Stefan Heinlein: In rund zwei Wochen wird in Serbien gewählt. Noch ist längst nicht klar, wer künftig das Sagen in Belgrad haben wird. In den meisten europäischen Hauptstädten blickt man mit Sorge auf einen möglichen Sieg der serbischen Nationalisten.
Das gestern in Brüssel unterzeichnete Stabilisierung- und Assoziationsabkommen ist deshalb nach monatelangen Tauziehen ein Signal der Europäischen Union an die serbische Bevölkerung. Sollte die künftige Regierung in vollem Umfang mit dem Den Haager Kriegsverbrechertribunal zusammenarbeiten, öffnet sich die Tür nach Brüssel, ansonsten droht Serbien die europäische Isolation. Am Telefon ist nun der österreichische Diplomat Wolfgang Petritsch, lange Jahre Balkanbeauftragter der Europäischen Union. Guten Morgen!
Wolfgang Petritsch: Guten Morgen!
Heinlein: Herr Petritsch, ein politisches Koppelgeschäft also, ist dies aus Ihrer Sicht ein kluger Schachtzug der Europäischen Außenminister?
Petritsch: Na ja, man muss sagen eher, die Entscheidungen sind getroffen worden, offensichtlich in Absprache mit dem serbischen Präsidenten Tadic, der sich das gewünscht hat. Ich habe allerdings so meine Zweifel, ob das jetzt der richtige Zeitpunkt gewesen ist, so knapp vor den Wahlen, wo die Verwirrung bei der serbischen Bevölkerung, bei den Bürgern dort unter Umständen eher noch größer geworden ist. Einerseits nimmt man ihnen, nimmt man Serbien sozusagen Kosovo weg, die vereinfachte Formel. Und andererseits bietet man ihnen jetzt den Beitrag, bietet eben dieselbe Organisation, dieselben Staaten, einen Weg Richtung Europäische Union an. Das wird von vielen als Einmischung in die inneren Angelegenheiten gesehen. Ich hoffe, dass man mit dieser Entscheidung doch Recht behalten hat und damit die demokratischen Kräfte gestärkt und nicht geschwächt hat.
Heinlein: Sehen Sie das auch als Einmischung in die inneren Angelegenheiten?
Petritsch: Ich sehe das nicht so, aber ich weiß aus meinen Kontakten und der Stimmungslage dort, dass eben gerade von der nationalistischen Opposition, von den radikalen, aber auch von der Partei des Premierministers Kostunica so instrumentalisiert wird. Und da weiß ich nicht, ob es nicht besser gewesen wäre, jetzt einmal einfach die Dinge in Serbien sich entwickeln zu lassen. Es gibt ja die grundsätzliche Bereitschaft der Europäischen Union, die Staaten des Westbalkans in die Union zu holen, das ist ja seit Thessaloniki 2003 klar. Ob dieses Signal nun in die richtige Richtung die Wirksamkeit zeigen wird, weiß ich einfach nicht, angesichts der großen Verwirrung und Orientierungslosigkeit, die sich eben in Serbien breit gemacht hat.
Heinlein: Wäre es klüger gewesen, mit diesem Angebot, Beitrittsverhandlungen in Aussicht zu stellen, bis nach der Wahl zu warten?
Petritsch: Schauen Sie, die Beitrittsverhandlungen waren ja bereits in Aussicht gestellt. Dies war wahrscheinlich mehr so etwas wie eine Foto-Opportunity, die hoffentlich, wie gesagt, in die richtige Richtung die Wirksamkeit entfalten wird. Aber an sich gibt es die Option, in Serbien sollte klar sein, worum es geht. Es ist natürlich auch die Schwierigkeit eben, dass die Kosovo-Frage noch nicht ausgestanden ist. Und die überlagert nun jede rationale Entscheidung.
Heinlein: Sie haben mehrfach gesagt, es gebe Verwirrung bei vielen Serben. Heißt das, die EU und die NATO ist wegen der Balkankriege und jetzt wegen der Kosovo-Frage vielen Serben immer noch suspekt?
Petritsch: Zweifellos. Es hat natürlich die NATO-Intervention ein Trauma dort ausgelöst, das dann später nicht wirklich aufgearbeitet worden ist. Eine notwendige Aktion zweifellos, wie ich das betrachte, die aber dann nicht entsprechend erklärt und geklärt worden ist, und wo jetzt dann durch den letzten Schritt der Unabhängigkeitserklärung, die auch dann noch vor dem Hintergrund des Freispruchs des früheren Premierministers Haradinaj in Den Haag erfolgt ist. Auch das hat zur weiteren Verbitterung in Serbien beigetragen, so dass die Voraussetzungen im Augenblick für eine vernünftige Vorgehensweise zwischen Europäischer Union und Belgrad eben nicht wirklich gegeben sind. Und, wie gesagt, ich habe da meine Zweifel, ob das jetzt für den 11. Mai das beste Signal gewesen ist.
Heinlein: Sie kennen den Balkan, Sie kennen die Serben. Will die Mehrheit der Bevölkerung überhaupt eine Annäherung an Brüssel?
Petritsch: Zweifellos. Ich bin davon überzeugt, dass also die europäische Option diejenige ist, die sich letzten Endes auch durchsetzen wird, und die die Serben auch wünschen. Es ist nur eben der Zeitpunkt, der jetzt gewählt wurde, unter Umständen nicht der beste, weil eben die Wahlen vor der Tür stehen und einen innenpolitische Klärung jetzt einmal notwendig ist, in welche Richtung man jetzt politisch gehen möchte. Und da sind alle Zeichen, die von außen kommen, natürlich mit besonderer Vorsicht zu genießen.
Heinlein: Ist also der 11. Mai, der Tag der Parlamentswahlen, eine Art Volksabstimmung über den EU-Beitritt, so hat es ja der serbische Außenminister gestern in Luxemburg gesagt?
Petritsch: Da stimme mit Jeremic zweifellos überein. Das ist in der Tat eine Volksabstimmung. Insofern ist klar, dass die Wiederholung seitens Brüssels, hier gibt es die Bereitschaft, ein sozusagen aus unserer Sicht nur logisches Zeichen ist, ob dieses Zeichen aber in Belgrad, in Serbien so ankommt, das ist eben die Frage. Man kann nur hoffen.
Heinlein: Könnte es eine Art Denkzettel geben bei diesen Parlamentswahlen für die proeuropäischen Kräfte?
Petritsch: Na ja, natürlich. Wenn die sozusagen die Kosovo-Folgen immer noch sehr stark nachwirken und das Irrationale stärker ist als die vernünftige Überlegung über die richtige Zukunft Serbiens, dann könnte das durchaus der Fall sein. Die zeitliche Nähe ist in gewisser Weise eine, stellt ein größeres Fragezeichen auf, meiner Meinung nach, als man das vorher vielleicht so gesehen hätte, oder wie das eben von außen sich darstellt.
Heinlein: Herr Petritsch, was geschieht denn, wenn die Nationalisten am 11. Mai diese Parlamentswahlen gewinnen? Rückt dann ein möglicher EU-Beitritt Serbiens dauerhaft in weite Ferne, weil sich die neue Regierung dann vielleicht sogar weigert, mit Den Haag zusammenzuarbeiten?
Petritsch: Das wäre zweifellos der Fall, da würde die Zusammenarbeit vollends eingestellt werden. Ich bin aber der Meinung, dass man auch einen Sieg der extremistischen Kräfte nicht überbewerten sollte. Es ist einfach die wirkliche grundsätzliche Klärung in der serbischen Gesellschaft noch nicht erfolgt. Das ist ein Staat, dessen Bürger nicht wissen, in welchem Staat sie eigentlich leben mit den viel verschiedenen Grenzverschiebungen. Das hat einfach dazu geführt, dass man noch viel länger benötigen wird, egal ob es jetzt eine demokratische oder eine extremistische Regierung dort geben wird. Natürlich wünschen wir uns eine demokratische Regierung, die Reformkräfte der Proeuropäischen. Aber es könnte durchaus passieren, dass es auch zu, oder anders ausgedrückt, es werden auf jeden Fall die extremistischen Kräfte, ob sie nun gewinnen oder nicht, ein sehr wesentlicher Faktor in den nächsten Jahren bleiben und damit auch die europäische Annäherung entscheidend mitbestimmen oder hemmen, natürlich.
Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk der ehemalige Balkanbeauftragte der EU, Wolfgang Petritsch. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch und auf Wiederhören.
Petritsch: Danke sehr.
Das gestern in Brüssel unterzeichnete Stabilisierung- und Assoziationsabkommen ist deshalb nach monatelangen Tauziehen ein Signal der Europäischen Union an die serbische Bevölkerung. Sollte die künftige Regierung in vollem Umfang mit dem Den Haager Kriegsverbrechertribunal zusammenarbeiten, öffnet sich die Tür nach Brüssel, ansonsten droht Serbien die europäische Isolation. Am Telefon ist nun der österreichische Diplomat Wolfgang Petritsch, lange Jahre Balkanbeauftragter der Europäischen Union. Guten Morgen!
Wolfgang Petritsch: Guten Morgen!
Heinlein: Herr Petritsch, ein politisches Koppelgeschäft also, ist dies aus Ihrer Sicht ein kluger Schachtzug der Europäischen Außenminister?
Petritsch: Na ja, man muss sagen eher, die Entscheidungen sind getroffen worden, offensichtlich in Absprache mit dem serbischen Präsidenten Tadic, der sich das gewünscht hat. Ich habe allerdings so meine Zweifel, ob das jetzt der richtige Zeitpunkt gewesen ist, so knapp vor den Wahlen, wo die Verwirrung bei der serbischen Bevölkerung, bei den Bürgern dort unter Umständen eher noch größer geworden ist. Einerseits nimmt man ihnen, nimmt man Serbien sozusagen Kosovo weg, die vereinfachte Formel. Und andererseits bietet man ihnen jetzt den Beitrag, bietet eben dieselbe Organisation, dieselben Staaten, einen Weg Richtung Europäische Union an. Das wird von vielen als Einmischung in die inneren Angelegenheiten gesehen. Ich hoffe, dass man mit dieser Entscheidung doch Recht behalten hat und damit die demokratischen Kräfte gestärkt und nicht geschwächt hat.
Heinlein: Sehen Sie das auch als Einmischung in die inneren Angelegenheiten?
Petritsch: Ich sehe das nicht so, aber ich weiß aus meinen Kontakten und der Stimmungslage dort, dass eben gerade von der nationalistischen Opposition, von den radikalen, aber auch von der Partei des Premierministers Kostunica so instrumentalisiert wird. Und da weiß ich nicht, ob es nicht besser gewesen wäre, jetzt einmal einfach die Dinge in Serbien sich entwickeln zu lassen. Es gibt ja die grundsätzliche Bereitschaft der Europäischen Union, die Staaten des Westbalkans in die Union zu holen, das ist ja seit Thessaloniki 2003 klar. Ob dieses Signal nun in die richtige Richtung die Wirksamkeit zeigen wird, weiß ich einfach nicht, angesichts der großen Verwirrung und Orientierungslosigkeit, die sich eben in Serbien breit gemacht hat.
Heinlein: Wäre es klüger gewesen, mit diesem Angebot, Beitrittsverhandlungen in Aussicht zu stellen, bis nach der Wahl zu warten?
Petritsch: Schauen Sie, die Beitrittsverhandlungen waren ja bereits in Aussicht gestellt. Dies war wahrscheinlich mehr so etwas wie eine Foto-Opportunity, die hoffentlich, wie gesagt, in die richtige Richtung die Wirksamkeit entfalten wird. Aber an sich gibt es die Option, in Serbien sollte klar sein, worum es geht. Es ist natürlich auch die Schwierigkeit eben, dass die Kosovo-Frage noch nicht ausgestanden ist. Und die überlagert nun jede rationale Entscheidung.
Heinlein: Sie haben mehrfach gesagt, es gebe Verwirrung bei vielen Serben. Heißt das, die EU und die NATO ist wegen der Balkankriege und jetzt wegen der Kosovo-Frage vielen Serben immer noch suspekt?
Petritsch: Zweifellos. Es hat natürlich die NATO-Intervention ein Trauma dort ausgelöst, das dann später nicht wirklich aufgearbeitet worden ist. Eine notwendige Aktion zweifellos, wie ich das betrachte, die aber dann nicht entsprechend erklärt und geklärt worden ist, und wo jetzt dann durch den letzten Schritt der Unabhängigkeitserklärung, die auch dann noch vor dem Hintergrund des Freispruchs des früheren Premierministers Haradinaj in Den Haag erfolgt ist. Auch das hat zur weiteren Verbitterung in Serbien beigetragen, so dass die Voraussetzungen im Augenblick für eine vernünftige Vorgehensweise zwischen Europäischer Union und Belgrad eben nicht wirklich gegeben sind. Und, wie gesagt, ich habe da meine Zweifel, ob das jetzt für den 11. Mai das beste Signal gewesen ist.
Heinlein: Sie kennen den Balkan, Sie kennen die Serben. Will die Mehrheit der Bevölkerung überhaupt eine Annäherung an Brüssel?
Petritsch: Zweifellos. Ich bin davon überzeugt, dass also die europäische Option diejenige ist, die sich letzten Endes auch durchsetzen wird, und die die Serben auch wünschen. Es ist nur eben der Zeitpunkt, der jetzt gewählt wurde, unter Umständen nicht der beste, weil eben die Wahlen vor der Tür stehen und einen innenpolitische Klärung jetzt einmal notwendig ist, in welche Richtung man jetzt politisch gehen möchte. Und da sind alle Zeichen, die von außen kommen, natürlich mit besonderer Vorsicht zu genießen.
Heinlein: Ist also der 11. Mai, der Tag der Parlamentswahlen, eine Art Volksabstimmung über den EU-Beitritt, so hat es ja der serbische Außenminister gestern in Luxemburg gesagt?
Petritsch: Da stimme mit Jeremic zweifellos überein. Das ist in der Tat eine Volksabstimmung. Insofern ist klar, dass die Wiederholung seitens Brüssels, hier gibt es die Bereitschaft, ein sozusagen aus unserer Sicht nur logisches Zeichen ist, ob dieses Zeichen aber in Belgrad, in Serbien so ankommt, das ist eben die Frage. Man kann nur hoffen.
Heinlein: Könnte es eine Art Denkzettel geben bei diesen Parlamentswahlen für die proeuropäischen Kräfte?
Petritsch: Na ja, natürlich. Wenn die sozusagen die Kosovo-Folgen immer noch sehr stark nachwirken und das Irrationale stärker ist als die vernünftige Überlegung über die richtige Zukunft Serbiens, dann könnte das durchaus der Fall sein. Die zeitliche Nähe ist in gewisser Weise eine, stellt ein größeres Fragezeichen auf, meiner Meinung nach, als man das vorher vielleicht so gesehen hätte, oder wie das eben von außen sich darstellt.
Heinlein: Herr Petritsch, was geschieht denn, wenn die Nationalisten am 11. Mai diese Parlamentswahlen gewinnen? Rückt dann ein möglicher EU-Beitritt Serbiens dauerhaft in weite Ferne, weil sich die neue Regierung dann vielleicht sogar weigert, mit Den Haag zusammenzuarbeiten?
Petritsch: Das wäre zweifellos der Fall, da würde die Zusammenarbeit vollends eingestellt werden. Ich bin aber der Meinung, dass man auch einen Sieg der extremistischen Kräfte nicht überbewerten sollte. Es ist einfach die wirkliche grundsätzliche Klärung in der serbischen Gesellschaft noch nicht erfolgt. Das ist ein Staat, dessen Bürger nicht wissen, in welchem Staat sie eigentlich leben mit den viel verschiedenen Grenzverschiebungen. Das hat einfach dazu geführt, dass man noch viel länger benötigen wird, egal ob es jetzt eine demokratische oder eine extremistische Regierung dort geben wird. Natürlich wünschen wir uns eine demokratische Regierung, die Reformkräfte der Proeuropäischen. Aber es könnte durchaus passieren, dass es auch zu, oder anders ausgedrückt, es werden auf jeden Fall die extremistischen Kräfte, ob sie nun gewinnen oder nicht, ein sehr wesentlicher Faktor in den nächsten Jahren bleiben und damit auch die europäische Annäherung entscheidend mitbestimmen oder hemmen, natürlich.
Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk der ehemalige Balkanbeauftragte der EU, Wolfgang Petritsch. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch und auf Wiederhören.
Petritsch: Danke sehr.