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Diversität in den Medien
Weiß, Mittelschicht, Akademiker

Dass Deutschland eine plurale und diverse Gesellschaft ist, spiegelt sich in vielen journalistischen Redaktionen noch nicht wider. Sie sind immer noch weitestgehend homogen besetzt – mit Auswirkungen für die Berichterstattung.

Von Michael Meyer | 28.08.2018
    Journalisten im Pressezentrum des Europäischen Rats
    Journalisten im Pressezentrum des Europäischen Rats in Brüssel (picture alliance / dpa)
    "Guten Abend! Ich habe vor ein paar Wochen eine Email von einem Zuschauer erhalten, der schrieb: 'Wann wirft die ARD endlich den Eindringling/Gastarbeiter Zamperoni raus?'"
    So moderierte Ingo Zamperoni in den ARD-Tagesthemen vor einigen Wochen einen Beitrag an, als die Debatte um den Fußballer Mesut Özil auf ihrem Höhepunkt war. Kein Zweifel: Das Thema Integration, Migration und Geflüchtete wird in Deutschland immer noch verkrampft diskutiert. Die Art und Weise, wie Medien darüber berichten, ist oft Gegenstand von Debatten.
    Ähnliche Lebensläufe
    Auch die oft sehr homogene Besetzung der Redaktionen wird von Wissenschaftlern und Medienmachern immer häufiger kritisiert: weiß, Mittelschicht, Akademiker, in guten Stadtvierteln zu Hause – und in den Führungsebenen meist männlich, so das einhellige Ergebnis mehrerer Studien zur Personalstruktur in den Redaktionen. Von Journalisten mit Migrationshintergrund ganz zu schweigen.
    Laut einer sechs Jahre alten Studie der TU Dortmund hat im Journalismus nur jeder Fünfzigste einen Migrationshintergrund. Anzunehmen ist, dass die Zahlen heute nur leicht besser sind.
    Wo stehen wir eigentlich beim Thema Diversität in den Medien? Stephan Weichert, Medienforscher an der Hamburger Media School, sieht immerhin ein paar Fortschritte:
    "Also mein Eindruck ist, dass die Redaktionen inzwischen begriffen haben, dass sie was ändern müssen, aber wir in Deutschland tatsächlich noch viele Defizite auf vielen Ebenen in der Frage der Diversität in Redaktionen vor allem haben. Das heißt, es fehlen Journalisten mit Migrationshintergrund in den Redaktionen. Es geht aber auch um die sozialen Schichten, die in Journalistenkreisen immer sehr stark repräsentiert sind, das hat etwas mit Bildungsstand, mit Gehaltsvorstellungen zu tun, sozialer Situierung. Und da ist noch einiges im Argen und noch einiges zu tun."
    Erste Fortschritte
    Diese Monokultur in den Redaktionen hat dann auch Folgen für die Berichterstattung. Daniel Bax, ehemaliger Redakteur bei der taz, beobachtet seit vielen Jahren das Thema Migration und wie die Medien darüber berichten. Bax stellt ebenfalls fest, dass es einige Verbesserungen in den letzten Jahren gegeben hat:
    "Was man schon merkt, ist, dass natürlich die Wahrnehmung, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, das ist mittlerweile Konsens, und das spiegelt sich auch in der Berichterstattung, dass darüber gesprochen wird auch, wie man die Einwanderungsgesellschaft gestaltet. Es hat sich auch sehr stark verlagert auf Islamdebatten, weil Muslime als eine Gruppe wahrgenommen werden - zu Recht oder zu Unrecht - die da als besonders schwierig angesehen wird. Aber die Berichterstattung war nach dem 11. September schon sehr hysterisch. Da war sehr stark dieses Angstbild von Muslimen, das wurde sehr stark auch von etablierten Medien geschürt, das hat ein bisschen abgenommen."
    Stereotype statt Abbilder der Realität
    Noch immer, so monieren Medienkritiker, neigten Journalisten gelegentlich zum Klischee, wenn es um Minderheiten gehe. Nicht nur bei Migranten. Schwule würden zum Beispiel im Foto-Journalismus häufig halbnackt abgebildet, ein Symbol für angebliche sexuelle Ausschweifungen. Und Menschen mit Behinderungen würden ebenfalls oft klischeehaft porträtiert, kritisiert Judyta Smykowski. Sie engagiert sich beim Verein "Leidmedien", einem Verein, der sich dem "Disability Mainstreaming" verschrieben hat:
    "Also einmal das Klischee des Leids, also an einer Behinderung leiden, das sagt ja auch die deutsche Sprache. Wir sind immer dafür, dass man das Synonym einfach sagen könnte: mit einer Behinderung leben oder eine Behinderung haben. Einfach mit Sprache noch mal drüber nachzudenken, was die Wörter auch machen. Und das sehen wir einfach als Aufgabe der Journalisten."
    Berlin-Mitte-Blase
    Derartige Fragen treiben auch die Deutsche Presseagentur dpa um. Sven Gössmann ist seit einigen Jahren Chefredakteur. In einem Interview vor einigen Monaten meinte Gössmann, dass er sich mehr "Punks" in den Redaktionen wünsche, und dass er wegkommen wolle von der Blase in Berlin-Mitte, sprich: dem Regierungsviertel.
    Die Liste jener Themen, die man früher erahnen und hätte aufbereiten können, sei lang, meint Gössmann: von der Migrationskrise zum Brexit, Trump, das Aufkommen von Pegida oder autokratischer Politiker. Bei der dpa habe man darauf reagiert und versuche nun, bestimmte Themen anders aufzugreifen.
    "Wir haben Thementeams gebildet, die jetzt in Netzwerken zusammenarbeiten, die versuchen, Themen ganz anders anzugehen, herunterzubrechen, die versuchen, einen anderen Journalismus zu machen aus der sogenannten Empfängerperspektive. Also: Für wen schreiben wir eigentlich, für wen fotografieren oder senden wir eigentlich, und was interessiert die Leute, welche Themen treiben sie um?"
    Doch Veränderungen in der Redaktion selbst seien ein langwieriger Prozess, sagt Gössmann, und da stehe man noch am Anfang. Die Aufgabe, Reporter und Redakteure mit vielfältigen kulturellen Hintergründen zu finden, auch Quereinsteiger, die einen anderen Blickwinkel haben, sei nicht leicht. Denn um begabte Talente würden alle Redaktionen buhlen, sagt Gössmann.
    Insofern ist das Thema Diversität in den Medien eines, das weiterhin aktuell bleibt.