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DIHK fordert Arbeitszeitverlängerung

Wiese: Möglicherweise wird es ein heißer Herbst. Auf jeden Fall verspricht die neue Tarifrunde spannend zu werden. Mit seiner Empfehlung an die zuständigen Kommissionen, mit einer Lohnforderung bis zu vier Prozent in die kommenden Verhandlungen zu gehen, hat der Vorstand der IG Metall gestern die Meßlatte nicht gerade niedrig gelegt. Scharfe Kritik der Arbeitgeber an dieser Forderung ließ nicht lange auf sich warten. Es werden wohl schwierige Verhandlungen werden.

    Am Telefon begrüße ich jetzt den Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Martin Wansleben. Guten Morgen!

    Wansleben: Guten Morgen Herr Wiese!

    Wiese: Herr Wansleben, bis zu vier Prozent mehr Lohn will also die IG Metall, wie wir gerade hörten ''eine Forderung mit Augenmaß'', wie Herr Peters sagte. Nun ist das sicherlich die Maximalforderung, mit der die Gewerkschaft die Verhandlung eröffnen will. Was glauben Sie, worauf kann man sich, worauf wird man sich einigen?

    Wansleben: Was ich glaube ist das eine. Was ich hoffe ist das andere. Ich glaube wir müssen erst mal unterscheiden zwischen dem, was möglich ist, und dem Säbelgerassel, was dort im Moment abläuft. Nach dem was die IG Metall hinter sich hat müssen sie sich natürlich erst mal ganz als Hardliner profilieren. Das kann man verstehen.
    Wirklich Sorgen machen eigentlich nur die apodiktische Ablehnung der Diskussion über eine betriebsnahe Flexibilisierung der Arbeitszeit oder generell auch von Bündnissen für Arbeit auf betrieblicher Ebene, denn es geht ja jetzt darum, dass Deutschland alles daran setzt, die Chancen, die wir haben, nämlich in einem besseren konjunkturellen Umfeld wieder Schwung zu nehmen und Arbeitsplätze zu schaffen, zu nutzen. Das werden wir wegen den hohen Unterschieden in den Unternehmen nur schaffen, wenn die Unternehmen für sich die Chancen auch nutzen können. Insofern ist die Aussage von Herrn Peters bezüglich der 40-Stunden-Woche, insofern ist die Aussage von Herrn Huber bezüglich betrieblicher Bündnisse für Arbeit meines Erachtens substanziell viel, viel schlimmer als die vier Prozent. Das kennen wir und am Ende wissen wir, dass es immer eine Milchmädchenrechnung war zu behaupten, die Konjunktur springt nur an, wenn diejenigen, die Arbeit haben, ihre Löhne überproportional erhöhen, um dann zu Gunsten derer ihr Geld auszugeben, die keine Stelle haben.

    Wiese: Wenn Sie diese 4-Prozent-Forderung gar nicht so dramatisch finden, weil Sie ohnehin damit rechnen, dass man sich vielleicht auf der Hälfte einigt, ist das realistisch?

    Wansleben: Ich finde das insofern schon dramatisch, als dass das ganze Szenario ein mangelndes Problembewusstsein signalisiert. Es ist ganz klar: Was wir brauchen sind niedrige Lohnabschlüsse und das mittelfristig berechenbar für mehrere Jahre, damit die Unternehmen, die jetzt Hoffnung schöpfen können und eigentlich auch einstellen wollen, Umsatz machen können, damit die Unternehmen nicht sofort befürchten müssen, auf einer Kostenexplosion bei den Personalkosten zu sitzen. Insofern wäre die IG Metall gut beraten, auch dieses Säbelrasseln jetzt mal sein zu lassen.
    Ich finde im übrigen interessant in diesem Zusammenhang, dass die Gewerkschaften in den skandinavischen Ländern oder auch in Holland eine ganz andere Politik betreiben und vielfach über Zulauf sich freuen können, während die Gewerkschaften bei uns ja nun Mitglieder verlieren.

    Wiese: Dann lassen Sie uns über den eigentlich entscheidenderen Punkt Ihrer Meinung nach zumindest reden, über die Flexibilisierung der Arbeitszeit. Die Gewerkschaften sagen ja, vier Prozent ist wichtig, damit die Leute mehr Geld haben, um mehr zu konsumieren, um dann auch mehr Arbeitsplätze dadurch zu schaffen. Wie soll denn Ihrer Meinung nach der Konsum angekurbelt werden, wenn nicht durch höhere Löhne, durch höhere Arbeitszeiten, also längere Arbeitszeiten?

    Wansleben: Wir müssen zunächst einmal sehen: Kaufkraft entsteht wirklich nur durch zusätzliche Arbeitsplätze, die wettbewerbsfähig sind und deswegen auch sicher sind. Menschen die Angst haben müssen um ihren Arbeitsplatz, geben kein Geld aus. Löhne sind zu allererst erst mal Personalkosten bei den Unternehmen. Die müssen sie erst mal tragen, bevor dann die Arbeitnehmer das Geld auch ausgeben können. Das ist eine Milchmädchenrechnung. Die ist auch in den letzten 20 Jahren nicht aufgegangen. Sonst hätten wir längst eine ganz andere Situation.
    Was wir brauchen ist: wir brauchen alle Möglichkeiten, um Arbeitsplätze entstehen zu lassen. Bei der aktuellen Diskussion werden zwei Dinge völlig durcheinander geschmissen: einmal eine aktuelle Krisensituation im einzelnen Unternehmen, meinetwegen bei Opel oder bei der Telekom oder bei ver.di, wo man versucht, über Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich zu verhindern, kurzfristig Arbeitsplätze abbauen zu müssen, und einer strukturellen Positionierung der deutschen Wirtschaft. Die kann nur bedeuten, wir müssen die Lohnstückkosten senken. Wir liegen ja nicht nur im Vergleich zu Polen oder zu der Ukraine hinten dran. Wir haben ja selbst schon keine Chancen mehr bei den Lohnstückkosten, mit der Schweiz oder Österreich zu konkurrieren. Deswegen müssen wir die Arbeitszeit verlängern, denn ich glaube es ist unrealistisch zu fordern, die Löhne wirklich nachhaltig zu senken.

    Wiese: Stichwort Flächentarifvertrag. Auch dort stellt sich die Gewerkschaft offensichtlich quer. Sie will also keinerlei Abstriche von diesen Tarifverträgen machen. Sie will auch keine Öffnungsklauseln akzeptieren. So ging das jedenfalls aus dem Beitrag hervor. Was bedeutet das Ihrer Meinung nach für die Schaffung von Arbeitsplätzen?

    Wansleben: Auch hier müssen wir uns die Sache schon differenziert angucken. Es geht keinem darum, den Flächentarifvertrag zu schwächen, überhaupt nicht, sondern es geht darum, den Unternehmen dann die Möglichkeit zu gewähren, ihren individuellen Chancen und Notwendigkeiten im übrigen einvernehmlich mit Betriebsräten und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gerecht zu werden, oder die Chancen zu nutzen.

    Wiese: Gibt es das denn nicht schon jetzt, Herr Wansleben? Gibt es denn diese Öffnungsklauseln nicht jetzt schon?

    Wansleben: Ja, die Öffnungsklauseln gibt es, aber die gibt es nur dann, wenn Arbeitgeber und Gewerkschaften dem zustimmen. Das heißt da hängt eine Bürokratie dran. Große Unternehmen können vielfach diese Hürde nehmen. Für kleine Unternehmen ist dies vielfach eine zu bürokratische Hürde.

    Wiese: Das heißt Sie stimmen der Forderung von FDP-Chef Guido Westerwelle zu, das Tarifkartell aus Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften muss zerschlagen werden?

    Wansleben: Ich stimme dem zu, was auch Herr Hundt ständig fordert. Wir müssen endlich das Günstigkeitsprinzip ändern und über die Änderung des Günstigkeitsprinzips kriegen wir genau das hin. Insofern versucht Herr Westerwelle, sich hier jetzt künstlich gegen die Arbeitgeberverbände zu positionieren, die genau das fordern was er sagt, nämlich die Betriebe brauchen mehr Freiheit.
    Lassen Sie mich das, Herr Wiese, noch ergänzen. Deswegen ist auch die Koppelung der CDU/CSU von Vorziehen der Steuersenkung und der Arbeitsmarktreformen absolut richtig, denn das Vorziehen der Steuerreform verpufft, wenn nicht der Arbeitsmarkt, wenn nicht die Jobmaschine anspringt und wir zusätzliche Arbeitsplätze schaffen können. Das heißt wir reden hier überhaupt nicht um diese plakativen Diskussionen, die Herr Westerwelle braucht, um sich zu profilieren, sondern wir reden jetzt wirklich darum, dass die Unternehmen handeln können. Bei der Veränderung des Günstigkeitsprinzips geht es also darum zu sagen, es ist nicht nur günstiger für die Arbeitnehmer, mehr Geld zu haben, sondern es ist auch günstiger für die Arbeitnehmer, in einem Unternehmen zu arbeiten, was wettbewerbsfähiger ist, was verhindern kann, Arbeitsplätze abzubauen, was sogar ermöglichen kann, Arbeitsplätze aufzubauen. Dann hätten wir erreicht, was wir erreichen müssen, und das – ich muss das noch mal deutlich sagen – fordern auch die Arbeitgeberverbände sehr nachhaltig.

    Wiese: Herr Wansleben, lassen Sie uns kurz noch auf ein anderes wichtiges und umstrittenes Thema zu sprechen kommen: die Ausbildungsplatzabgabe, die die Bundesregierung einführen will. Da hört man nun von Betrieben, die wollen einstellen sagen sie und Lehrplätze schaffen, aber die potenziellen Lehrlinge sind schlicht und ergreifend zu dumm. Stichwort Pisa-Studie. Stimmt das, ist da was dran?

    Wansleben: Ich tue mich jetzt schwer, Jugendliche einfach als zu dumm abzuzeichnen, aber plakativ gesehen kann man das so formulieren. Ich will vielleicht hier noch mal kurz sagen: die Diskussion ist deswegen ich muss fast schon sagen traurig, weil sich die Politik offensichtlich nicht bemüht, mal Daten und Fakten zusammenzutragen, also Daten bezüglich der wirklichen Ausbildungsplatzsituation. Wir haben im Bereich der Industrie- und Handelskammern sogar einen Zuwachs des Angebotes an Ausbildungsplätzen, trotz drei Jahren Stagnation und mit zuletzt über 40.000 Insolvenzen pro Jahr. Das heißt also diese Krise ist schon eine Schwierigkeit.
    Lassen Sie mich noch Zahlen nennen. Wir hatten nach den jüngsten Daten der Bundesanstalt für Arbeit 40.000 Jugendliche als Ausbildungsplatzbewerber in den Statistiken. Da muss man wissen, dass man sich auch deswegen in die Statistik eintragen lässt, damit die Eltern Kindergeld bekommen. Also es ist nicht nur so, dass man sich dort einträgt, wenn man zwingend einen Ausbildungsplatz sucht.
    Die Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammern und die Arbeitsämter haben alle Jugendlichen, die am 30. 9. eingetragen waren – das waren 35.000 Jugendliche -, eingeladen zu Nachvermittlungen. 14.000 Jugendliche sind überhaupt nicht erschienen. Die haben gar nicht reagiert auf diese Einladung. Für mich oder für uns ist also schon die Frage, ob diese Jugendlichen wirklich noch einen Ausbildungsplatz suchen oder nicht.

    Wiese: Aber Sie sind schon, da wir zum Schluss kommen müssen, gegen diese Ausbildungsplatzabgabe?

    Wansleben: Die Ausbildungsplatzabgabe ist ein totaler Moloch. Sie verstaatlicht das, was bislang privatisiert gewesen ist. Wir lernen doch auch im Gesundheitsbereich, dass es überhaupt nicht mehr finanzierbar ist. Und zum Schluss noch: Am Ende werden die Ausbildungsplatzabgabe Betriebe bezahlen in strukturschwachen Gebieten. Um es plakativ auszudrücken: Die Ausbildungsplatzabgabe ist eine Sondersteuer für die neuen Bundesländer und ist eine Sondersteuer für strukturschwache Gebiete. Ich bin sehr gespannt, wie der Bundeskanzler, bin sehr gespannt, wie die Bundesregierung dies den Unternehmen und den Regionen erklären wird. Sie bemühen sich, die Lohnnebenkosten zu senken. Sie bemühen sich, die Steuern zu senken, und führen letztlich – darauf wird es hinauslaufen – eine neue Steuer ein. Die nennt man Lohnsummensteuer. Die hat im übrigen 1980 Helmut Schmidt damals abgeschafft.

    Wiese: Das war in den ''Informationen am Morgen'' im Deutschlandfunk der Hauptgeschäftsführer des Industrie- und Handelskammertags, Martin Wansleben. – Schönen Dank und auf Wiederhören!