Freitag, 29. März 2024

Archiv

Dokumentarfilm "Trockenschwimmen"
Nicht in ihrem Element

Die Angst vor dem Wasser ist kein Randphänomen, schon gar nicht in einer alternden Gesellschaft. Rund die Hälfte der über 60-Jährigen kann nicht oder nur schlecht schwimmen. Der Dokumentarfilm "Trockenschwimmen" begleitet Menschen, die sich ihrer Angst vor dem Wasser stellen und dabei viel über sich selbst lernen. Er läuft im Wettbewerb beim Internationalen Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm.

Von Claudia Euen | 31.10.2016
    Eine ältere Frau treibt mit geschlossenen Augen auf dem Wasser eines Schwimmbeckens.
    Der Dokumentarfilm "Trockenschwimmen" von Susanne Kim begleitet Menschen, die sich ihrer Angst vor dem Wasser stellen (Neufilm/Trockenschwimmen)
    Eine Schwimmhalle in Leipzig. Sieben Senioren beim Schwimmkurs. Monika Leber-Ulrich lässt sich langsam ins Wasser gleiten. Die 74-Jährige trägt eine bunt geblümte Badekappe. Vierecke aus Styropor sind an ihrem Rücken befestigt.
    "Das Wasser ist ein Vorhang, den machst du auf und dann hast du einen Auftrieb von 10.000 Leuten", sagt Schwimmlehrer Hans-Jörg.
    "Und wenn du jetzt ein kleines bisschen loslässt, ein klein bisschen. Nein, das will ich nicht. Ich glaube, das muss ich alleine empfinden", sagt Monika Leber-Ulrich.
    Ein Zusammenhang zwischen Schwimmgeschichte und Lebensgeschichte
    Es ist eine der Schlüsselszenen im Dokumentarfilm "Trockenschwimmen", der in poetischen und gemäldeartigen Bildern davon erzählt, wie das ist, wenn das Wasser zum Feind geworden ist. Da ist Sigrid, die als Kind durch ihren Schwimmring rutsche und unterging. Ihre Familie stand am Rand und lachte als man sie aus dem Wasser zog. Oder Manfred, dessen Vater im Krieg starb, ehe er ihm das Schwimmen beibringen konnte. Jeder, der hier mitmacht, bringt sein eigenes Trauma mit. Monika lernte zwar in der Schule schwimmen, traute sich aber nie weiter ins Meer hinaus als ihre Beine lang waren. Bis heute nicht:
    "Ich muss eine tiefe Angst haben, so Tiefenängste, dass ich das deshalb nicht lerne und wenn die nicht beseitigt wird, dann können die alle machen, die Schwimmmeister, was sie wollen. Die Psychologie ist was anderes, denn die Bewegung, die kann ich."
    Dabei ist die Angst vorm Wasser kein Randphänomen, schon gar nicht in einer alternden Gesellschaft. Rund ein Viertel der Deutschen kann nicht oder nur schlecht schwimmen, bei den über 60-Jährigen ist es sogar die Hälfte. Das ergab eine Emnid-Umfrage im Auftrag der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft. Die Leipziger Filmemacherin Susanne Kim traf zufällig vor sechs Jahren auf einer Party einen 50-jährigen Mann, der ihr erzählte, dass er schwimmen lernen wollte. Sofort waren Bilder in ihrem Kopf da und sie beschloss einen Film daraus zu machen. Denn sie selbst hatte als Kind schwimmen gelernt und traute sich lange angstfrei aufs offene Meer hinaus. Die Vorsicht kam dann, als sie Mutter wurde und Verantwortung übernahm. Schwimmen ist mehr als nur ein Sport, sagt Susanne Kim:
    "Dass Schwimmen, überhaupt sich tragen lassen auch was damit zu tun hat, wie wir gelebt haben oder wie wir leben. Und ich glaub auch, dass die Arten des Nicht-schwimmen-Könnens auch immer was damit zu tun haben, wie du als Mensch bist. Ich will das nicht so bewerten. Aber ich glaube schon, dass deine Schwimmgeschichte und deine Lebensgeschichte miteinander zu tun haben. Zum Beispiel schwimmst du gern ins Meer raus oder bist du jemand, der im Schwimmbecken deine Bahnen zieht. Ich glaube, es hat so ein bisschen mit diesem Kontrollverlust zu tun."
    Filmisch und sinnlich eindrucksvoll
    Die Fallhöhe ist immens. Beim Schwimmen kann man sterben, wenn man es nicht richtig beherrscht. Strudel, Strömungen, hohe Welle und dunkle Tiefe - das Wasser ist nichts für Unsichere oder Ängstliche. Susanne Kim hat ihre Protagonisten dazu gebracht, sich dieser Angst zu stellen. Acht Filme hat Kim in den letzten 13 Jahren realisiert, die auf internationalen Festivals liefen. Sie schafft es, ihren Figuren nahe zu kommen und begleitete sie mit der Kamera wie sie in Badehosen auf kalten Fließen Trockenübungen machen oder in leeren Becken tanzen. Entstanden ist ein filmisches und vor allem sinnliches Erlebnis, bei dem Kim auch viel über sich selbst gelernt hat:
    "Ich dachte, dass das Thema Tod eine viel größere Rolle spielen würde bei allen. Und dass ich da eigentlich vorgefunden habe, dass da eine ziemlich große Gelassenheit da ist. Das hat mich selber ein bisschen gelassener gemacht, mit dem Altern umzugehen. Ich fand es auch sehr schön vor allem auch die Geschichten der Frauen, wo ich dachte, dass die doch im Rückblick da mit einer Ehrlichkeit drauf blicken können, was sie vielleicht im Leben alles auch nicht gemacht haben oder was ihnen verwehrt geblieben ist."
    So wie Erika, die heiratete, Kinder bekam und ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellte:
    "Guck mal, wir waren überhaupt nicht selbstbewusst genug. Ich hätte nie nein gesagt. Wenn mein Vater gesagt hat, das und das und das, hab ich gesagt: ja. Und viel später habe ich mich freigeschwommen."
    Vorstellungen auf dem 59. Internationalen Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm: Premiere am 1.11. (19.45 Uhr, Cinestar 4), Weitere Vorstellungen am 4.11.16 (19.30 Uhr, Hauptbahnhof Osthalle) und am 6.11.16 (17 Uhr, Schaubühne Lindenfelds)