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Doping-Bewältigung im Schnelldurchgang

Kugelstoß-Bundestrainer Klaus Schneider aus Magdeburg, der in Neubrandenburg ansässige Siebenkampf-Bundestrainer Klaus Baarck und drei weitere Leichtathletiktrainer dürfen trotz belasteter DDR-Biographie weiterhin im Spitzensport arbeiten. Erstmals erläutert ein Mitglied der Unabhängigen Antidopingkommission des DOSB, wie es zu dieser Absolution gekommen ist.

Von Holger Schück |
    Auf den Punkt gebracht: Ehemalige DDR-Doper, die eine 15-Zeilen-Erklärung, also eine vorgestanzte Schablone, unterschreiben, bekommen im Schnellverfahren Absolution. Dafür sorgen die drei Mitglieder der vom DOSB eingesetzten Dopingkommission: Es sind der ehemalige Bundesverfassungsrichter Prof. Udo Steiner, die zweimalige Olympiasiegerin von 1972, Heide Ecker-Rosendahl, und der ehemalige brandenburgische Bildungsminister Steffen Reiche. Der evangelische Pfarrer Reiche, heute SPD-Bundestagsabgeordneter, begründet die aktuelle Entscheidung:

    "Wir leben ja im Jahr 20 nach der Wende, und in den letzten 20 Jahren gibt es einen ganz klaren und scharfen Kampf gegen Doping. Wir sind nach langer und gründlicher Prüfung in der Kommission, die Herr Steiner leitet, zu dem Urteil gekommen, dass wir bei den Menschen, die klar Reue zeigen, die sich entschuldigen, für das, was sie in DDR-Zeiten, teils ja auch unter Zwang, gemacht haben und die in den letzten 20 Jahren einen klaren Weg gezeigt haben, ohne Doping im Sport als Trainer zu arbeiten, dass wir denen dann die Weiterbeschäftigung ermöglichen wollen und sie quasi amnestieren wollen."

    Damit hat der Deutsche Leichtathletik-Verband vor den Weltmeisterschaften im August in Berlin ein großes Problem lösen lassen. Die Doping-Vergangenheit von Spitzentrainern hätte im Vorfeld der WM die Schlagzeilen bestimmt.

    Steffen Reiche, auch Vorsitzender des brandenburgischen Leichtathletikverbandes, versteht die Kritik nicht, dass einstige DDR-Dopingtrainer nach Einreichung einer formelhaften Erklärung - mit formaljuristischer Feder geschrieben - so mir nichts, dir nichts Dispens bekommen. Der deutsche Sport hatte ihnen 1990 bis 1992 goldene Brücken gebaut, um ihre Schuld einzugestehen. Heute Freifahrtscheine zu verteilen, ohne dass die Kommission einen persönlichen Eindruck der früheren Doper gewinnt, all dies schmeckt doch nach funktionalistisch motivierter Vertuschung. Steffen Reiche dazu:

    "Ich denke, es geht gerade nicht um Vertuschung. Um Vertuschung ginge es bei einer Generalamnestie, wo Menschen einfach amnestiert werden, ohne dass klar ist: Wen betrifft das eigentlich? Wir haben ganz bewusst einen anderen Weg gewählt, dass nämlich Menschen mit ihrem Namen dazu stehen, was sie in der Zeit bis 1989 gemacht haben."

    Amnestierung im Schnelldurchgang! Auch der von Dopingopfer Gerd Jacobs schwer belastete Trainer Werner Goldmann bekommt nun Absolution. Zum 1. Januar war Goldmanns Vertrag beim Deutschen Leichtathletik-Verband nicht verlängert worden: auf Empfehlung der Doping-Kommission, die Gerd Jacobs Vorwürfe geprüft hatte. Goldmann klagt vor dem Arbeitsgericht Darmstadt auf Wiedereinstellung. Der Kündigungsschutzprozess dürfte sich erledigt haben, weil Goldmann nunmehr auch das Blanko-Formular unterschrieben hat - allerdings mit dem handschriftlichen Zusatz, er bedauere die schwer gesundheitlichen Schäden von Gerd Jacobs.

    "Ich habe ihn persönlich darum gebeten, dass er mit einer solchen Zusatzerklärung noch einmal auch persönlich Stellung nimmt zu dem, was Herr Jacobs ihm vorwirft. Der Deutsche Leichtathletik-Verband hat dies auch so erbeten, um auf diese Weise die Weiterbeschäftigung des sehr erfolgreichen Trainers Goldmann auch in den nächsten Jahren zu ermöglichen. Herrn Goldmann ist das schwergefallen. Er hat lange auch mit sich gerungen, es gab gerichtliche Auseinandersetzungen, die auf diese Weise, denke ich, jetzt aber gut auch geklärt worden sind. Ich finde, das ist ein Weg der Vernunft. Ich habe Respekt vor dem, was Herr Goldmann da für sich entschieden hat."

    So Steffen Reiche. Die Kommission wird in den nächsten Wochen weitere Einzelfälle rasant aufarbeiten, die durch Selbstanzeige auf den Tisch kommen. Steffen Reiche beschreibt es so:

    "Das ist richtig, und es sind auch Gespräche für die nächste Zeit terminiert. Und das, was jetzt mit dem Deutschen Leichtathletik-Verband bzw. fünf Trainern gelungen ist, das ist natürlich ein Maßstab, der dann auch für andere gelten muss und gelten kann. Das setzt, denke ich, Maßstäbe, und wer eine ähnliche Erklärung - ich würde empfehlen: dieselbe Erklärung - bereit ist zu unterschreiben, der muss dann auch von seinen Verbänden in gleicher Weise behandelt werden."

    Mindestens 40 weitere Spitzentrainer sind belastet, zu DDR-Zeiten an der staatlich verordneten Dopingvergabe mitgewirkt zu haben. Dazu zählt auch der Berliner Schwimm-Coach Norbert Warnatzsch, Heimtrainer der Doppelolympiasiegerin von Peking 2008, Britta Steffen.