sowas von stabil. Wir haben tatsächlich von diesen ganzen 200 an technischen Problemen ganze zwei Geräte gehabt innerhalb der jetzt drei Jahrgänge. Und das ist eigentlich eine sehr gute Situation."
    "Und hier wünschte ich mir, dass wir in den nächsten Jahren wirklich Hilfe kriegen vom Ministerium, dass wir sagen: Schulen, die diesen Weg gehen, die brauchen Stunden oder sie brauchen einen technischen Angestellten, der sich darum bemüht. Das macht jetzt alles Herr John neben seinem Unterricht. Also, wir brauchen da unbedingt Unterstützung von Seiten des Staates."
    Am Ende des achten Schuljahres müssen die Schüler mit Tablets ausgerüstet sein. Nunmehr im dritten Jahrgang. Immer zwei Wochen vor den Sommerferien werden die Schüler in die Arbeit mit den Tablets eingeführt – wenn sie es nicht ohnehin längst können.

    "Herzlich Willkommen zu Radio 31er! Wir befinden uns hier im St. Josef-Gymnasium Dingelstädt, wo die 8. Klassen jetzt ihre iPads bekommen haben! Und da wir natürlich ihre Meinung dazu wissen wollten, haben wir unseren Reporter geschickt, um Lehrer, Eltern und Schüler selbst zu befragen."
    Lukas Obertür aus der 8c präsentiert stolz ein Ergebnis der ersten Beschäftigung mit dem Tablet. Ein Radiobeitrag über die Tablet-Nutzung.
    "Also, aufgenommen haben wir es hier mit diesem Diktiergerät. Und bearbeitet dann mit Hokusai 2."
    Das Auswählen der richtigen App, deren korrekte Anwendung sind vorbereitende Übungen für das, was ab der 9. Klasse immer stärker den Unterricht prägen wird: Die Arbeit jenseits von Papier, Stift, Buch und Tafel.
    "Also am Anfang, da hat man natürlich viel Freude dran." "In welchen Fächern habt ihr es jetzt schon verwendet?" "Eigentlich fast in allen. Ich glaube sogar: in allen."
    "Das ist ja auch die Sorge der Eltern: Dass sie sagen, 'Schreiben denn die Schüler auch noch?' Natürlich schreiben die Schüler noch! Weil wir wollen: 5, 6, 7, 8 – die müssen schreiben und rechnen können, und dann können sie in diese Geräte einsteigen. Man muss das Gerät wirklich nur als Arbeitsgerät in der Tasche betrachten. Und dann, wenn ich es brauche, nehme ich es raus. Wie ein Taschenrechner, wie ein Tafelwerk, wie ein Lehrbuch. Und wenn es nicht gebraucht wird, kommt es wieder in die Tasche. Funktioniert eigentlich ohne Probleme. Wir waren erst ein bisschen skeptisch – aber es ist ein Erfolgsprojekt, muss ich sagen."
    Schüler des St. Josef-Gymnasium in Dingelstädt im Unterricht
    Nur in den Pausen herrscht – bis auf einen Aufenthaltsraum – Handy- und Tablet-Verbot am St. Josef-Gymnasium Dingelstädt (Deutschlandradio/H. Bernhard)
    Unterricht wird flexibler und individueller
    Die 9. Klasse, die gerade NaWi, also Naturwissenschaften, hat, wird von Stephan Reich unterrichtet.
    "Ja, also Carolina stellt jetzt mal das Fließschema vor, was sie erarbeitet hat. Komm bitte nach vorn und zeig das mal."
    Carolina tritt vor die Klasse. Sie sollten im Internet recherchieren, wie Kunststofflaschen recycelt werden, und das Gelesene in ein Schema bringen, alles am Tablet. Carolina steuert mit ihrem Tablet den Beamer an, der an der Decke hängt – und ein paar Sekunden später ist ihre Arbeit an der Wand für alle sichtbar.
    "Ja, also wir hatten eine Seite gefunden von der Schweiz, die das ziemlich detailliert dargestellt hatten, wie man das PET recycelt ..."
    Nicht nur der Lehrer, auch die Schüler können jederzeit allen zeigen, was sie erarbeitet haben. Stephan Reich sieht unter anderem einen enormen Zeitgewinn in der Arbeit mit den Tablets.
    "Wir können im Unterricht innerhalb von Minuten eine Recherche im Internet machen, wo man sonst in das Computer-Kabinett gehen müssen, in der Hoffnung, dass auch alle Rechner funktionieren. Und das hätte in der Regel eine Unterrichtsstunde gedauert. Und so ist das alles viel flexibler, viel schneller und auch individueller geworden für die Schüler."
    Die Schüler haben sich schnell an die Arbeit mit den Tablets gewöhnt, schließlich besitzen praktisch alle Smartphones, die sehr ähnlich funktionieren. Lehrer und Schüler lernen oft gegenseitig voneinander. Alina arbeitet gerade mit ihrer Banknachbarin Anna-Lisa zusammen. Sie erstellen eine Grafik.
    "Wir drei arbeiten jetzt zusammen. Das heißt, man kann mit der App sich auch gegenseitig einladen und dann zusammen an der Arbeit arbeiten. Das heißt, wenn er jetzt was verändert, erscheint das auch bei mir, die Veränderung." "In welchen Fächern nutzt ihr das?" "Eigentlich in so gut wie allen Fächern. Es gibt auch ein paar Lehrer, die keine iPads besitzen, aber sonst eigentlich in jedem. Also manchmal bekommen wir auch Blätter ausgeteilt, aber das wird immer weniger."
    Es gibt noch eine Art gallisches Dorf des analogen Widerstands
    Nur zwei bis drei Lehrer unterrichten am St. Josef-Gymnasium ohne Tablet – oder zumindest fast ohne. Wie zum Beispiel Sibylle Ladwig, Musiklehrerin, die mehr den traditionellen Unterrichts-Methoden vertraut.
    "Ich bin der Meinung, dass nicht alles mit dem Tablet funktionieren sollte. Und ich bin auch noch ein ganz großer Verfechter des Tafelbildes, das ist für Musik unheimlich wichtig, weil wir da über Noten arbeiten und auch die Schüler nach vorn gehen, um die Noten einzeichnen. Und das geht mit dem Tablet schon, aber nicht so, dass alle nach vorn gucken; da ist jeder mit dem Gerät beschäftigt."
    Sibylle Ladwig bildet da mit ihrer Kollegin, die ebenfalls Musik unterrichtet, eine Art gallisches Dorf des analogen Widerstands in der Schule. Sie steht dazu.
    "Wenn Sie das so sagen wollen. Natürlich, warum nicht!? Da stehe ich auch dazu. Das ist auch nicht schlimm. Und ich habe auch schon die Schülermeinungen gehört: 'Ach, zum Glück, dass nicht immer und überall das Tablet benutzt wird'. Also, diese Meinung gibt es auch. Und da habe ich gesagt: OK, so ein paar Verfechter sollte es auch geben, die das herkömmliche Muster benutzen. Natürlich beuge ich mich der modernen Entwicklung auch gerne, mache ich auch, aber es muss nicht pausenlos sein. Und für Musik ist das wichtig, dass da ganz viel an Instrumenten gearbeitet wird und wir über Rhythmisches, über Singen …, da brauche ich das Tablet nicht. Wenn aber die Kinder mal Instrumente einsetzen wollen, wo alle beteiligt sind, dann ist es über Garage band möglich. Dann kann man sagen: so, jetzt könnt ihr mal loslegen, und dann kann man das auch steuern."
    Die Schüler nutzen die Tablets zum Recherchieren, zum Schreiben, Lesen, Hören, Zeichnen, Berechnen, Darstellen, Fotografieren, Filmen. Manche führen auch ihre Hefter papierlos. Dem Schulleiter Peter Krippendorf reicht das noch nicht.
    In den Pausen herrscht Handy- und Tablet-Verbot
    "Wir sind dran – und das ist auch ein Problem –, versuchen die Schulbücher zu ersetzen. Die Ranzen sind ja sehr schwer, liest man ja überall. Und wir versuchen die Schulbücher zu ersetzen mit digitalen Büchern. Hier haben die Verlage noch ihre Hausaufgaben zu machen, muss ich ganz deutlich sagen. Wir haben in Deutsch digitale Bücher, wir haben die Bücher in Geographie teilweise digital. Wir sind jetzt mit Englisch in Verhandlung. Da liegt auch ein Buch jetzt in Mathematik, ein Probeexemplar. Wo man sagen kann: Wir brauchen digitale Bücher, um tatsächlich die Ressourcen, die so ein Tablet hat, nutzen zu können für den Schüler."
    In den Pausen herrscht – bis auf einen Aufenthaltsraum – Handy- und Tablet-Verbot am St. Josef-Gymnasium Dingelstädt. Marlen und Michelle finden das vermutlich ganz vernünftig. Denn sie lassen das Tablet auch ganz gern mal beiseite.
    "Also, ich muss persönlich sagen, ich finde es sehr teuer. Ich meine, jetzt ist es da, jetzt habe ich’s. Aber theoretisch könnte ich auch ohne. Und ich würde es auch ohne schaffen; weil ich es wirklich nur für Mathe nutze, muss ich ganz ehrlich sagen. Oder irgendwas recherchieren. Aber sonst würde ich auch ohne klarkommen und bräuchte das nicht wirklich."
    "Nur am Anfang war es halt eine ganz schöne Ablenkung. Da hatte man auch Spiele und so drauf …"
    "Ja, anfangs hatte man auch soziale Netzwerke wie Snapchat, Instagram und sowas drauf."
    "Aber mir ist dann aufgefallen, dass das nicht so gut ist. Zu Hause macht man Hausaufgaben; und dann sieht man: Da hat mir wer geschrieben! Und dann geht man drauf und lenkt sich wieder ab. Und dann habe ich es gleich gelöscht. Und jetzt ist man viel konzentrierter dann."
    "Ist ja jeder selber zuständig, wie er in seiner Schule lernen und arbeiten will. Und wenn man das wirklich will, denke ich auch, dass man da vernünftig werden kann."