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Diversitätsdebatte im Mainstreamkino
Sie wollen doch nur spielen

Dass Hollywood-Star Scarlett Johansson einen transsexuellen Menschen spielen sollte, hat Proteste ausgelöst, weil kein Transgender-Schauspieler berücksichtigt worden war. Immer häufiger wird bei der Besetzung von Rollen Diversität eingefordert. Doch was heißt das für den Schauspielerberuf?

Von Jörg Albrecht | 07.08.2018
    Die US-Schauspielerin Scarlett Johansson auf der Met-Gala 2018.
    Sagte eine transsexuelle Rolle ab - Schauspielerin Scarlett Johansson (AFP / ANGELA WEISS)
    "Hi, mein Name ist John und ich bin Alkoholiker. Es tut gut hier zu sein. Am letzten Tag, an dem ich gehen konnte, wachte ich ohne Kater auf."
    In seinem echten Leben ist Joaquin Phoenix - wie wir alle wissen - nicht behindert. Somit sitzt der Schauspieler auch nicht in einem Rollstuhl – so wie der Mann, den er in "Don't Worry, weglaufen geht nicht" verkörpert. In der Filmbiographie, die nächste Woche in die deutschen Kinos kommt, spielt Phoenix den querschnittgelähmten US-amerikanischen Cartoonisten John Callahan.
    Offensiver Schulterschluss mit Interessenvertretern
    Hätte also ein Paraplegiker Callahan spielen sollen, ja vielleicht sogar müssen? Immer öfter wird von Behindertenverbänden gefordert, dass Menschen mit einem Handicap auch von solchen dargestellt werden. So ist Alec Baldwin kürzlich von einer Organisation, die sich für die Rechte von Behinderten stark macht, dafür kritisiert worden, einen Blinden gespielt zu haben. Sein Kollege Dwayne Johnson, der als unterschenkelamputierter Kriegsveteran in "Skyscraper" seine Familie aus einem brennenden Hochhaus retten muss.
    "Wie bist du hier reingekommen?" "Bin von einem Superkran gesprungen."
    Dieser Dwayne Johnson ist angesichts solcher Kritik gleich in die Offensive gegangen und der Organisation beigetreten. Unsere Industrie, so der Schauspieler, habe die Verpflichtung solche Geschichten zu erzählen. Er wolle die Filmindustrie ermutigen, einen Schritt weiterzugehen und auch Schauspieler mit Behinderungen zu besetzen - auch in solchen Filmen, in den das Handicap keine Rolle spielt.
    Schlimmste Schwarzmalerei der Filmgeschichte
    Jay Ruderman, der Vorsitzende der Organisation, verweist außerdem darauf, dass es schließlich auch niemand mehr akzeptieren würde, einen Darsteller mit weißer Hautfarbe in der Rolle eines Schwarzen zu sehen. Doch vergleicht man damit nicht Äpfel mit Birnen und vergisst man nicht bei dem Kampf für Chancengleichheit behinderter und nicht-behinderter Darsteller die Aufgabenstellung des Schauspielerberufs?
    "Hi, mein Name ist John und ich bin Alkoholiker."
    "Anonymer Alkoholiker": Das allerdings ist Joaquin Phoenix auch im echten Leben. Aber spielt er deshalb die Rolle von John Callahan besser als jemand, der noch nie zu tief ins Glas geschaut hat? Soll ein Serienkiller demnächst auch von einem gespielt werden? Schauspieler zu sein bedeutet sich zu verwandeln: psychisch wie physisch.
    Natürlich gab es in der Vergangenheit Beispiele von Transformationen, die weit übers Ziel hinausgeschossen sind. Sir Laurence Olivier habe seinen Othello im Film aus dem Jahr 1965 mit voller Absicht so dunkel angemalt. Erzählt der schwarze Shakespeare-Darsteller David Harewood. In seinen Bewegungen und seinem Duktus habe Olivier außerdem das Klischee eines Schwarzen bedient. Sein Auftreten sei einfach lächerlich gewesen.
    Überall Lauschgift
    "Lovely Ladies, kind Gentlemen! Please to introduce myself: Sakini by name, interpreter by profession."
    Man kann sich gut den Sturm der Entrüstung vorstellen, wenn heute ein weißer Schauspieler in die Rolle eines Japaners schlüpfen würde – so wie 1956 Marlon Brando in der Komödie "Das kleine Teehaus".
    Werden Charaktere zu Stereotypen und bedienen nur Klischees und Vorurteile, ist das sicher grenzwertig. Das erschreckendste Beispiel in der Filmgeschichte stammt aus einem gefeierten Film: "Frühstück bei Tiffany". Die Figur des von Mickey Rooney gespielten Mr. Yunioshi ist eine bösartige Karikatur. Sie erinnere an Bilder von Japanern in US-Cartoons aus dem Zweiten Weltkrieg. So Jeffery Scott Mio vom Media Action Network für asiatische Amerikaner.
    "Ha, da sind Sie, Lieutenant! Die gesuchte Frau! Die da!"
    "Cronberger, Rauschgiftdezernat."
    "Was wollen Sie von mir?"
    "Hier ist überall Lauschgift. In allen Ecken."
    Die Grenze zur Absurdität erkennen
    Figuren, die - unabhängig vom filmischen Kontext - ethnische Gruppen oder Minderheiten beleidigen oder verletzten, sollte kein Schauspieler annehmen – unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder sexueller Orientierung. Aber warum wird - wie jüngst geschehen - Scarlett Johansson dafür verurteilt, einen transsexuellen Charakter zu spielen? Das ist geradezu grotesk.
    Wo also ist die Grenze, wo wird das Einfordern von Diversität absurd und unterminiert den Schauspielerberuf? Vielfalt ja. Aber das gilt dann genauso für die Rollen, die ein Schauspieler annehmen darf. Christoph Waltz bringt es auf den Punkt. Auf die Frage, ob eines Tages ein Schauspieler mit afroamerikanischen Wurzeln James Bond spielen sollte, hat er geantwortet: Möglich sei alles. Es müsse eben sinnvoll für die Geschichte sein. Martin Luther King mit einem Weißen zu besetzen, würde ja wohl keinen Sinn ergeben.