Simon: Es gibt ja nun eine Reihe von Staaten, die unter Vorbehalt gesagt haben, sie wären bereit, Truppen in den Irak zu entsenden, zum Beispiel unter dem Vorbehalt, dass die UNO stärker einbezogen wird oder dass sie ein gewisses Mitspracherecht haben an den Entscheidungen, auch militärischen, im Irak. Wieso glauben Sie, dass man da in Washington bei den Vorgaben bleibt, die es schon in besseren Zeiten gab, also man gibt da nichts ab?
Schweigler: Es geht in der Hauptsache um zwei Punkte: Zum einen sind die Amerikaner schon immer wenig bereit gewesen, ihre eigenen Truppen unter fremde Befehlsgewalt zu stellen. Das ist ein Problem, das sich hier nach wie vor und immer besonders stellen wird, weil eben die Vereinigten Staaten die weitaus größte Truppenzahl dort haben und sicherlich auch die schlagfähigsten Truppen. Im militärischen Bereich ist das eben schwierig, wenn die Befehlsstränge nicht genau geklärt sind, einigermaßen vernünftig vorgehen zu können. Da gibt es immer wieder Schwierigkeiten. Zum anderen hat sich auch in der Vergangenheit, man denke an Vorgänge in Bosnien etwa, immer wieder gezeigt, dass wenn die Befehlshierarchie nicht streng geregelt ist, UN-Truppen, zumal wenn sie Blauhelme tragen, eigentlich nicht in der Lage sind, mit der notwendigen Strenge und Maß an Gewalt, wenn es denn sein muss, vorzugehen und da zögern eben die Vereinigten Staaten im Interesse des schnellen Wiederaufbaus des Irak, der UN solche Aufgaben zu übertragen, weil man davon ausgeht, sie kann das eigentlich nicht schaffen.
Simon: Wenn Sie sagen, die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass das nicht besonders erfolgreich war und man die derzeit sehr schwierige Situation im Irak betrachtet, wäre es nicht an der Zeit, vielleicht doch etwas zu versuchen? Denn im Augenblick scheinen die USA ja so nicht weiterzukommen.
Schweigler: Das ist richtig, wobei das Problem ja doppelt ist und auch das Problem in doppelter Hinsicht auf die Vereinten Nationen zukommt. Zum einen geht es darum, mehr an Polizeigewalt - also mehr Truppen - im Irak in Einsatz bringen zu können. Zum anderen geht es aber darum, die immensen Kosten, die der Wiederaufbau des Irak beansprucht, irgendwie aufzubringen und das wollen oder können die Vereinigten Staaten alleine nicht tun. Also sucht man hier nach Hilfe von außen, es geht also zum einen um Soldaten, zum anderen aber um Wiederaufbaugeld. Beides ist miteinander verknüpft und das Problem, mit dem sich die Diplomaten im Augenblick beschäftigen, ist eben diese Verknüpfung entweder aufzubrechen oder den Knoten so zu binden, dass beide Seiten einigermaßen zufrieden damit sein können.
Simon: Dieser Appell an die UNO, die Bitten um Hilfe - das ist ja auch nicht angenehm für US-Außenminister Powell, ausgerechnet in Paris und Berlin mit dem Wissen anrufen zu müssen, dass man dort vom Krieg und vom Einsatz im Irak nicht begeistert war. Ist das Ihrer Meinung nach ein pragmatischer Versuch, die Verantwortung für eine schwierige Situation auf möglichst breite Schultern zu verteilen oder haben Sie den Eindruck, dass es in Regierungskreisen in Washington inzwischen so etwas wie Zweifel daran gibt, ob man die richtige Strategie verfolgt hat?
Schweigler: In Regierungskreisen gibt es solche Zweifel wahrscheinlich nicht oder zumindest werden sie nicht ausgesprochen. Dass es sie im breiteren Bereich der amerikanischen Öffentlichkeit gibt oder auch in die politische Diskussion einfließt, ist nicht neu, das gab es auch schon vor dem Krieg. Insbesondere die Kritik von Seiten der Opposition, von Senatoren und Abgeordneten der Demokraten, wird schon lauter, als sie es vorher war. Insofern verschärft sich die Diskussion in den USA, aber sie ist noch keineswegs so scharf, dass man davon ausgehen könnte, dass die Regierung deswegen in Schwierigkeiten geraten würde.
Simon: Im Irak sterben täglich amerikanische Soldaten durch Anschläge, das Ende des Einsatzes ist nicht abzusehen. Sie erwähnten die Opposition - wie stark ist denn der Druck auf die Regierung aus der Bevölkerung?
Schweigler: Im Augenblick nicht sehr stark. Man hofft vielleicht auch immer wieder, dass es sich vielleicht in Grenzen halten könnte. Insgesamt gesehen, das mag sich ein bisschen zynisch anhören, muss man sich aber solche Zahlen gelegentlich in Erinnerung rufen: Die Kosten durch gefallene Soldaten, die dieser Krieg bisher gefordert hat, sind noch außerordentlich gering. Es sind bisher etwa 200 Soldaten, die im Krieg und danach gefallen sind. Das sind im Vergleich zu den etwa 57.000 Soldaten, die der Krieg in Vietnam gekostet hat, natürlich kein Zahl, die großen Druck ausübt.
Simon: Wie beurteilen Sie denn die Chancen, dass die Bemühungen der USA in diesen Tagen schließlich doch Erfolg haben werden?
Schweigler: Ich denke, dass man sich diplomatisch einigen wird, wobei der Anschlag auf die Vereinten Nationen ja im Grunde den USA zu Hilfe kommt und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen hat man bei der UN gemerkt, dass der Ansatz, man könne sich mit den Irakis besser stellen, wenn man sich selbst nicht groß schützt und die humanitäre Hilfsbereitschaft in den Vordergrund stellt, eine Fehleinschätzung war. Das heißt, man ist angegriffen worden und hat damit nun auch zugeben müssen, dass stärkerer militärischer Schutz für die humanitären Bemühungen – auch für die der UN - notwendig ist. Deswegen ist die Bereitschaft auf Seiten der UN wahrscheinlich angestiegen, die humanitären Maßnahmen mit Hilfe polizeilicher, militärischer Maßnahmen doch stärker abzusichern. Zum anderen sind die Vereinigten Staaten selbst etwas aus der Schusslinie geraten, weil es ja kein Anschlag auf sie oder auf amerikanische Militärs war, sondern auf andere. Aus diesen beiden Gesichtspunkten her hat dieser Anschlag, so schlimm er war, möglicherweise doch die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass man sich diplomatisch in nächster Zeit einigen wird.
Simon: Das war Professor Gebhard Schweigler vom National War College in Washington. Vielen Dank für das Gespräch, auf Wiederhören.
Link: Interview als RealAudio