Mittwoch, 24. April 2024

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DJV-Vorsitzender Frank Überall zu Angela Merkel
"Ein guter Rücktritt ist selbstbestimmt"

Dem Publizisten zufolge hat Kanzlerin Merkel einen Zeitpunkt für ihren Rückzug gefunden, der zumindest von außen selbstbestimmt wirke – auch wenn sie möglicherweise keine Wahl gehabt habe. In der Vergangenheit seien viele Rückzüge oder Rücktritte nur unter Druck von Verfehlungen vonstatten gegangen.

Frank Überall im Gespräch mit Sarah Zerback | 31.10.2018
    Frank Überall, Bundesvorsitzender des DJV (Deutscher Journalisten Verband), aufgenommen 26.04.2016 in der Bundesgeschäftsstelle der Interessenvertretung der Journalisten in Berlin
    Publizist Frank Überall hält die Frage, wer Kanzlerin Merkel an der Spitze der CDU nachfolgt, für wegweisend für die Partei (Michael Kappeler/dpa)
    Sarah Zerback: Abschiede aus der Politik hat es schon viele gegeben. Die einen gelungen, die anderen weniger. Andere waren ziemlich desaströs. Die Gründe ganz unterschiedlich, ebenso wie die Konsequenzen.
    Frank Überall ist nicht nur Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbands, sondern auch Politologe und hat sich auch publizistisch mit Rücktritten von Politikern befasst. Guten Morgen, Herr Überall.
    Frank Überall: Guten Morgen.
    Zerback: Woran erkennt man denn jetzt den richtigen Moment?
    Überall: Na ja, bei Angela Merkel ist es ja jetzt kein richtiger Rücktritt, sondern quasi nur ein Rückzug. Sie hat ja eigentlich nicht weniger getan oder nicht mehr getan, als schlicht und ergreifend zu erklären, dass sie im Dezember beim Parteitag nicht wieder antreten wird - übrigens etwas, was wir aus der SPD schon ganz gut kennen. Darauf kommen wir sicherlich gleich noch mal zurück.
    Ein guter Rücktritt ist selbstbestimmt, und viele Rücktritte sind nicht selbstbestimmt. Da gibt es dann Druck, beispielsweise wegen Verfehlungen, in der jüngeren Bundesrepublik auch oft wegen Nazi-Vergangenheit, Vergangenheit im Dritten Reich, die dann bekannt wurde. Wir erleben es relativ selten, dass Politiker sich ganz freiwillig zurückziehen, und diesen Punkt hat Angela Merkel hier an der Stelle jetzt gefunden.
    "Es ist immer eine Kosten-Nutzen-Rechnung"
    Zerback: Da stimmen Sie tatsächlich zu? Es ist nicht so, dass da der Druck so groß geworden ist, dass sie quasi keine Wahl hatte?
    Überall: Möglicherweise hatte sie keine Wahl. Aber zumindest von der Außendarstellung können wir schon zur Kenntnis nehmen, das ist noch selbstbestimmt. Wir haben ja auch nach der Bayern-Wahl und nach der Hessen-Wahl nicht wirklich eindringliche Rücktrittsforderungen gehört aus der eigenen Partei. Natürlich gab es welche, die gemoppert haben, aber es war noch nicht soweit, dass aus dem eigenen Lager sich wirklich welche in die erste Reihe gestellt haben und massenweise ihren Rücktritt gefordert haben, oder auch nur ihren Rückzug. Aber letzten Endes ist es natürlich schon für sie eine schwierige Situation gewesen. In einer solchen Situation ist es immer eine Kosten-Nutzen-Rechnung für die Organisation. Hier erst einmal die Partei: Macht es Sinn, an Angela Merkel festzuhalten als Vorsitzende, oder nicht? Welchen Gewinn bringt das und welches Risiko birgt das auch in sich? – Das hat man schon gemerkt, zum Beispiel mit der Wahl von Brinkhaus, dass sie zum Teil das nicht mehr alles so im Griff hat, dass es Kräfte gibt, die sich gegen sie wenden. In der ganz persönlichen Kosten-Nutzen-Rechnung für Angela Merkel hat sich offensichtlich herausgestellt, ich gehe lieber.
    Zerback: Sie will Schaden dann eher von sich abwenden als von der Partei?
    Überall: Beides. Es ist ja auch die Gefahr, wenn sie jetzt weitergemacht hätte als Parteivorsitzende und möglicherweise über den Zeitpunkt der nächsten Bundestagswahl hinaus als Kanzlerkandidatin oder Kanzlerin, dass dann ein Ermüdungseffekt eintritt, dass sie möglicherweise dann gar nicht mehr gewählt wird, dass die Menschen sagen, jetzt ist es aber langsam auch mal gut. Sie ist ja schon sehr lange Kanzlerin. Sie ist es mit ihrem Stil sehr erfolgreich bisher. Aber so langsam bröckelt dieser Erfolg ja auch. Die Zeiten haben sich geändert und die Frage ist auch, ob dieser Stil heute noch passend ist.
    "Ich sehe eine Parallele zur SPD"
    Zerback: Jetzt teilen Ihre Einschätzung viele, dass sie tatsächlich noch den richtigen Moment erwischt hat. Gleichzeitig gibt es den FDP-Chef und auch den AfD-Chef, die uni sono sagen, Merkel hat das falsche Amt abgegeben. Hätte sie diese selbstgewählte Koppelung einfach belassen sollen?
    Überall: Dass jetzt aus den Oppositionsparteien diese Forderungen kommen, dass sie auch ihre Kanzlerschaft abgibt, ist ja selbstverständlich. Auf der anderen Seite ist natürlich jetzt auch eine Situation entstanden, oder sie wird entstehen, wo sie entweder zur, wie man so sagt, Lame Duck wird, zur lahmen Ente, wo jedem klar ist, die ist sowieso bald weg, auf die brauchen wir nicht mehr hören. Das ist eine Gefahr, die jetzt auch diese Bundesregierung ganz klar hat.
    Auf der anderen Seite könnte es auch befreiend wirken, dass sie sagt, okay, ich muss jetzt nicht mehr alle Rücksichten nehmen, ich muss nicht als Kandidatin wieder aufgestellt werden, ich kann das, was ich für richtig halte, auch durchziehen. Das ist jetzt die große Frage, in welche Richtung bewegt es sich. Möglicherweise hätte sie auch einen Befreiungsschlag machen können vor der Bayern-Wahl, vor der Hessen-Wahl. Möglicherweise hätte das noch ein paar Prozentpunkte gebracht. Aber das ist Kaffeesatzleserei.
    Zerback: Jetzt haben Sie gerade schon angesprochen: Historische Vergleiche drängen sich in diesen Zeiten quasi auf, gerade wenn wir über "Kohls Mädchen" sprechen. Sehen Sie Parallelen zur Endphase Helmut Kohls, oder macht sie es besser als er?
    Überall: Sie macht es eigentlich besser als er. Aber ich sehe eine Parallele eher zur SPD. Franz Müntefering zum Beispiel hatte eine ähnliche Situation, ist dann auch nicht wieder angetreten, was viele als Rücktritt gesehen haben, oder ganz klar als Rückzug, weil er eine Person auf dem Posten des Generalsekretärs nicht durchsetzen konnte. Das hatten wir übrigens auch schon häufiger. Das ist die große Schwierigkeit, wo man auch einiges ablesen kann, nämlich beispielsweise, was dann die Nachfolge angeht. Das ist ja die große Herausforderung, vor der die Union jetzt steht, eine profilierte Nachfolgerin oder einen profilierten Nachfolger zu bekommen. Da war es dann Matthias Platzeck und das ist jetzt bekanntermaßen nicht ganz so gut gelaufen. Die SPD hat eigentlich damit den Beginn einer sehr, sehr, sehr schwierigen Phase mit ihren Vorsitzenden gehabt, und insofern wird es sehr, sehr spannend, welche profilierte Persönlichkeit jetzt an die Spitze der Union kommt.
    "Ein Posten bei der UNO wäre theoretisch noch denkbar"
    Zerback: Jetzt haben wir in der Vergangenheit auch gelernt, dass Rücktritte nicht unbedingt einer politischen Karriere schaden müssen. Angela Merkel hat jetzt gesagt, sie hat keine weiteren politischen Ambitionen. Aber wir haben das zum Beispiel auch beim ehemaligen Verteidigungsminister gesehen, der es danach noch bis zum Kanzlerkandidaten gebracht hat. Mal generell gefragt: Was hilft denn da, um nach einem Rücktritt auch noch weitermachen zu können?
    Überall: Zum einen fair bleiben, nicht nachtreten, und zum anderen sich im Gespräch halten. Jetzt hat Angela Merkel ja eigentlich schallend die Tür zugeworfen. Sie hat gesagt, nein, ich möchte dann in der Bundespolitik nicht mehr aktiv sein, ich möchte auch kein Amt auf europäischer Ebene haben. Formal hat sie jetzt nicht gesagt, auf internationaler Ebene. Ein Posten bei der UNO wäre theoretisch noch denkbar. Ich glaube schon, dass sie jetzt erst mal eine Abkühlphase haben wird. Und dann muss man auch sehen: So lange Kanzlerin gewesen zu sein, das ist unglaublich anstrengend, und ob man sich dann noch mal so aktiv einmischt in die Politik, wage ich zu bezweifeln. Ich glaube, die einzige Möglichkeit, dass Angela Merkel noch mal in Amt und Würden käme, wäre, dass sie schlicht und einfach gebraucht wird, dass sie gerufen wird und dass gesagt wird, wir haben wirklich niemand anderes mit dem Renommee, der das wirklich machen kann. Insofern würde ich auch nicht ausschließen, wenn sie auch für sich ausgeschlossen hat, dass sie auf europäischer Ebene einen Posten annehmen würde. Ich würde das mittelfristig nicht ausschließen. Wenn sie dann wirklich gebraucht wird, ich glaube, da ist sie im wahrsten Sinne des Wortes Staatsdienerin genug, als dass sie sagen würde, okay, wenn ihr mich wirklich braucht, würde ich nicht Nein sagen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.