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Dolly Alderton: "Gespenster"
Von allen guten Dates verlassen

Die Sunday-Times-Kolumnistin Dolly Alderton schreibt über eine Dating-App und die Suche nach der großen Liebe. Ein anachronistische Geschichte, wie man sie seit 2012 in sämtlichen Lifestyle-Magazinen lesen konnte - hier nun in Romanform, mit hübschem Cover und in nachlässiger Übersetzung.

Von Julia Friese | 01.03.2021
Die Schriftstellerin Dolly Alderton und ihr Roman "Gespenster"
Dolly Alderton schrieb aus London für die britische Sunday Times eine Kolumne über ihr Liebesleben. Ihr Expertinnenwissen teilte sie bereits 2018 in ihrem Memoir „Alles, was ich weiß über die Liebe“. (Cover Atlantik Verlag / Portrait Dolly Alderton von Imago)
"Gespenster" heißt der Debütroman von Dolly Aderton auf Deutsch. Und es wäre besser gewesen, hätte man den englischen Originaltitel "Ghosts" beibehalten, da mit der Übersetzung die Mehrdeutigkeit des Titels verlorengeht.
Dolly Alderton erzählt vom Verschwinden. Die Protagonistin Nina George feiert ihren 32. Geburtstag, während ihre Mutter sich einen neuen Namen gibt, um sich noch einmal zu erfinden, und das Gedächtnis von Ninas Vater verschwindet. Er hat Demenz. Die besten Freundinnen von Nina verschwinden in ihren Kleinfamilien und die Vororte von London. Und auch sämtliche männliche und heterosexuelle Dates im Buch verschwinden. Sie "ghosten" Nina und ihre Single-Freundin Lola.

Kein Gespenst geht um

Ghosten, das ist ein Fachterminus aus der Welt des Datings. Er bedeutet: einfach nicht mehr zurückschreiben, nicht mehr zurückrufen, urplötzlich unerreichbar sein. Alles um Nina George herum gibt "den Geist auf". Gespenster gibt es jedoch nur wenige im Buch. Als spukhafte Heimsuchung aber lässt sich die deutsche Übersetzung von Eva Bonné bezeichnen. Denn die sorgt mitunter für Dialoge, wie diesen:
"'Ich liebe Frankreich" sagte Lucy. "Ich bin richtig frankophil.'
'Ja, das hatte ich vermutete. Und ich finde dich auch… leicht entzündlich.'
Lucy schwieg, und sah mich verwirrt an. 'Ach Nina, du mit deinen Wortspielen', lachte sie schließlich."
Verstehen Sie nicht? Kein Problem. Es ist nicht zu verstehen. Ebenso lässt sich nicht erklären, warum Nina Georges im Original genannte "Pre-Lash"-Playlist - also wörtlich: ihre Vorglüh-Playlist - im Deutschen "Auf in den Kampf"-Playlist heißt. Es sind Stellen, die einem ein bisschen Angst machen, ähnlich wie die Überheblichkeit der Protagonistin.

Überhebliche Protagonistin

Nina ist immer etwas besser als alle anderen. Junggesellenabschiede und junge Familien besucht sie nur, um sie restlos schlimm zu finden. Eine Art Bewältigungstaktik, da Hochzeit und Familien all das repräsentieren, was Nina sich wünscht?
Auch an ihrer Single-Freundin Lola, lässt Nina kein gutes Haar: "Die scheinbar so woke Lola, die ausschließlich halbautobiografische Bücher von Mittzwanzigerinnen mit lauen Erweckungserlebnissen las; die in allen Social-Media-Profilen demonstrativ 'she/her' angab, ohne je in Gefahr zu sein, jemand könne sie dem falschen Geschlecht zuordnen - tja, diese Lola wünschte sich nichts mehr, als in einem zweitausend Pfund teuren Kleid und mit einem Sixpencestück im Schuh durch den Mittelgang zu schreiten."
Nina hat sich auf einer Dating-App angemeldet, die über mehrere Seiten erklärt wird, in nicht ganz Klischee freien Monologen und Dialogen. Überhaupt scheint es in "Gespenster" nur wenige, echte Figuren zu geben. Denn Ninas Umfeld wirkt, als rezitiere es Dolly-Alderton-Kolumnen. So zum Beispiel klingt das erst Date zwischen Nina und ihrem Love-Interest Max, wie ein dialogisierter Kolumnentext über die Überlegenheit des weiblichen Geschlechts:
"'Ihr habt Angst vor uns? […] Was gibt es denn da zu fürchten?'
'"Alles! Frauen können untereinander kommunizieren und sich abstimmen, wie Männer es nie schaffen würden. Ihr habt Ebbe und Flut im Körper! Ihr seid fürsorglich und magisch und übersinnlich. Sciene-Fiction. Und wir schaffen es höchstens, uns auf den eigenen Bauch zu spritzen und uns zu prügeln.'"

Eher gestrig denn zeitlos

Ninas Dating- und Ghosting-Geschichten werden von der Demenz ihres Vaters kontrastiert. Zwischen den Zeilen scheint die Überzeugung durch, dass die Familie, die man schon hat, wichtiger, größer ist als die Familie, die man sich noch schaffen könnte. Auf dem Klimax des Romans sind dann aber beide Konzepte - die alte und die potentiell neue Familie - bedroht. Probleme, für die die Protagonistin aber allzu schnell Lösungen findet.
Dem oftmals überheblichen Ton von Nina scheint eine gewisse Bitterkeit darüber inne zu wohnen, dass sie - als 32-Jährige - nicht mehr zum Puls der Zeit gehört. Themen wie das Neuverhandeln des Geschlechterbegriffs liegen außerhalb von Ninas Horizont. Dating-Apps, Hochzeiten, übers Gewicht grübeln und sich als Frau nur von kleinen Jungs umgeben fühlen – all das wirkt, auf die Art wie Dolly Aldertons Hauptfigur es beschreibt, eher gestrig denn zeitlos.
Allein vor dem Hintergrund der Pandemierealität kann dieser Anachronismus vielleicht angenehm nostalgisch anmuten. Lesen muss man Dolly Aldertons Debütroman aber wirklich nicht. Die Filmrechte an "Gespenster" sind bereits verkauft.
Dolly Alderton "Gespenster"
Aus dem Englischen von Eva Bonné
Atlantik Verlag, Hamburg, 384 Seiten, 22 Euro