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Dissertationsskandal an der Uni Zürich

Alte Schriften übersetzen statt wissenschaftliche Eigenleistung erbringen - auf diesem Weg sollen Doktoranden an der Universität Zürich zu ihrem Titel gekommen sein. Im Mittelpunkt steht ein Professor, der in der Politik eine bedeutende Rolle spielt.

Von Thomas Wagner |
    "Professor in der Kritik: Mit bloßen Übersetzungen zum Doktortitel: Die Rundschau-Recherche…"

    So berichtete das Polit-Magazin "Rundschau" des Schweizer Fernsehens srf dieser Tage – und sorgte damit für ein gerütteltes Maß an Aufregung in der Hochschul- und Wissenschaftswelt der Eidgenossenschaft. Denn die Vorwürfe, die die Kollegen des Schweizer Fernsehens recherchiert haben, stellen harten Tobak dar – und haben einen konkreten Adressaten: den Medizinhistoriker Christoph Mörgeli. Der ehemalige Kurator des Medizinhistorischen Museums betreute als Titularprofessor nach eigenen Angaben über 60 Doktorarbeiten der Medizin. Ein Dutzend davon hätten, so der Vorwurf der "Rundschau", in bloßen Übersetzungen jahrhundertalter medizinhistorischer Texte ins Hochdeutsche bestanden, ohne wissenschaftliche Eigenleistungen. Die "Rundschau" beruft sich darauf, die umstrittenen Dissertationen selbst eingesehen zu haben – und beschreibt ein Beispiel:

    "Diese Dissertation etwa besteht aus hundert Seiten bloßen Abtippens des alten Textes. Selbst verfasst ist die Einleitung von Seite zwei bis neun, ganze sieben Seiten. Dann folgen hundert Seiten, eins zu eins abgeschriebene, medizinische Rapporte aus dem 19. Jahrhundert. Schließlich die abschließende wissenschaftliche Diskussion – ganze zwei Seiten."

    Einer jener Doktoranden, deren medizinische Doktorarbeit an der Universität Zürich ebenfalls in der Übertragung historischer Texte bestand, stellte sich im Schweizer Fernsehen im Interview, wollte dabei aber anonym bleiben. Seine Angaben ließ das Schweizer Fernsehen daher nachsprechen, verbürgt sich jedoch für die Authentizität des Wortlautes.

    "Ich ging ins Universitätsbüro von Doktor Mörgeli. Dort überreichte er mir einen alten Text aus dem Archiv seines medizinhistorischen Institutes. Ich musste diesen historischen Text vom alten Deutsch ins neue Deutsch abschreiben. Das war alles. Wissenschaftlich musste ich rein gar nichts leisten."

    Doch es kommt noch dicker: Nach dem "Rundschau"-Bericht war der Doktorand des Altdeutschen gar nicht mächtig. Machte aber trotzdem nichts.

    "Ich konnte den Text in alter deutscher Schrift nicht entziffern. Ich suchte lange und fand jemanden, der gegen Bezahlung für mich abschrieb. Selbst verfasst habe ich nur einige Seiten der Zusammenfassung. Das war meine Doktorarbeit."

    Starker Tobak an der Universität Zürich – eine Hochschule, die weltweit einen exzellenten Ruf genießt. Im Mittelpunkt der Kritik steht der Medizinhistoriker Christoph Mörgeli, der ausnahmslos alle der umstrittenen Doktorarbeiten nach dem Beitrag des Schweizer Fernsehens betreut haben soll. Der wehrte sich allerdings heftig gegen die Vorwürfe, gestand jedoch in der Sache ein: Jawohl, es habe durchaus Doktorarbeiten gegeben, in denen die Übertragung historischer Texte ins Neuhochdeutsche im Mittelpunkt gestanden hätte. Dies sei jedoch durchaus eine für eine Dissertation angemessene Leistung gewesen.

    "Das erfordert eine ganze Menge Zeit und Mühe. Das ist eine historische, wissenschaftliche Arbeit. Das ist also anspruchsvoll, die zu entziffern, die in einen größeren Zusammenhang zu stellen."

    Dabei habe er bei der Themenstellung aber auch auf die hohe Arbeitsbeanspruchung angehender Mediziner eingehen wollen:

    "Ich habe gewusst, die haben einen strengen Beruf, die haben auch sehr viele klinische Arbeit. Ich kann ihnen etwas geben, wo sie auch daheim, am Wochenende, etwas machen konnten."

    Das allerdings ist in der Schweiz höchst umstritten. Professor Michelle Bergadaá lehrt an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Genf und steht einer Stiftung für verantwortungsvolle Bildung und Erziehung vor. Sie gilt außerdem als renommierte Plagiatsforscherin und zeigt sich von dem Züricher Fall schockiert, obwohl es dabei nicht einmal um Plagiate im engeren Sinne geht.

    "Nein, nein, die Regeln für Dissertationen sind klar. Man kann nicht einen einzigen Autor nehmen und zum Schluss sagen: Ich finde das interessant. Das geht nicht. Man muss mehrere Autoren vergleichen, die Ideen vergleichen und eine eigene Analyse schreiben."

    Michelle Bergadaà fordert eine unabhängige Zweit-Überprüfung der umstrittenen Doktorarbeiten durch unabhängige Gutachter. Die Universität Zürich hüllt sich weitgehend in Schweigen. In einer dürren Mitteilung per E-Mail lässt sie wissen, sich zu den Vorgängen bis zum Abschluss einer Überprüfung der Vorgänge nicht zu äußern. Allerdings wurde mittlerweile eine Empfehlung der Universitäts-Pressestelle über deren Twitter-Account eines anderen Tweets bekannt. Und darin hatte es geheißen, "im Vergleich zu den von Mörgeli betreuten Dissertationen sei die Affäre Schavan ein Klacks gewesen."

    Christoph Mörgeli selbst will nun gerichtlich gegen die Vorwürfe und gegen den Beitrag des Schweizer Fernsehens vorgehen. Der Vorwurf, er habe Dissertationen, die die wissenschaftlichen Kriterien einer Doktorarbeit erfüllten, einfach nur durchgewunken, seien haltlos. Mörgeli vermutet eine populistische Kampagne gegen seine Person: Er vertritt die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei als Abgeordneter im Schweizer Nationalrat. Von seinem früheren Amt als Kurator des Medizinhistorischen Museums war Mörgeli allerdings im September vergangenen Jahres von einem Tag auf den anderen freigestellt worden. Die Universität Zürich hatte dies seinerzeit mit ungenügenden Leistungen begründet. Auf die Frage des Fernsehmoderators, ob er nach den jüngsten Vorwürfen denn an Rücktritt von seinen Ämtern denke, antwortete der Titularprofessor in gekonntem Schwyzerdütsch:

    "Sind Sie eigentlich vom Aff‘ gebissen? Die wollen mich fertigmachen als SVP-Mitglied. Meinen Sie, ich gehe wegen dem?"