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Dirk Kurbjuweit: "Die Freiheit der Emma Herwegh"
"Sie war infiziert von revolutionären Gedanken"

Emma Herwegh galt einerseits als kompromisslose Freiheitskämpferin, andererseits ordnete sie sich bedingungslos ihrem Mann, dem Dichter Georg Herwegh, unter. Dirk Kurbjuweit hat einen Roman über ihr Leben geschrieben – und findet eine Begründung für ihr ambivalentes Handeln.

Dirk Kurbjuweit im Gespräch mit Antje Deistler |
    Dirk Kurbjuweit stellt 2014 sein Buch "Alternativlos" vor.
    Der stellvertretende Spiegel-Chefredakteur Dirk Kurbjuweit hat mittlerweile seinen achten Roman geschrieben. (imago )
    Antje Deistler: Dirk Kurbjuweit ist bekannt als Journalist, als Reporter für den "Spiegel" aus Hamburg. Seit zwei Jahren ist er dort auch stellvertretender Chefredakteur. Für eine seiner Reportagen wurde er 2008 mit dem Journalistinnenpreis der EMMA ausgezeichnet. Alice Schwarzer sagte damals über Kurbjuweit, er verstehe "auf fast unheimliche Weise was von Frauen". Jetzt hat der ausgezeichnete Frauenversteher seinen mittlerweile achten Roman vorgelegt, der sich um eine beinahe vergessene Frau dreht: "Die Freiheit der Emma Herwegh". Er führt ins 19. Jahrhundert, zu den Revolutionären des Vormärz. Emma Herwegh war die Frau des Dichters Georg Herwegh. Einerseits eine kompromisslose Freiheitskämpferin, andererseits ordnete sie sich privat ihrem Mann bedingungslos unter. Eine faszinierende Gestalt für Dirk Kurbjuweit. Was hat Sie an dieser Figur so fasziniert?
    Dirk Kurbjuweit: Emma Herwegh war die Tochter eines sehr reichen Kaufmanns in Berlin, sie lebten am Schlossplatz, und ihr Vater hat den König mit Seiden beliefert, und eigentlich war ihr Leben dafür bestimmt, dass sie einen reichen Schnösel heiratet und dann versackt und versinkt in einer Familie mit vielen Kindern und vielleicht das Haus beherrscht, aber sonst nach außen keine Wirkung hat, aber das war nicht das Schicksal, das sich Emma Herwegh vorgestellt hat, damals noch Emma Siegmund. Sie war sehr politisch, sie war infiziert vom sozialistischen und revolutionären Gedanken, und dann hatte sie das große Problem damals, dass sie eine Frau war, denn für eine bürgerliche Frau war Politik überhaupt nicht vorgesehen. Wenn man jetzt als Königin in dieses Amt hineingeboren wurde, dann war es ja möglich, Politik zu machen, aber nicht für bürgerliche Frauen.
    Warum lässt sich Emma Herwegh betrügen und hintergehen?
    Deistler: Jetzt ist Emma Herwegh eine Figur, man sagt im Kino larger than life. Also eine Frau, die einen revolutionären Dichter heiratet, sehr spät, die dann in den bewaffneten Kampf zieht als einzige Frau und zwar, weil sie das möchte, die in ihrem späteren Leben sogar den italienischen Revolutionär Felice Orsini aus dem Kerker befreit, die aber gleichzeitig eine ganz schwache Seite hat. War es das, was Sie fasziniert hat, dieser Widerspruch?
    Kurbjuweit: Ja, ganz genau. Das ist ja wirklich kaum zu verstehen, dass diese unendlich starke Frau, die so mutig ist, so tapfer ist, dass sie eben in den Revolutionskrieg zieht, dass sie sich mit einem Mann wie Orsini verbündet, ihn aus dem Gefängnis holt, dass diese Frau sich so betrügen lässt, so hintergehen lässt von ihrem Mann, von Georg Herwegh, der ja nicht nur Affären hatte, das hatten ja auch damals viele, aber er hat ja Emma zum Instrument seiner Affäre mit Natalie Herzen gemacht, zur Gehilfin, und er hat sie so schlimm instrumentalisiert, auch beschimpft dann, und über Jahre hat sie das erduldet, und das ist wirklich ganz schwer zu verstehen, wie eine so tatkräftige, auch stolze Frau, das alles erträgt bis zu Georgs letztem Tag.
    Deistler: Haben Sie das, nachdem Sie das Buch geschrieben haben, besser verstanden?
    Kurbjuweit: Na ja, ein Buch schreiben heißt ja, mit seinen Figuren zu leben, und zwar über viele Jahre. Die kriechen ja in einen hinein und werden zu einem Teil von einem selbst. Das heißt, man setzt sich ja ganz viel mit ihnen auseinander, fast so wie mit sich selbst, weil sie eben dazugehören, und da habe ich mir natürlich unendlich viele Gedanken über Emma Herwegh gemacht und gerade über dieses Rätsel, was hat sie dazu bewogen, das alles auszuhalten, und am Ende habe ich mir eigentlich gesagt, das kann eigentlich nur sein, dass es auch ihr etwas genützt hat, mit diesem Mann zusammen zu sein, eben das Politische, weil es eben, wie ich schon gerade sagte, es einer bürgerlichen Frau eigentlich nicht möglich war, ohne einen Mann Politik zu machen, einzugreifen oder gar in einen Krieg zu ziehen. Sie brauchte dafür diesen hochpolitischen Freiheitsdichter, und das hat sie, glaube ich, vor allem bewogen, und dann hatte sie sicherlich auch einen – und das ist auch natürlich eine schöne Seite an ihr –, einen spätromantischen Treuebegriff.
    Deistler: Ganz wichtig auch für die Struktur Ihres Romans ist der Dichter Frank Wedekind – "Frühlingserwachen", "Lulu". Dessen Dialoge mit der alten, verarmten Witwe Emma Herwegh in Paris bilden die Rahmenerzählung, in der Emma selbst als Ich-Erzählerin zu Wort kommt. Wie wahr ist das?
    Kurbjuweit: Na, das ist schon auch sehr wahr. Das ist ja das Schöne, wenn man so durchs 19. Jahrhundert streift und alle möglichen Bücher liest, dann trifft man seine alten Bekannten auch immer mal wieder, und so war es, als ich die Tagebücher von Frank Wedekind gelesen habe aus dem Jahr 1894, sein Leben in Paris, das vor allem daraus bestand, dass er "Lulu" geschrieben hat, und wenn er nicht geschrieben hat, dann war er bei den Huren von Paris.
    Das hat er alles sehr ausführlich beschrieben, aber er hat auch eine alte Dame besucht, damals Mitte 70, Emma Herwegh nämlich, die dann schon ziemlich verarmt war, die einsam war, aber irgendwie haben die beiden sich angefreundet, und Frank Wedekind ist gerne zu ihr gegangen und hat sich ihre Geschichte erzählen lassen, eben vor allem auch die Geschichte dieser unsäglichen Herzen-Affäre, und insofern ist die Tatsache wahr, dass die beiden da oft zusammensaßen in der kleinen Stube von Emma Herwegh, und die Erzählung, so grundsätzlich das Thema, weiß man auch, weil Wedekind es aufgeschrieben hat. So, und dann wie der Dialog aber im Einzelnen verlaufen ist, das sind dann die Freiheiten und Fantasien des Dichters. Das habe ich mir dann ausgedacht, wie es gewesen sein könnte.
    "Sexuelle Freiheit ist immer noch ein umkämpfter Begriff"
    Deistler: Es gibt in Ihrem Buch – das ist nicht zu überhören – immer wieder Bezüge der 1848er zu den 1968ern: sexuelle Revolution, politische Revolution, das ist sehr deutlich, aber 68 ist jetzt auch schon wieder lange her. Hat sich das Thema sexuelle Revolution nicht inzwischen erledigt?
    Kurbjuweit: Das weiß ich nicht. Was mich daran ja vor allem interessiert, ist diese Kontinuität, dass die politische Befreiung einhergeht mit einer sexuellen Befreiung. Das war bei den 48ern aus dem 19. Jahrhundert so, das ist, wie wir alle wissen, bei den 68ern des 20. Jahrhunderts so, und auch die Idee der Kommune ist ja nicht 68 entstanden, sondern eher in der Zeit um 48 oder schon in den 30er-Jahren. Fourier hatte so eine Idee. Er hat sie nicht Kommunen genannt, sondern Phalangen, also der Plural von Phalanx. So, und das ist ja bis heute so. Ich habe kürzlich ein Porträt gelesen einer Kämpferin der FARC, also dieser kolumbianischen Freiheitsbewegung, und da war es ganz genauso, dass die, die für die Freiheit gekämpft haben, also ihren Freiheitsbegriff dort, und dass aber in dieser FARC eben die sexuelle Freiheit herrschte.
    So, und nun ist es ja aber nicht so, dass wir alle sozusagen die totale sexuelle Freiheit wollen, sondern obwohl wir vielleicht heute größere genießen als im 19. Jahrhundert, ist es ja immer noch ein umkämpfter Begriff, wie frei kann man sein, eben wenn man auch noch an Ehe und Familie denkt, wenn Partnerschaft und Treue immer noch sehr wichtige Werte sind, auch bei der Jugend, wie Umfragen ja immer wieder ergeben, ist das natürlich ein total aktuelles, ewiges Thema, das auszutarieren, wie frei wollen wir politisch sein, gerade im Moment ein Riesenthema natürlich, als wir jetzt merken mussten in den letzten ein, zwei Jahren. Unsere Freiheiten, unsere Demokratie ist vielleicht nicht auf alle Zeiten selbstverständlich, wie ich mal gedacht habe, jetzt nicht mehr denke, dass wir vielleicht auch um die Freiheit kämpfen müssen wie die Herweghs, und dazu eben die Frage der sexuellen Freiheit, die auch ewig umstritten sein wird.
    Deistler: Karl Marx hatte die Idee, mit seiner Frau Jenny und den Herweghs in so eine Phalanx zu ziehen.
    Kurbjuweit: Genau, in Paris Anfang der 40er-Jahre lebten sie … Die Ruges waren auch eingeladen, man wollte zu sechst in einer solchen Kommune leben. Es war, glaube ich, sogar die Idee von Karl Marx. Emma Herwegh hat das verweigert. Wir wissen nicht genau, warum, aber Emma Herwegh kannte mit Sicherheit Fourier, der diese Art von Kommunen ja sich ausgedacht hatte und ein Frühsozialist, und sie wusste genau, was das heißt. Das hieß eben sexuelle Freiheit, die Partnerwahl war frei, und man kann sich ja vorstellen, dass sie sich vielleicht überlegt hat, will ich jetzt mit Karl Marx, hm, vielleicht lieber nicht, und dann hat sie gesagt, nein, hat sie ihrem Georg gesagt, nein, das machen wir nicht, und sie haben sich eine Wohnung alleine genommen, und die Ruges und die Marxens allerdings sind zusammengezogen, ich glaube, mit einer dritten Familie, und diese Kommune ist allerdings nach zwei Wochen auseinandergeflogen. Wir wissen auch nicht, warum. Ich habe es jedenfalls nicht gefunden, eine Begründung dafür, aber auch da kann man natürlich herrlich drüber spekulieren.
    Deistler: Sie haben dieser unfassbar interessanten, widersprüchlichen Figur Emma Herwegh mit diesem Roman jetzt eine Stimme gegeben, auch ein Denkmal gesetzt. Taugt Emma Herwegh als feministische Gallionsfigur, sollte sie eine sein?
    Kurbjuweit: Sie ist keine geworden, was ich irgendwie schade finde, aber auch verstehen kann. Also sie hätte es verdient, über ihr frühes, ungewöhnlich frühes politisches Engagement, für eine bürgerliche Frau, sie hätte es verdient für ihren Mut, dass sie Georg Herwegh in Paris gesagt hat, als er losziehen wollte in den Revolutionskrieg, du gehst nicht alleine, ich komme selbstverständlich mit. Ein früher deutscher feministischer Moment – dafür hätte sie eigentlich Erinnerung verdient, auch ein Denkmal verdient, aber …
    "Feministinnen haben sich immer an dieser sklavischen Treue gegenüber einem Mann gestört"
    Deistler: Er hätte wahrscheinlich diesen Kampf nicht überlebt ohne sie.
    Kurbjuweit: Ja, das ist auch richtig, dass ja dann dieser Feldzug doch ziemlich kläglich gescheitert ist. Am Ende gab es ein Gefecht mit Regierungstruppen, und Emma war wohl diejenige, die ihren Georg da gerettet hat, ihn da rausgezogen hat, und am Ende sind sie über den Rhein geflohen. Das alles, damit hätte sie wirklich ein Denkmal des Feminismus verdient. Ich glaube, die Feministinnen haben sich – und das kann ich verstehen – immer an dieser sklavischen Treue gegenüber einem Mann gestört, der sie eben auch auf die fürchterlichste Art ausgebeutet und unterdrückt hat.
    Deistler: Dirk Kurbjuweit, wenn ich Sie jetzt sehr ernsthaft und durchaus positiv gemeint frage, ob Sie sich als feministischer Autor fühlen, was würden Sie dazu sagen?
    Kurbjuweit: Nein, das bin ich nicht. Ich bin schon in meiner Geschlechterrolle des Mannes auch verhaftet, und das ist auch gut so, und ich habe aber natürlich viel Verständnis für jede Art von Befreiungsbewegung und begrüße sie auch, und deshalb habe ich viel Verständnis und auch Sympathie für den Feminismus, aber dass ich selbst ein Feminist wäre, das ginge mir jetzt zu weit.
    Deistler: Vielen herzlichen Dank, Dirk Kurbjuweit.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.