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Dok Leipzig
Ein Bürger namens Snowden

"DOK Leipzig" gehört inzwischen zur ersten Liga der Filmfestivals. Claas Danielsen, der scheidende Direktor hatte sich zum Auftakt der diesjährigen Ausgabe die Deutschlandpremiere von "Citizenfour" gesichert. Ein Film über den Whistleblower Edward Snowden – mit einer ausgesprochen prominenten Eröffnungsbotschaft.

Von Martin Becker | 28.10.2014
    Edward Snowden in einer Szene des Dokumentarfilms «Citizenfour» (undatierte Filmszene). Laura Poitras half Edward Snowden, das Ausmaß der Überwachung durch amerikanische Geheimdienste aufzudecken. Nun ist ihr Dokumentarfilm «Citizenfour» fertig. Das Werk will mehr sein als ein «Snowden-Film».
    Filmszene aus "Citizenfour", einem Film der Journalistin Laura Poitras über den Ex-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden. (picture alliance / dpa / Praxis Films)
    "Fürs Erste sollen Sie wissen: Jede Grenze, die Sie passieren, jeder Einkauf, jeder Anruf, den Sie machen, jeder Funkmast in Ihrer Nähe, jeder Kontakt zu Freunden, jede Website, die Sie besuchen, jede Betreffzeile, die Sie tippen, all das liegt in den Händen eines Systems, dessen Reichweite unbegrenzt, aber dessen Kontrolle begrenzt ist."
    Es ist eine der ersten Nachrichten, die die Filmemacherin Laura Poitras im Jahr 2013 von einem Informanten erhält, der sich nur "Citizenfour" nennt. Bald sitzt dieser "Citizen", dieser Bürger also, ihr in einem Hotel in Hongkong gegenüber und buchstabiert seinen Namen: S-n-o-w-d-e-n. Snowden. Und vor der gestrigen Aufführung richtete sich der Protagonist selbst per Videobotschaft an das Publikum – zum allerersten Mal bei einer Premiere:
    "Leipzig erinnert uns daran, dass die Mauer und die DDR nicht durch Bomben, Waffen oder Gewalt gestürzt wurde, sondern durch ganz normale Menschen auf den Straßen und Plätzen."
    Große Teile von "Citizenfour" spielen im Hotelzimmer von Edward Snowden. Wir sehen, wie er sich mit dem Journalisten Glenn Greenwald über die ersten Enthüllungen berät. Wie sie überlegen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um die Identität des Whistleblowers öffentlich zu machen. Wir sind in den Augenblicken dabei, in denen der so gefasste Snowden dann doch fassungslos ist. Beispielsweise, als er Nachrichten von seiner Lebensgefährtin bekommt:
    "Ich habe gerade von Lindsay gehört, sie lebt und ist frei, das ist gut. Meine Miete kommt nicht mehr beim Vermieter an. Wenn wir nicht innerhalb von fünf Tagen zahlen, fliegen wir raus. Was seltsam ist, denn ich habe es so eingerichtet, dass die Miete automatisch gezahlt wird."
    "Citizenfour" ist ein durch und durch erschütternder Film. Als würde man einem Erdbeben zuschauen – von der ersten Erschütterung bis zu dem Moment, wo alles in Schutt und Asche liegt. Der Bürger Edward Snowden verliert sein Leben, wie es bis dahin war. Man sieht diesen Menschen, der für die Freiheit kämpft, nicht mehr nur als Nerd mit Brille und grauem Hemd. Dabei ist "Citizenfour" in seiner Tragik mitunter ausgesprochen komisch. Zum Beispiel, wenn Snowdens Gesicht erstmals über den Fernseher im Hotel flimmert, während dieser versucht, sich seinen Bart zu rasieren und sich hinter einem grünen Schirm zu verstecken, damit er auf der Straße nicht erkannt wird. Gedreht wurde bis zum Sommer 2014 – und der Film war so brisant, dass man bei Vorab-Aufführungen strenge Sicherheitsvorkehrungen treffen musste, erzählt Dirk Wilutzky, Produzent von "Citizenfour":
    "Wenn wir zu Screenings fahren mussten, war es immer so, dass wir nur mit einem Computer kamen, den wir selber mitgebracht haben, der noch nie mit dem Internet verbunden war, und darauf lief dann ein USB-Stick, der entkryptet war und der lange Passworte brauchte."
    Snowden kommunizierte über Zettel, um nicht abgehört zu werden
    Das Herausragende am Film von Laura Poitras: Er erzählt nicht nur kammerspielartig vom Mut und Fall des Edward Snowden – er reicht bis in die Gegenwart hinein. Wenn sich der Journalist Greenwald und der Whistleblower Snowden in Moskau treffen, sich nur auf Zetteln über die neuesten Enthüllungen verständigen, um nicht abgehört zu werden, dann spürt man: Dieses Drama endet nicht mit dem Abspann.
    "Wie die Schlussszenen zeigen, haben wir hier keinen Film, der darüber berichtet, wie etwas, was ganz unerträglich war und in der Vergangenheit liegt, jetzt aufgedeckt wird, sondern es wird etwas aufgedeckt, was unser aller Leben jetzt und in der Zukunft vor allem betreffen wird."
    Auch Claas Danielsen, der Festivaldirektor von "DOK Leipzig", war nachhaltig beeindruckt, als er den Film zum ersten Mal sah – obwohl er als früher Zuschauer noch nicht mal alles wissen durfte.
    "Als wir ihn gesehen hatten, noch zum Teil mit eingeschwärzten Szenen, weil da Informationen in dem Film drin waren, die noch nicht öffentlich waren, die wir noch nicht sehen sollten, hat er uns trotzdem ziemlich aufgewühlt und beeindruckt."
    Claas Danielsen zeigt mit der Deutschlandpremiere von "Citizenfour" zur Eröffnung, was "DOK Leipzig" mittlerweile ist: eines der bedeutendsten Dokumentarfilmfestivals der Welt. Jenseits von Mainstream, aber direkt in der Gegenwart verortet. Nach fast elf Jahren hört Danielsen nun auf. Aus freien Stücken, ohne Groll oder ohne Jobangebot in der Hinterhand. Er nimmt sich die Freiheit einfach, sich auf der Höhe seines Erfolgs zu verabschieden.
    "Es ist ja im Leben immer so, auf eine große Phase der Anspannung muss auch mal eine Entspannung folgen. Und das ist in dem Job gar nicht möglich."
    So ist Freiheit das große Stichwort der Eröffnung des Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm. Und nicht nur im Sinne von Edward Snowden ist es folgerichtig, dass Claas Danielsen seine letzte Eröffnungsrede mit einem ebenso schlichten wie eindrucksvollen Plädoyer beendet:
    "Gehen Sie gestärkt in eine Zeit voller Veränderungen und nehmen Sie sich Ihre Freiheit. Niemand anders wird das für Sie tun."