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Dokument der Woche
"Interview der Woche" mit Oskar Lafontaine vom 31.10.1989

Oskar Lafontaine - ein absolutes politisches Schwergewicht der Bundesrepublik. Wie Franz-Josef Strauß oder Wolfgang Schäuble gehört er zum kleinen Kreis derer, die das Kanzleramt nie erreicht haben, obwohl viele es ihnen zugetraut hätten. 1990 war er der Kandidat der SPD und scheiterte als Mahner in Sachen Wiedervereinigung. Diese Haltung wurde auch im DLF-Interview vom 31.10.1989 deutlich.

Oskar Lafontaine im Gespräch mit Klaus Hofmann | 31.10.2014
    Oskar Lafontaine war in den 1980er Jahren der austrebende neue Stern am Firmament der deutschen Sozialdemokratie. Er vertrat linke Positionen, war eng mit der Friedensbewegung verbunden und machte immer wieder auch mit ökologischen Thesen von sich reden. Er war - und ist - ein glänzender, scharfer Redner, gefürchtet in Parlamamenten und auf Parteitagen. 1985 wurde er in seiner saarländischen Heimat Ministerpräsident und war fortan eine feste Größe der Bundespolitik.
    1987 schlug Willy Brandt vor, er solle sein Nachfolger an der SPD-Spitze werden. Lafontaine lehnte ab, trieb die Partei aber weiter inhaltlich voran. Das neue Grundsatzprogramm aus dem Dezember 1989 trug seine Handschrift: Abrüstung und Friedenspolitik, Gleichstellung der Frau in Beruf und Gesellschaft, ökologischer Umbau der Wirtschaft sind nur drei Stichworte.
    1989 sinken die Aktien des linken Internationalisten
    Doch 1989 begannen die Aufmerksamkeit für die Themen des linken Modernisierers, des Internationalisten und Nationalstaats-Skeptikers zu schwinden. Angesichts der dramatischen Entwicklungen in Osteuropa und in der DDR stiegen die Aktien von Bundeskanzler Helmut Kohl wieder. Lafontaines Mahnungen, der Kurs Richtung Einheit sei falsch und nicht finanzierbar, fanden kein Gehör bei der Mehrheit.
    Dabei war Lafontaine Ende Oktober 1989 überhaupt nicht einsam in der SPD. Gerhard Schröder, damals SPD-Oppositionsführer in Niedersachsen, hatte eine Politik, die sich auf die Wiedervereinigung richtet, gerade als "reaktionär und hochgradig gefährlich" bezeichnet. Und der SPD-Vorstand und die SPD-Bundestagsfraktion haben „leichtfertiges und illusionäres Wiedervereinigungsgerede" öffentlich abgelehnt.
    "Europäische Einigung wichtiger als deutsche Einheit"
    Im Interview der Woche mit DLF-Korrespondent Klaus Hofmeier am 31. Oktober 1989 spricht Oskar Lafontaine von ‚Brüdern und Schwestern', für deren Reisen in den Westen man sich etwas einfallen lassen müsse. Vorfahrt habe für ihn in jedem Fall die europäische Einigung, nicht die deutsche.
    Eine Woche später fällt die Mauer - und damit zugleich das Argumentations-Gebäude von Oskar Lafontaine in sich zusammen. Als sich Anfang Dezember die SPD zum Bundesparteitag in Berlin versammelt, gilt die Aufmerksamkeit nur einem: Willy Brandt. Die Einheit Deutschlands sei nur noch eine Frage der Zeit, erklärt der Ehrenvorsitzende der SPD den Delegierten in seiner Rede. Selbst die noch so große Schuld der Deutschen könne sie nicht zu ewiger Spaltung verdammen. Als schließlich Oskar Lafontaine spricht, sind nur noch wenige Berichterstatter in Berlin. Die meisten Journalisten sind längst unterwegs nach Dresden – zur dortigen Kundgebung von Helmut Kohl vor der Ruine der Frauenkirche. Die Dresdner begrüßten den Kanzler an diesem Abend mit den Rufen: „Wir sind ein Volk" und „Helmut, Helmut!"
    Der Ausgang dieser deutsch-deutschen Geschichte ist bekannt: Bei den ersten gesamtdeutschen Wahlen unterlag der SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine dem Amtsinhaber Helmut Kohl, CDU mit dem bis dahin schlechtesten Ergebnis der SPD seit 1957.
    Zu diesem „Dokument der Woche" haben wir 25 Jahre danach folgendes Interview mit Oskar Lafontaine geführt.