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DIW-Experte vermisst Jobanreize bei Hartz IV

Karl Brenke, Arbeitsmarktexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), empfiehlt die Behebung "handwerklicher Fehler" bei der Arbeitsmarktreform Hartz IV. Unter anderem führten die Zuverdienstmöglichkeiten dazu, dass der Anreiz zu einer regulären Vollbeschäftigung fehle. Er empfahl, die Zuverdienstmöglichkeiten zu bündeln und auf diesem Weg sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu schaffen.

Moderation: Silvia Engels |
    Silvia Engels: Am Telefon ist nun Karl Brenke. Er ist Arbeitsmarktexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, kurz DIW, das Ganze in Berlin. Guten Tag, Herr Brenke!

    Karl Brenke: Guten, Tag Frau Engels!

    Engels: Wir haben es ja gerade noch einmal gehört. Die Vorschläge zu einer Hartz-Reform reichen von kleiner Korrektur bis hin zur Forderung nach einer Generalrevision. Was sagen Sie?

    Brenke: Wir haben jetzt gegenwärtig eine Debatte über die Kostenexplosion bei Hartz IV. Das muss man aber relativieren, weil wir haben mit der Einführung von Hartz IV eine Reihe von Gesetzesänderungen, die dazu geführt haben, dass automatisch der Kreis der Empfänger von Arbeitslosengeld II steigt. Denken Sie bitte daran, dass wir insbesondere bei den Älteren die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosengeld I, wenn ich es mal so nennen will, verkürzt haben. Das führt zwangsläufig dazu, dass der Kreis der Personen, die in Arbeitslosengeld II hineinwachsen, steigt. Das macht sich natürlich bemerkbar.

    Auf der anderen Seite ist es tatsächlich so, dass wir steigende Kosten bei Hartz IV auch deshalb haben, weil es in der Vergangenheit handwerkliche Fehler gegeben hat, beispielsweise deshalb, weil viele Jugendliche jetzt die Chance hatten, aus dem Elternhaus rauszuziehen und das unter zur Hilfenahme von Arbeitslosengeld II, und dass wir auch Bewegungen hatten, dass zumindest formal manch ein Paar, was nicht verheiratet war, sich getrennt hat und jetzt der Bezugskreis von Arbeitslosengeld II auch deshalb zumindest nicht gesunken ist.

    Engels: Das ist das Thema der Bedarfsgemeinschaften, die ja angestiegen sind. Werden denn jetzt mit diesen Änderungen, die die Bundesregierung bereits auf den Weg gebracht hat, hier Änderungen auch tatsächlich greifen können?

    Brenke: Na ja, es wird zumindest bei den Jugendlichen wohl so sein, dass jetzt sehr viel schärfer hingeguckt wird, ob man wirklich aus dem Elternhaus herausziehen kann. Allerdings hatten wir früher Regelungen bei der Sozialhilfe, dass es ein Rückgriffsrecht auf das Einkommen der Eltern gibt. Das hat man nicht wieder eingeführt. Das heißt, man wird lediglich den Effekt haben, dass die Zahl der Jugendlichen, die ausziehen, nicht stark weiter wachsen wird. Das ist aber immer noch unbefriedigend.

    Engels:! Zweites Problem ist ja beispielsweise, dass viele Niedrigverdiener ihren Anspruch auf ergänzende Hartz-IV-Leistungen entdeckt haben. Da gibt es jetzt nun Zahlen, dass Familien sich beispielsweise mit all diesen Zuschüssen besser stellen als jemand, der in Arbeit ist. Wie soll man denn damit umgehen?

    Brenke:! Ja, da haben wir ein grundsätzliches Problem. Das ist aber nicht nur ein Problem von Hartz IV, sondern das ist ein Problem des gesamten Niedriglohnsektors in Deutschland. Hier ist sehr viel durcheinander geraten. Wir haben regelrechtes Kuddelmuddel. Das betrifft jetzt nicht nur Hartz IV, das betrifft auch die Zuverdienstmöglichkeiten bei Hartz IV. Tatsächlich ist es so, dass bei einer bestimmten Haushaltskonstellation manch einer sich besser steht als jemand, der eine reguläre Erwerbstätigkeit aufnimmt. In den neuen Bundesländern geht das sogar so weit, dass man sich günstiger steht, keinen Job aufzunehmen, sondern Hartz IV in Anspruch zu nehmen, als etwa einer Tätigkeit als Facharbeiter nachzugehen. Auf der anderen Seite haben wir das Problem mit den Minijobs. Das sind ja auch letztendlich staatlich subventionierte Jobs. Die haben auch dazu geführt, dass Arbeit sehr billig wurde im Niedriglohnbereich. Dann hat man eben noch das Problem mit denjenigen Personen, nehmen wir beispielsweise eine Friseuse in den neuen Bundesländern, die auf 4,50 Euro kommt, damit nicht auskommt und zusätzlich Hartz IV bezieht, wobei man natürlich dann in Anführungsstriche setzen muss, ein Teil des Einkommens wird natürlich dann nicht berücksichtigt, etwa das Einkommen in Form von Trinkgeldern.

    Engels: Was soll man denn nun tun, die Hinzuverdienstgrenze absenken oder, wie auch der Vorschlag ist, die Hinzuverdienstgrenze aufstocken, aber dafür die Transfers reduzieren?

    Brenke: Ich würde sehr stark davor warnen, jetzt die Zuverdienstgrenze aufzustocken. Durch Hartz IV haben wir ja durch diese Zuverdienste im Grunde genommen einen Kombilohn, und zwar einen Kombilohn in der teuersten Form, den man sich vorstellen kann. Ich denke eher daran, dass man Möglichkeiten ergreift, eben diese Zuverdienstmöglichkeiten zu bündeln und daraus reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen zu machen.

    Engels: Das wäre dann der Kombilohn?

    Brenke: Das wäre kein Kombilohn. Das wäre ein reguläres Beschäftigungsverhältnis, wo man im Grunde genommen Arbeitslosen jegliche Zuverdienstmöglichkeiten untersagt, weil dadurch, dass Zuverdienstmöglichkeiten möglich sind, es ein Anreiz ist, eben nicht aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen, sondern den Kombilohn "Hartz IV" zu nutzen, noch etwas hinzuzuverdienen und nicht nach einer regulären Beschäftigung zu suchen. Wenn wir dieses System jetzt noch weiter ausdehnen würden, gibt es im Grunde genommen Anreize, in der Arbeitslosigkeit nicht nur zu verharren, sondern die Arbeitslosigkeit sogar zu suchen. Und das muss verhindert werden.

    Engels: Kommen wir noch zu einem zweiten Thema, das auch mit dem Arbeitsmarkt zusammenhängt. Das ist die Ausbildungssituation. Heute ist der "Tag der Ausbildung", aber dort gibt es auch Negativschlagzeilen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit sind gut 590.000 junge Menschen derzeit ohne Lehrstelle. Die Lücke beim Ausbildungsplan wird größer. Welches sind die Gründe?

    Brenke: Ich würde mit den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit sehr vorsichtig sein, weil die unterschätzen regelmäßig - und das haben wir in den letzten Jahren auch gesehen - die Ausbildungslücke, weil die Bundesagentur oftmals gar nicht erfasst, dass ein Jugendlicher schon einen Ausbildungsplatz hat. Manche haben sogar mehrere und nehmen dann nur einen an, und dann werden wieder Ausbildungsplätze frei.

    Engels: Aber die Firmen räumen ein, dass es diesmal schlechter aussieht.

    Brenke: Viele Firmen räumen das ein. Man müsste letztendlich bei dem, was die Zahlen anbelangt, bis zum Herbst abwarten. Die Misere auf dem Ausbildungsstellenmarkt ist natürlich nichts anderes als ein Spiegelbild der Misere auf dem gesamten Arbeitsmarkt in Deutschland. Hier haben wir eben das Problem - und das hat sich auch in den letzten Jahren zugespitzt -, dass gerade bei sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung die Arbeitsplätze abgebaut worden sind. Hier hilft auch nicht viel Lamentieren, zu sagen, wir haben hier nur ein Problem. Sndern im Grunde genommen geht es darum, die Beschäftigungssituation in Deutschland insgesamt zu verbessern. Das kann man aber nicht mit irgendwelchen speziellen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.
    Was vor allen Dingen noch ein Problem ist: Man muss daran denken, wir stehen in Deutschland vor einer demografischen Wende, was regional sehr unterschiedlich ausfällt. Deswegen kann man insbesondere an Unternehmen nur appellieren, verstärkt auszubilden. Sonst könnte es ihnen geschehen, dass in einigen Jahren ihnen die Facharbeiter fehlen. Wenn dann lamentiert wird, dann kann man nur sagen, die Unternehmen sind selbst schuld.

    Engels: Vielen Dank. Das war Karl Brenke. Er ist Arbeitsmarktexperte beim DIW. Ich bedanke mich für das Gespräch.