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Diskussion um die Wiedereinführung der Vermögenssteuer

Müller: "Die müssen über die Wiedereinführung der Vermögenssteuer nachdenken", sagen die einen. "Eine Steuererhöhung wird es mit uns nicht geben", sagen die anderen. Das bekannte dabei: die Stimmen der Gegner und der Befürworter kommen allesamt aus einer Partei, aus der SPD, die bekanntlich die Bundesregierung führt. Der Kanzler sagt also nein, der Bundesgeschäftsführer sagt ja zur Vermögenssteuer, unterstützt dabei von Ministerpräsidentin Heide Simonis und Ministerpräsident Reinhard Klimt. Diesen geht es darum, die soziale Ausgewogenheit des Sparpaketes sicherzustellen, wie es heißt, und das Bundesverfassungsgericht hatte vor vier Jahren erhebliche Bedenken gegen die Besteuerung von Privatvermögen geäußert. 1979 wurde die Steuer abgeschafft. Eine Wiedereinführung wäre also auch rechtlich äußerst kompliziert. Wie steht es also nun um die Haltung der SPD bei der Vermögenssteuer? Am Telefon ist nun der Finanzexperte und stellvertretende Fraktionschef der SPD im Bundestag, Joachim Poß. Guten Morgen!

    Poß: Guten Morgen.

    Müller: Herr Poß, wissen Sie was die SPD will?

    Poß: Ja, natürlich. Ich weiß was die SPD will, weil ich den Verlauf der Diskussion in den letzten Jahren natürlich sehr genau verfolgt habe. Dort ist erstens festzustellen, daß die Vermögenssteuer nicht abgeschafft wurde. Auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts war der Gesetzgeber gehalten, bis Ende 1996 zu einer verfassungskonformen Neuregelung zu kommen. Das kam damals nicht zustande, weil sich die Mehrheit in Bundestag und Bundesrat nicht haben verständigen können. Deshalb wird sie nicht erhoben. Es besteht das Gesetz weiter, aber die Vermögenssteuer wird nicht erhoben. Das ist, wie gesagt, in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Das zweite ist: Das Verfassungsgericht hat auch die Vermögenssteuer nicht als verfassungswidrig erklärt. Es hat die ungleiche Bewertung des Vermögens, insbesondere die zu niedrige Bewertung des Grundvermögens, als verfassungswidrig bezeichnet. Es geht also im wesentlichen um Bewertungsfragen.

    Müller: Was will denn jetzt die SPD?

    Poß: Die SPD hat dann mit den Grünen zusammen im Oktober letzten Jahres eine Koalitionsvereinbarung abgeschlossen. In dieser steht, daß eine Sachverständigenkommission einberufen wird, die die Grundlage für eine wirtschafts- und steuerpolitisch sinnvolle Vermögensbesteuerung schaffen soll. Diese Kommission ist vom Bundesfinanzministerium berufen worden, die sich auf der Arbeitsebene mit diesen Bewertungsfragen auseinandersetzt. Ich rechne mit einem Ergebnis Anfang nächsten Jahres. Wenn das Ergebnis vorliegt, dann wird man sich in der Tat das anschauen und prüfen müssen, ob eine Neuregelung unter Berücksichtigung der Vorgaben des Verfassungsgerichts in Frage kommt, ob also auch ein Erhebungsverfahren gefunden werden kann, das so einfach ist und nicht aufwendig ist, daß es Sinn macht, im Verhältnis zum Steueraufkommen eine solche Steuer zu prüfen, daß Abgrenzungsprobleme zwischen Privat- und Betriebsvermögen und so weiter geklärt werden. All diese Dinge, und daß man auch mal einen Blick über den Zaun auf andere Länder wagt, wie da denn sonst in der OECD aussieht, wie sind die Dinge dort eigentlich geregelt, was wird der Besteuerung unterworfen, wird dort etwa auch Vermögen besteuert. Ich bin also für eine geordnete Vorgehensweise, wie sie von allen Beteiligten in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen wurde. Einige haben das schon gänzlich vergessen. Das betrifft ja nicht nur die SPD. Auch Äußerungen aus den Reihen der Grünen belegen das ja. Ich bin gegen eine Steuererhöhungs-Debatte im Zusammenhang mit dem Zukunftsprogramm 2000, ebenso wie der Bundeskanzler und Herr Eichel, um das einmal ganz klar zu sagen, aber ich bin dafür, daß man die Option, die sich in der Koalitionsvereinbarung befindet, daß man diese Option prüft. Um mehr geht es gar nicht. Wir sollten dies in einem geordneten Verfahren tun. Das sollten wir mal in Ruhe abwarten und nicht weiter in hektische Diskussionen verfallen, wie sie derzeit stattfinden.

    Müller: Wäre denn eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer keine Steuererhöhung?

    Poß: Wissen Sie, es wird darauf ankommen, daß man derzeit das Zukunftsprogramm der Bundesregierung in den Vordergrund rückt. Dazu gehört auch die Unternehmenssteuerreform und das Familienentlastungsgesetz. Damit haben wir genug zu tun und müssen uns in diesem Jahr auch darauf konzentrieren. Welche steuerpolitische Landschaft wir dann im nächsten oder übernächsten Jahr haben - eine solche Koalitionsvereinbarung gilt ja für vier Jahre -, das muß man sich dann anschauen. Was haben wir denn nach dem Steuerentlastungsgesetz erreicht, bei der Ertragsbesteuerung. Es ist ja vielfach untergegangen, daß Millionen von Arbeitnehmern und Familien durch das Steuerentlastungsgesetz erstmals auch in den nächsten Jahren noch nachhaltiger entlastet werden. Lohnsteuerzahler werden im Jahre 2002 45 Milliarden Mark weniger zahlen müssen. All das muß man ja sozusagen im Gesamtzusammenhang sehen: wo stehen wir steuerpolitisch nach dem Steuerentlastungsgesetz, nach der Unternehmenssteuerreform, die wir vornehmen wollen, und wie sieht es im internationalen Vergleich aus. Dann sollte man das in Ruhe und rational und sachlich diskutieren, ob eine Vermögenssteuer dann noch ihre Berechtigung hat, ihren Platz hat unter den Kriterien und Konditionen, die ich vorhin genannt habe.

    Müller: Gerhard Schröder, wenn wir das alle richtig verstanden haben, hat ja nun definitiv nein gesagt zu einer Wiedereinführung der Vermögenssteuer, in welcher Form auch immer. Heißt das, die Fraktion steht gegen den Kanzler?

    Poß: Gerhard Schröder stört sich vor allem daran - und das verstehe ich auch -, daß derzeit das, was wir politisch wollen, das ist die Durchsetzung des Zukunftssicherungsprogramms einschließlich der steuerpolitischen Vorhaben, überdeckt werden könnte durch eine Steuererhöhungsdebatte. Die Gefahr hat sich ja jetzt leider schon durch das bewahrheitet, was in den letzten Wochen gelaufen ist.

    Müller: Wenn der Kanzler nein sagt heißt das nicht unbedingt nein?

    Poß: Der Kanzler hat doch deutlich gemacht, auch gestern noch durch die Regierungssprecherin, daß er gegen eine Steuerhöhungsdebatte ist. Man muß das doch einmal zur Kenntnis nehmen, was wörtlich gesagt wurde. Er weiß schon genau was er sagt. Er hat sich immer gegen eine Steuererhöhungsdebatte ausgesprochen. Ich halte diese Einschätzung des Kanzlers für richtig. Das tangiert meines Erachtens das, was die Fraktion beschlossen hat wie der Parteirat der SPD auch, daß die nämlich erinnert haben an die Koalitionsvereinbarung, überhaupt nicht. Wir sind in dem Verfahren. Diese Kommission, von der ich geredet habe, ist berufen und hat zum letztenmal im Juli getagt. Es ist eine Kommission, die besteht aus Praktikern der Finanzverwaltung, der Länder und des Bewertungsreferates des Bundesfinanzministeriums. Die werden ein nächstes Treffen im Herbst haben, und dann werden wir die Ergebnisse abwarten müssen. Wir sind überhaupt nicht in einer Situation, in der Entscheidungsbedarf vorhanden ist.

    Müller: Ist da nicht die Frage, Herr Poß, was man politisch will? Schließlich ist das Sparpaket auf der Tagesordnung, und es geht um die soziale Ausgewogenheit.

    Poß: Was man dann politisch will, das kann man wirklich guten Gewissens nur festmachen an dem, wie sind die sachlichen Voraussetzungen. Ein Kernproblem seit dem Urteil des Verfassungsgerichts - vorher aber auch schon; das war ja vorher als Problem bekannt - ist die Frage der Bewertung, insbesondere der Bewertung des Grundbesitzes. Wir brauchen eine sachliche Grundlage für eine Entscheidung. Das war ja der Sinn auch dieser Formulierung in der Koalitionsvereinbarung, der damals alle Beteiligten zugestimmt haben.

    Müller: Sie könnten sich eine Besteuerung von Privatvermögen vorstellen, wenn die entsprechende Kommission zu diesem Ergebnis kommt?

    Poß: Ja. Ich habe auch in der Vergangenheit die Position bezogen, die bis 1995 auch Auffassung des damaligen Bundesfinanzministers Theo Weigel war, Nachzulesen in Schriften des Bundesfinanzministeriums, daß das Vorhandensein von Vermögen die Leistungsfähigkeit stärkt. Wenn man sich das gesellschaftspolitisch anschaut - und da hat Reinhard Klimt ja nicht Unrecht, wenn er auf die Entwicklung der Geldvermögen in den letzten Jahren hinweist -, wenn man also die Einkommens- und Vermögensverteilung sich gesellschaftspolitisch anschaut, zum Beispiel das Kirchenwort zur sozialen Lage heranzieht und diese Dinge - und das geht ja weiter; dieser Trend ist ja da -, dann glaube ich wird diese Frage immer wieder auftauchen. Das hat mit Neiddiskussion und so weiter glaube ich nichts zu tun. Ich bin aber dafür, daß man in einem geordneten Verfahren auf einer vernünftigen Grundlage diese Entscheidung trifft, und da müssen ein paar Fragen konzeptionell auch geklärt sein.

    Müller: Herr Poß, wenn Sie sagen, es gibt keinen Handlungsbedarf, warum jetzt die Diskussion?

    Poß: Es gibt jetzt aktuell keinen Handlungsbedarf, was den Zeitpunkt angeht.

    Müller: Geht es nicht darum, auch das Sparpaket sozial zu flankieren, was die Ministerpräsidenten fordern?

    Poß: Das ist die Absicht derjenigen wie Klimt, Simonis und so weiter, die das jetzt aktuell fordern. Ich muß als jemand, der diese ganzen Dinge seit Jahren verfolgt, darauf hinweisen, wie der Stand ist. Ich habe nicht den Eindruck, daß die Diskussion in den letzten Tagen in Kenntnis des konkreten Standes der Dinge geführt wurde.

    Müller: Die beiden, die Sie angesprochen haben, stecken ja mitten im Wahlkampf. Hat das auch damit etwas zu tun?

    Poß: Ja, natürlich. Daß man im Wahlkampf auf Gerechtigkeitsprobleme hinweist, ist ja auch naheliegend.

    Müller: Hinweist oder nachholt?

    Poß: Es ist ja auch nicht falsch. Ich muß nur sagen, zum derzeitigen Zeitpunkt gibt es keinen Entscheidungsbedarf.

    Müller: Ist die Sozialpolitik der Sozialdemokraten auch vor dem Hintergrund der jüngsten Umfrageergebnisse unter die Räder gekommen?

    Poß: Was bedauerlich wäre ist, wenn ein Eindruck sich verstärkt, als würden wir nicht mehr das, was wir formuliert haben, auch im Wahlkampf formuliert haben, daß wir beides wollen, Modernisierung und soziale Gerechtigkeit, als würden wir einen Teil davon vernachlässigen wollen. Ich glaube, für die Sozialdemokratie ist sehr wichtig, unabhängig jetzt von dieser Frage der Vermögensbesteuerung, daß ganz deutlich bleibt: sie ist die Partei, die nicht nur aus ihrer Tradition heraus, sondern auch weiter bei der Zukunftsgestaltung darauf achtet, daß die soziale Gerechtigkeit nicht unter den Schlitten kommt. Es wäre tötlich für eine Partei wie die SPD, für eine Volkspartei, wenn soziale Kompetenz gegen Wirtschaftskompetenz ausgespielt wird. Eine Partei wie die SPD kann nur dann stark sein - und das hat ja auch das Wahlergebnis im letzten Jahr bewiesen -, wenn sie für Wirtschaftskompetenz und Sozialkompetenz steht.

    Müller: Joachim Poß war das, der stellvertretende Fraktionschef der SPD im Bundestag. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!