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Donges: Jetzt eine eigene wirtschaftliche Dynamik aufbauen

Die positiven Prognosen des Frühjahrsgutachten der führenden Forschungsinstitute dürfen nach Ansicht von Professor Jürgen Donges, Wirtschaftswissenschaftler an der Uni Köln, nicht überschätzt werden. Das Bruttoinlandsprodukt liege im europäischen Vergleich immer noch deutlich unter dem Durchschnitt. Wichtig sei es jetzt, die eigenen Antriebskräfte durch wichtige Strukturreformen zu mobilisieren.

    Klein: Am Telefon ist jetzt Professor Jürgen Donges, Wirtschaftswissenschaftler an der Uni Köln. Ich grüße Sie, Herr Donges!

    Donges: Schönen guten Tag, Frau Klein.

    Klein: Optimistische Prognosen der renommierten Wirtschaftsforschungsinstitute und etwas gesunkene Arbeitslosenzahlen, wie sehr dürfen wir uns über diese Nachrichten freuen?

    Donges: Nun, wir sind ja ziemlich gebeutelt gewesen, durch die vergangenen Jahre, wo sich ja kaum etwas getan hat, an wirtschaftlicher Entwicklung und die Arbeitslosigkeit unentwegt gestiegen ist. Andererseits müssen wir jetzt auch aufpassen, dass wir nicht die Orientierung verlieren. Also 1,8 das klingt gut für den Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes, aber es ist halt deutlich unterhalb des Durchschnitts im Euroraum. Wir sind also nach wie vor ganz unten in dieser Liga, Schlusslicht - eigentlich ist nur noch Italien hinter uns. Da müssen wir noch einiges tun.

    Und wir müssen auch sehen, dass bei der Verbesserung am Arbeitsmarkt, die auch heute durch die offiziellen Arbeitsmarktdaten bestätigt worden ist, an den eigentlichen Problemgruppen - nämlich die Langzeitarbeitslosen und die Personen ohne Qualifikationen - sich eigentlich nichts ändert. Wir müssen uns immer noch behelfen mit Ein-Euro-Jobs und sonstigen Maßnahmen und diskutieren über Kombilohn-Modelle und Dinge dieser Art. Also an die eigentlichen Problemgruppen kommen wir noch nicht so richtig ran, und das zeigt eben, dass unsere Probleme am Arbeitsmarkt nicht so sehr konjunkturbedingt sind und sich auch nicht durch eine bessere Konjunktur bewältigen lassen. Sondern sie sind eben vor allem strukturell bedingt und das geht halt nur, wenn wir Strukturreformen am Arbeitsmarkt machen.

    Klein: Lassen Sie uns einen Augenblick bei den Prognosen bleiben. Die fielen in den vergangenen Jahren oft ja eigentlich eher zu optimistisch aus. Weshalb sollte das dieses Jahr anders sein?

    Donges: Nun, wenn man mit der letzten Prognose der Institute vergleicht - das ist eigentlich nicht immer sehr sinnvoll, wenn ich das mal so sagen darf - die letzte Prognose wurde im Herbst gemacht und seit dem Herbst hat sich eben einiges geändert. Vor allen haben sich zwei Dinge geändert, oder konnten seinerzeit nicht so eingeschätzt werden: Das eine ist, dass nach wie vor die Weltwirtschaft, im wahrsten Sinne des Wortes, brummt. Also USA plus China, plus Indien und noch so ein paar andere Länder, die ziehen die ganze Weltwirtschaft. Und da unsere Unternehmen in den letzten Jahren sehr große Anstrengungen gemacht haben, um ihre Kostenstrukturen in Ordnung zu bringen und auch neue Produkte zu entwickeln, kommt uns das sehr zugute. Denn wenn es anderswo ordentliche wirtschaftliche Dynamik gibt, dann wird dort nachgefragt, was wir besonders gut anbieten können, nämlich Maschinen, andere Investitionsgüter, Autos, LKWs, also diese Sachen. Das ist nun mal in unserer Exportpalette, und darin unterscheiden wir uns von anderen Ländern in Europa, sehr stark dominierend. Und das kommt uns zugute. Also der Export ist nach wie vor eine sehr treibende Kraft, mehr als wir uns das noch dachten, vor einigen Monaten, und trotz der Aufwertung des Euro, das ist die eine Seite.

    Und die andere Seite ist, dass das jetzt langsam überspringt auf die Binnennachfrage, es hat ja lang genug gedauert. Und da ist insbesondere interessant, was im privaten Verbrauch sich abzeichnet, also bei den Haushalten. Und da scheint es ja so zu sein - das haben wir zwar vor einigen Monaten alle vermutet, aber so genau wussten wir es nicht, aber neue Befragungen bestätigen es - die Leute wissen, am ersten Januar nächsten Jahres kommt eine dreiprozentige Mehrwertsteuererhöhung. Also fragen sich viele, ich frage mich das übrigens auch gerade, fragen sich viele, ob ich nicht an den Kauf eines Autos, oder einer Stereoanlage, oder eines Kühlschranks - also irgend so ein dauerhaftes Konsumgut - den ich sowieso vorhatte, diesen Kauf, ob ich das nicht vorverlegen sollte. Denn drei Prozent sind drei Prozent und das haut also ganz schön in den Preis hinein. Das heißt, wir kriegen einen Vorzieheffekt. Der fehlt uns dann im nächsten Jahr und deshalb sagen ja auch die Institute und andere Analysten, die Europäische Kommission, im nächsten Jahr, sieht es dann wieder ziemlich trübe aus in Deutschland. Aber in diesem Jahr kriegen wir diesen Vorzieheffekt jetzt, durch die Binnennachfrage, wegen dieser Steuererhöhung. Aber nächstes Jahr zahlen wir den Preis dafür.

    Klein: Also, Sie gehen davon aus, dass das wirklich ein einmaliger Fall ist und im nächsten Jahr die Prognosen wieder runtergehen. Was sollte die Konsequenz daraus sein? Also darauf komplett verzichten? Was ist die Alternative dafür?

    Donges: Also ich würde sagen, oder ich würde der Bundesregierung sagen, dass sie jetzt diese gute Stimmung - es ist ja nicht nur, dass wir eine gute, eine bessere Konjunkturprognose haben, sondern auch allgemein ist die Stimmung ja ganz ordentlich, es gibt auch relativ wenig politischen Streit, das ganze Umfeld ist eigentlich ganz ordentlich - da würde ich der Bundesregierung raten, dass sie jetzt wirklich beherzt daran geht und die Weichen stellt für die Strukturreform in bestimmten Bereichen.

    Wir wissen ja alle, wo etwas zu machen ist, das muss man nicht alles noch fünfmal untersuchen. Wir wissen, das es zu machen ist, Arbeitsmarkt, Sozialversicherungen, Unternehmensbesteuerungen, um einmal das Wichtigste zu nennen. Und dass man jetzt die klaren Signale setzt. Man muss nicht alles in diesem Jahr machen, aber man muss klarlegen, was man jetzt wirklich anpacken will und sich jetzt nicht monatelang in irgendwelchen kleinkarierten Diskussionen da verstrickt. Da gibt es ja auch schon wieder einige Beispiele, dass das wieder losgeht. Sondern einfach den Rückenwind dieser besseren Stimmung plus tatsächlicher konjunktureller Aufwärtsbewegung nutzen, um sozusagen die Voraussetzung dafür schaffen, dass aus diesem Aufschwung - vielleicht noch nicht nächstes Jahr, aber doch mittelfristig - wirklich eine grundlegende wirtschaftliche Dynamik wird. So dass wir auf einen höheren Wachstumspfad kommen und dann auch wirklich bei der Beschäftigung vorankommen und diese hohen Arbeitslosenzahlen ein für alle Mal vergessen werden. Das würde ich in diesem Jahr jetzt anpacken, denn wann denn sonst?

    Klein: Herr Donges, Sie haben aber auch gesagt, wenn ich einmal kurz einhaken darf, dass der andere Teil und auch ein wesentlicher Teil offensichtlich, ja in der Weltwirtschaft begründet liegt. Und da gibt es ja einige Faktoren, auf die die Bundesregierung definitiv keinen Einfluss hat. Dazu gehört zum Beispiel auch ein steigender Ölpreis, vielleicht auch andere negative Entwicklungen, mit denen wir ja leben müssen, letzten Endes.

    Donges: Völlig richtig. Gerade weil wir - und das haben ja die letzten Jahre gezeigt und zeigt auch dieses hier wieder - gerade weil wir so abhängig sind, von dem was da in der Weltwirtschaft geschieht, wegen unserer Exportlastigkeit, das ist für mich ein Argument mehr, um Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wir weniger abhängig sind. Und das geht halt nur über Strukturreformen. Natürlich werden wir immer betroffen sein, wir werden immer eine Exportnation bleiben, so schätze ich einmal. Und das ist ja auch in Ordnung so.

    Nur diese starke Exportlastigkeit, die können wir kompensieren, wenn wir unsere eigenen Antriebskräfte mal in Gang bringen. Die haben wir ja, wir haben ja Unternehmen, wir haben Arbeitskräfte, wir haben Forschungszentren, wir haben eine gute Infrastruktur. Wir haben ja viele Grundlagen dafür, um eine eigene wirtschaftliche Dynamik aufzubauen und der Export kommt noch hinzu. Wenn er mal schlechter läuft, können wir das kompensieren. Das müssen wir und sollten wir in diesem Jahr in die Wege leiten, und zwar entschlossen in die Wege leiten!

    Klein: Professor Jürgen Donges war das, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Köln. Herzlichen Dank, Herr Donges, für das Gespräch.

    Donges: Bitteschön!