Lange: Herr Riester, das Konzept der Union, so hat Ihr Haus errechnet, würde den Haushalt mit 23 Milliarden Mark belasten. Der Vorschlag der Koalition würde etwa fünf Milliarden kosten. Nach der Praxis erfahrener Tarifexperten käme die Einigung bei etwas unter 14 Milliarden zu Stande. Haben Sie diese Größenordnung schon in Ihrem Hinterkopf?
Riester: Nein! Die Größenordnungen, über die wir heute sprechen, die betreffen den Finanzminister. Auf was ich hinweisen muss - und das ist ganz entscheidend -, die Forderungen der Union würden auch dazu führen, dass der Rentenbeitrag nicht nur bei 24 Prozent bliebe, trotz Demographiefaktor, sondern weitere zwei Prozent steigen würde. Wir können aber keine Rentenreform machen mit weiter steigenden Beiträgen, sondern wir müssen eine Langfristreform machen, wo die Leute auch wissen, sie ist bezahlbar und sie sichert ihre Renten.
Lange: Aber dass Ihr Vorschlag nicht das letzte Wort sein kann, wenn Sie auf einen Konsens aus sind, das ist Ihnen schon klar?
Riester: Das ist mir klar. Deswegen gehen wir ja auch ins Gespräch. Nur die Union hat bisher außer weiter steigenden Forderungen nichts eingebracht. Die Politik der Vergangenheit werden wir nicht fortsetzen.
Lange: Welche von den Forderungen der Union hätte den Priorität, wenn Sie zumindest auf eine davon eingehen wollten?
Riester: Allgemein sind die Forderungen der Union ähnlich wie die Forderungen der Regierung, nämlich Langfristsicherung, Absenkung der Beiträge. Nur die konkreten Positionen, die sie einbringen, führen alle dazu, dass wir eine weitere Steigerung der Beiträge und eine Verschuldung bekommen. Eine Reform auf Pump werden wir nicht machen. Bei den allgemeinen Zielen sind wir nicht auseinander. Nur die Union zeigt keine Wege zur Lösung der Ziele auf. Das ist die Situation wie in den letzten 16 Jahren, und das macht die Regierung nicht mit.
Lange: Was wird dann zum Beispiel aus der Steuerfreiheit für die private Altersvorsorge?
Riester: Da muss man sehen, dass sie heute schon gegeben ist. Jede Gehaltsumwandlung - und die wird ja massenhaft in den Betrieben gemacht - ist eine sogenannte nachgelagerte Besteuerung. Nur man muss den Weg gehen. Der Finanzminister wird am 7. Juni ein Gespräch führen, bei dem die gesamten Koalitionäre und die Opposition anwesend ist. Dort werden wir uns unterhalten. Diesem Gespräch will ich jetzt nicht vorgreifen, aber ich weise darauf hin, dass heute schon auch Tarifverträge ausgearbeitet werden, wo eine Gehaltsumwandlung schlicht dazu führt, dass sie eine Steuerbefreiung am Anfang haben.
Lange: Also Sie wollen das letztendlich nicht mit dem Finanzminister regeln, sondern das den Tarifparteien überlassen?
Riester: Nein, das hat mit den Tarifvertragsparteien nichts zu tun. Das kann auch individuell gemacht werden. Ich sage nur, die Tarifvertragsparteien nehmen das zunehmend auf und gestalten es, was nicht nur ihr Recht ist, sondern ich finde das auch sehr gut. Zuerst einmal muss aber die Politik handeln. Wir handeln jetzt und wir haben ein Konzept vorgelegt, das eine Langfristsicherung der Alterssicherung bringt. Das war ja nun das einvernehmliche Ziel aller. Nur die Opposition - aber ich sage hier ganz klar die Union - hat nichts eingebracht, was zu einer Senkung der Beiträge führt, sondern wie in der Vergangenheit weitere Beitragssteigerungen.
Lange: Es bleibt aber unter dem Strich, dass die Alterssicherung für den Normalbürger wenn zwar bezahlbar, so doch teuerer wird. Dieser Ansatz, wer nicht vorsorgt, muss zusätzliche Abschläge hinnehmen, ist ja nicht unbedingt das, was man sich unter der modernen partnerschaftlichen Beziehung zwischen Staat und Bürgern vorstellt.
Riester: Entschuldigung, ich weiß nicht was Sie als modern ansehen. Dass wir aber in der Zukunft bei den demographischen Problemen und bei der Verlängerung des Lebens, über das wir uns ja freuen, damit aber längere Rentenbezüge haben, für die Alterssicherung mehr einbringen müssen, das ist eine simple Binsenweisheit, die jeder kennt. Nur muss man sie jetzt offen ansprechen und darf diesen Problemen nicht, wie jahrzehntelang geschehen, ausweichen. Ich stehe dafür, dass den Problemen nicht mehr ausgewichen wird.
Lange: Nun könnten Sie ja die CDU/CSU beim Wort nehmen und sagen einverstanden, aber die Mehrkosten sind dann auch eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit. Das muss dann die gesamte Gesellschaft finanzieren und nicht nur der Beitragszahler.
Riester: Völlig richtig! Das genau haben wir gemacht. Wir haben im letzten Jahr die Staatsleistungen aus der Rentenversicherung herausgenommen, die einigungsbedingten Aufgaben, die Kindererziehungszeiten. Sie werden jetzt über die Steuer finanziert. Dafür verwenden wir die Ökosteuer. Das Geschrei hören Sie ja im Moment, das da ist. Die Union will immer die Lösung, aber den Weg dazu sagt sie weder noch ist sie bereit, wenn er gegangen wird, ihn aufzunehmen. Schauen Sie, ich habe die Rentenversicherung übernommen. Da war noch eine Rücklage von 21 Tagen Rentenzahlung vorhanden. Wir haben jetzt im letzten Jahr Gott sei Dank die Rentenversicherung wieder aufgebaut um 8,4 Milliarden, Stabilität hereinbekommen, aber dafür müssen wir natürlich Steuermittel in die Hand nehmen.
Lange: Gut, aber wir reden jetzt von der langfristigen Sicherung. Da kommen ja auf die Normalverbraucher doch weitaus höhere Ausgaben zu. Zum Ideenarsenal der Rentenreformer gehörte ja auch mal das Modell der Schweiz: Der Beitragssatz gilt für jede Form von Einkommen mit der Folge, dass der Beitrag dann für alle deutlich geringer wird. Warum wird das nicht mehr weiterverfolgt?
Riester: Weil wir das System nicht umstellen können, zumindest nicht mittelfristig, kurzfristig schon gleich gar nicht. Denn dazu müssten wir wie in der Schweiz dann alle Einkommen gleichzeitig auch noch zu den Umlagen einbeziehen, die jetzt schon gemacht werden. Die Rentner, die jetzt vorhanden sind, haben einen Rechtsanspruch - und Gott sei Dank haben sie ihn -, dass sie ihre Renten bekommen. Die bekommen sie von den normalen Beitragsleistungen. Wenn wir zusätzlich jetzt noch in Form einer Steuer Beiträge erheben würden, dann wäre eine Doppelbelastung für die jetzige Generation die Folge. Das können wir nicht machen. Sie können so ein System - darüber sind sich aber im Kern auch alle einig - nicht kurz- oder mittelfristig umsteuern. Was wir jetzt machen ist eine langfristige Umsteuerung. Wir haben das erstemal - ich glaube, in ganz Europa gibt es nichts Vergleichbares - ein Konzept vorgelegt, das seine volle Wirkung im Jahre 2050 erreicht. Das mag für viele ganz weit weg sein, aber für die jetzigen Berufseintreter ist es genau die Zeit, wenn sie in Rente gehen. An die muss ich auch denken!
Lange: Langfristig sollen nach Ihrem Konzept vier Prozent des Bruttoeinkommens für die private Altersvorsorge eingesetzt werden. Es bleibt nach wie vor die Frage, warum wollen Sie die Lasten dieser demographischen Entwicklung nicht mehr gleichmäßig auf Arbeitnehmer und Unternehmen aufteilen?
Riester: Bei der Sozialversicherungsrente bleibt es so. Nur die ergänzende zusätzliche Kapitalvorsorge, die gemacht wird, war auch in der Vergangenheit nicht paritätisch. Wir sagen, wenn wir die jetzigen Renten absichern - und das machen wir mit der Entscheidung -, dann müssen wir zumindest die zukünftigen langsam dahin führen, dass sie eine ergänzende Vorsorge machen, ich betone eine ergänzende. Diese ergänzende Vorsorge war nie paritätisch finanziert. Da wird wieder bewusst eine Verwirrung auch von der Opposition hereingebracht, die kaum zu überbieten ist.
Lange: Ich hoffe, meine Verwirrung hält sich in Grenzen.
Riester: Ihre nicht, aber ich verfolge das ja auch, nicht immer mit Spaß, was dort abläuft.
Lange: Aber der Anteil der Privatfinanzierung nimmt doch über diese 50 Jahre enorm zu, und am Ende, wenn die Zahl stimmt? Franz Uhland vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger geht davon aus, dass das Niveau der gesetzlichen Rente dann bis auf 54 Prozent sinkt. Ist das die Zahl, auf die wir uns langfristig einrichten sollten?
Riester: Das ist nicht die Zahl. Ich will das jetzt auch bewusst nicht kommentieren. Man wird sich aber langfristig bis zum Jahre 2050 darauf einrichten, dass von der Gesamtversorgung, die dann wesentlich höher ist, sie liegt dann bei 80 Prozent, zwei Drittel abgedeckt sind durch die gesetzliche und ein Drittel durch die kapitalgedeckte Altersvorsorge. Dann sind wir in einem ganz stabilen Verhältnis, um das uns in Europa wahrscheinlich sehr viele beneiden.
Lange: Halten Sie denn, nachdem es ja um die Kürzung des Rentenniveaus auf 64 Prozent doch heftige Diskussionen gegeben hat, eine weitere Senkung für politisch durchsetzbar?
Riester: Herr Lange, da müssen wir uns über die Zeiträume unterhalten. Unser Konzept, das gleichzeitig Leistungen aufbaut und die Gesamtversorgung hält wie jetzt, wird bis zum Jahr 2030 etwa bei 64 Prozent sein. Die Blümsche Vorstellung, wenn ich mal so sagen darf, die wäre schon 2015 bei 64 Prozent gewesen und die Beiträge wären weiter gestiegen. Darin lag ja das Problem.
Lange: Immerhin hat der frühere Bundespräsident und Verfassungsrichter Roman Herzog in diesem Zusammenhang auch schon mal vor einem enteignungsgleichen Eingriff gewarnt. Müssen Sie nicht Sorge haben, dass Ihnen irgendwann die Verfassungsrichter dazwischenkommen und sagen, Moment, da gibt es eine Untergrenze?
Riester: In dieser Frage mit Sicherheit nicht. Die hat der Bundespräsident auch nicht gemeint. Die Ansprüche der jetzigen Rentner bleiben absolut bestehen. Sie haben ja den Aufschrei gehört, als wir sagten, für zwei Jahre wollen wir die jetzigen Renten nur im Rahmen der Inflationsrate ansteigen lassen. Da haben sie alle aufgeschrieen. Die Namen und Organisationen kann ich Ihnen abzählen. Jetzt sagen wir, jetzt bauen wir gleichzeitig eine kapitalgedeckte für die Zukunft auf und strecken die Forderungen der sozialen Rentenversicherung um die Jahre, wo sie länger bezogen wird. Und jetzt schreit wieder jeder auf, aber das ist man gewohnt. Diese Reform wird jetzt gemacht!
Lange: Und Sie sind sicher, dass Sie das politisch durchhalten?
Riester: Ich bin sicher, dass wir das durchhalten.
Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Walter Riester, der Bundesarbeitsminister. - Herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Link: Interview als RealAudio