Am 4. April dieses Jahres berichtet die Tagesschau über einen Giftgas-Angriff auf die syrische Zivilbevölkerung. Was genau passiert ist, sei am Abend immer noch nicht ganz klar. Am nächsten Tag sendet das ZDF eine Ausgabe der Talkshow "Markus Lanz" zum Thema. Der Talkmaster schürt schon in seiner Anmoderation Zweifel an der Vermutung, Assad-Leute könnten hinter der brutalen Aktion stecken.
Markus Lanz: "Sofort, das haben wir auch in diesem Fall wieder erlebt, beginnt der Wettkampf um die Deutungshoheit dieser Bilder. Alle sagen: Ich war's nicht. Dann ist innerhalb weniger Stunden klar: das war der Diktator, es war Assad (…) irgendjemand hat ganz gezielte Interessen, streut ganz gezielte Informationen, stellt diese Bilder auf eine ganz gezielte Art und Weise her und erreicht seinen Zweck, den er schon zuvor auf diese perfide Art und Weise verfolgt hat. "
Lüders: "Für den syrischen Bürgerkrieg in erster Linie der Westen verantwortlich"
Michael Lüders, lange Jahre Nahost-Korrespondent der Zeit und heute Politik- und Wirtschaftsberater sowie Publizist, vertritt die These, dass für den syrischen Bürgerkrieg in erster Linie der Westen verantwortlich sei. In der Lanz-Sendung verweist er auf einen ähnlichen, noch schlimmeren Giftgas-Angriff im Jahr 2013:
Michael Lüders: "Heute gehen eigentlich die Indizien in diese Richtung, dass dies ein Angriff unter falscher Flagge war. Nach allem, was wir bislang vermuten dürfen und was wohl als gesichert zu gelten hat, war dies eine Zusammenarbeit der Nusra-Front, also einer der übelsten dschihadistischen Gruppierungen, al-Quaida-Ableger in Syrien, mit dem türkischen Geheimdienst MIT. (…) Die Türkei hat ganz offenkundig die Nusra-Front bewaffnet mit Sarin-Gas. (…) die ersten, die darüber berichtet haben, waren türkische Journalisten, darunter auch Can Dündar, den wir in Deutschland kennen, der musste fliehen vor Erdogan."
Der Hintergrund
Can Dündar jedoch widerspricht dieser Darstellung. Der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sagte er, Giftgas-Lieferungen seien - Zitat - "totaler Unsinn". Mitarbeiter der neuen ARD-Recherche-Redaktion "faktenfinder" bezeichneten die Quellenlage von Lüders These als dünn bis widersprüchlich. Anne Will distanzierte sich sogar in ihrer Sendung von dem geladenen Gast - bevor dieser noch wirklich zu Wort gekommen war.
"Wir haben Sie heute bewusst nicht als einen neutralen Nahost-Experten vorgestellt"
Anne Will: "Wir haben Sie heute bewusst nicht als einen neutralen Nahost-Experten vorgestellt, sondern als Autor und als Politik- und Wirtschaftsberater. Sie sind – muss man sagen, erklären – ein Geschäftsmann, der sein Wissen an Firmen verkauft, die im Nahen und Mittleren Osten ihre Geschäfte machen wollen. Spielt für Ihre wirtschaftlichen Interessen, oder spielen Ihre wirtschaftlichen Interessen da eine Rolle wenn Sie sagen oder behaupten, dass es der Westen sei, der Syrien ins Chaos gestürzt hat?"
Michael Lüders: "Also ich würde ganz gerne auf der sachlichen Ebene analysieren wollen und vor allem darauf abzielen, dass ich vor allem als Autor und Nahost-Experte bestimmte Analysen geleistet habe über die Region, die insofern sicherlich nicht mainstreamkonform sind, als sie eben doch – gerade was Syrien anbelangt – ein bisschen in eine andere Richtung gehen."
Beifall in den sozialen Medien - Kritik seitens anderer Nahost-Experten
Für das Vertreten der "anderen Richtung" wird Michael Lüders in den Sozialen Netzwerken gefeiert – vor allem von denen, die die so genannten "Systemmedien" ablehnen und glauben, dass der Westen sich gegen Putin und Assad verschworen hat.
In der Community der Nahost-Experten wird Lüders hingegen schon länger kritisch gesehen. Sylke Tempel beispielsweise, Chefredakteurin der Zeitschrift Internationale Politik, warf ihm schon vor fünf Jahren vor, das Weltbild von den "bösen israelischen und amerikanischen Kriegshetzern" zu pflegen. Thorsten G. Schneiders, Islamwissenschaftler und Nachrichtenredakteur beim DLF, verglich Lüders auf Twitter mit dem UFO-Experten Erich von Däniken.
Was immer man aber von Lüders halten mag: Anne Wills Kritik an der Geschäftstätigkeit des eigenen Gast war ziemlich wohlfeil. Neben Lüders waren letzten Sonntag als Experten geladen: Professor Michael Wolffsohn, der im Beiratsverzeichnis der Deutschen Bank erscheint oder Ex-Diplomat John Kornblum, der auch als Berater von Firmen, Banken und Kanzleien auftritt.
Michael Lüders zum Thema
Die Vorstellung seiner Person bei Anne Will kritisiert Lüders scharf. So wie Will formuliert habe, könne kaum beabsichtigt gewesen sein, einen sachlichen Dialog zu öffnen. Lüders fühlt sich absichtlich diskreditiert.
"Egal was man antwortet, man hat eigentlich schon verloren"
"Ich habe nicht gewusst, dass Fragen dieser Art gestellt werden würden. Natürlich rechnet man mit allem. Aber ich muss gestehen, dass ich mit dieser Intensität nicht gerechnet hätte, dass da Verbindungen hergestellt werden, die ich persönlich für sehr fragwürdig halte. Man hätte ja auch über den Inhalt des Buches zunächst einmal reden können. Das ist aber ja gar nicht geschehen."
Auf die Kritik hin, er zitiere als Quelle für seine Thesen sein eigenes Buch, entgegnet Lüders, er könne nicht die einzelnen Quellen, die er in seinem Buch aufgeführt habe in einer Live-Talkshow eins zu eins wiedergeben. Dafür reiche die Sendezeit nicht aus. Auch sein "großes Vorbild", den kontrovers rezipierten US-amerikanischen Enthüllungsjournalisten Seymour Hersh verteidigt Lüders. Wie Hersh sieht sich Lüders in erster Linie als Aufklärer. Er wünsche sich, dass mehr Menschen in Medien und Politik kritische Fragen stellen und auch den offiziellen Diskurs hinterfragen.
"Nicht in der Sache kritisiert sondern als Person"
Natürlich sei Assad ein Kriegsverbrecher, aber es sei zu einfach zu sagen, nur Assad und die Russen seien verantwortlich für das, was in Syrien geschieht. Auch die anderen hätten ihren Anteil daran, nicht zuletzt durch Waffenlieferungen an dschihadistische Rebellen.
"Grundsätzlich muss man wohl sagen, wer sich gegen den Mainstream stellt und wer vorherrschende Gewissheiten in der Politik aber auch in der Medialen Berichterstattung in Frage stellt, der muss natürlich gewappnet sein, dass er Gegenwind bekommt, denn das gefällt natürlich nicht allen, dass da jemand eine offizielle Lesart, die als richtig empfunden wird, in Frage stellt. (...) Mir fällt auf, dass diejenigen, die meine Ansichten oder generell die Ansichten von Menschen, die nicht eine bestimmte Mainstream-Linie bedienen, werden häufig nicht in der Sache kritisiert sondern als Person."