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Doping
Kritik am Dopingopferhilfegesetz

Ein Brief hat in der Anti-Doping-Szene viel Wirbel verursacht. Vier honorige Anti-Doping-Kämpfer haben ihn an die Mitglieder des Bundestags-Sportausschusses geschrieben. Die vier fordern, das Dopingopferhilfegesetz zu verändern und Prüfverfahren strenger zu gestalten um Missbrauch zu verhindern.

Von Jessica Sturmberg | 18.11.2018
    Olympia '88: Christian Schenk gewinnt Gold im Zehnkampf
    Olympia '88: Christian Schenk gewinnt Gold im Zehnkampf (dpa)
    Erst wenn berechtigte Zweifel ausgeräumt seien, sollte der Bundestag entscheiden, ob der Dopingopferhilfe-Fonds tatsächlich erhöht und die Antragsfristen verlängert werden, wird in dem Brief gefordert. Die Verfasser des Briefs, das sind der Molekularbiologe Werner Franke, die ehemalige Leichtathletin Claudia Lepping, der frühere Skilanglauftrainer Henner Misersky, der sich weigerte das DDR-Staatsdoping umzusetzen und Gerhard Treutlein, Leiter des Zentrums für Dopingprävention in Heidelberg.
    Werner Franke, Claudia Lepping, Henner Misersky und Gerhard Treutlein befürchten, dass Steuergelder missbraucht werden könnten, indem sie an Doping-Betrüger statt an Opfer gingen. Und es gibt einen ganz konkreten Fall, warum die vier sich jetzt an die Sportpolitiker wenden. Der frühere Zehnkämpfer Christian Schenk, der bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul Gold für die DDR holte. Er hat vergangene Woche in einem Interview mit dem Nordkurier angekündigt, einen Antrag auf finanzielle Hilfe nach dem Dopingopfer-Hilfegesetz zu stellen.
    Schenk wusste Bescheid
    Schenk leidet inzwischen an einer bipolaren Störung, hat im Herbst ein Buch veröffentlicht. Er gibt dabei zu gedopt zu haben, auch in Interviews sagt er das, hier zum Beispiel indirekt:
    "Ich habe ein besonderes Leben geführt, dass die größten Höhen ertragen hat und jetzt habe ich eben die Tiefen auch ein bisschen erlebt. Ich sehe eben mehr in die Zukunft, dass unseren Kindern - die sollen Leistungssport treiben, aber wir müssen Rahmenbedingungen dafür haben, die gut sind und diese Rahmenbedingungen, die sind im Moment auch ziemlich schlecht, aber ich würde davon ausgehen, dass die nicht mehr medikamentös bearbeitet werden."
    Christian Schenk, der Zehnkampf-Olympiasieger von Seoul 1988, aufgenommen am 18.04.2011
    Christian Schenk (dpa / Jens Kalaene)
    In besagtem Interview mit dem Nordkurier erzählt er gar, dass er 1990 darüber nachgedacht hatte, Doping zuzugeben. In der Abwägung, was dann passieren würde, Imageschaden, Verlust von Geld und Medaillen habe er dann stattdessen die Formulierung gewählt, nicht wissentlich Dopingmittel genommen zu haben. Aber er wusste es.
    "Eine falsche Kategorie"
    Ob seine Depressions-Erkrankung, die bipolare Störung, überhaupt auf das Doping zurückzuführen ist, auch das stellt er selbst in Frage. So jemand dürfe auf keinen Fall Steuergelder erhalten, sagt Claudia Lepping:
    "Da hat es uns einmal geschüttelt und dann haben wir uns in einer Textarbeit verständigt, dass es doch jetzt sinnvoll wäre, sich über die Gesetzeslage nochmal verschärft Gedanken zu machen und auch das Prozedere und weitere Dinge zu hinterfragen, ob das so in Ordnung sein kann.
    Es darf nicht sein, dass man es den Menschen zu einfach macht, die damals bewusst zur Leistungssteigerung gedopt haben und heute, weil sie tragischerweise daran erkrankt sind dann auf einmal zum Opfer werden. Das ist eine falsche Kategorie."
    "Natürlich kein Opfer"
    Der Fall Schenk ist bisher vom Bundesverwaltungsamt noch nicht geprüft worden, auch hat Schenk noch nicht mit dem Doping-Opfer-Hilfeverein gesprochen, der den Dopingopfern beratend zur Seite steht. Wie sie mit Christian Schenk umgehen würde, dazu sagte die Vorsitzende des Doping-Opferhilfevereins, Ines Geipel:
    "Ich finde es grundsätzlich erstmal gut, dass er sich überhaupt auf den Weg macht, er will irgendwie auch überleben, psychisch überleben. So wie er das jetzt darstellt, ist er natürlich kein Opfer, er sagt ja selber, dass er kein Opfer ist, dann gehört er nicht in diese Kategorie., aber wenn man sich überlegt, wie vehement er heute eine Geschichte verteidigt und zwei Tage später komplett das Gegenteil mit derselben Vehemenz verteidigen würde, wie ernst kann man diese Sätze jetzt nehmen, bei jemanden der so schwer angeschlagen ist."
    Ines Geipel, Vorsitzende des Vereins Dopingopferhilfe, spricht während einer Pressekonferenz zu Missbrauch und Doping in der ehemaligen DDR.
    Ines Geipel, Vorsitzende des Vereins Dopingopferhilfe, spricht während einer Pressekonferenz zu Missbrauch und Doping in der ehemaligen DDR (dpa-Bildfunk / Gregor Fischer)
    Auch wenn Christian Schenk der Auslöser für den Brief der vier Anti-Dopingkämpfer war, so wollen sie unabhängig davon, wie eine Prüfung seines Falls ausgeht, dass generell das Prozedere überprüft wird, nach dem DDR-Dopingopfer einmalig 10.500 Euro aus dem Hilfsfonds bekommen.
    "Da haben wir uns die Augen gerieben"
    Lepping erklärt den Grund für ihre Zweifel, dass da etwas grundsätzlich schiefläuft, zum einen damit, wie das Bundesverwaltungsamt prüft, ob jemand für das Geld berechtigt ist:
    "Da haben wir uns die Augen gerieben, dass es in einem Faltblatt letztlich sehr appellativ darum geht sich dort darin zu versuchen eine Entschädigung zu bekommen."
    Da steht wörtlich drin, Unerheblich ist es bei der Beurteilung des Gesundheitsschadens, ob dieser direkt auf der Dopingmittelverabreichung beruhte oder indirekt hervorgerufen wurde. Ebenso ist es ohne Relevanz ob der Gesundheitsschaden gegenwärtig noch vorliege oder Folgen hinterlassen hat ausreichend ist insoweit, wenn in der Vergangenheit ein erheblicher Gesundheitsschaden vorlag, so dass es einem Anspruch nicht entgegensteht, wenn z.B. der Schaden durch eine Operation behoben wurde oder anderweitig ausgeheilt ist."
    "Wer ist Opfer?"
    Zum anderen ist es die hohe Zahl der Dopingopfer, die der Doping-Opferhilfeverein inzwischen anführt: 15.000 Betroffene, das gehe weit über die Zahl der Sportler hinaus, die laut Wissenschaftler überhaupt in das DDR-System eingebundenen waren und von denen seien auch nicht alle erkrankt. Geipel erklärt wiederum dazu:
    "906 Personen haben jetzt innerhalb des zweiten Doping-Opferhilfegesetzes Antrag gestellt beim Bundesverwaltungsamt, ist natürlich aber klar, dass bei uns beim DOH sehr viel höhere Zahlen sind, weil es um ganz andere Fragestellungen geht. Der eine will einen Antrag stellen OEG, das hat mit der Entschädigung nichts zu tun oder braucht einen Anwalt oder braucht einen Arzt, wir sagen das Verhältnis von Antragstellung und den Betroffenen, die sich bei uns melden, ist ein Verhältnis von 1 zu 4."
    Was die einst gemeinsamen Anti-Doping-Kämpfer jetzt entzweit, ist vor allem die Definition, wer ist DDR-Dopingopfer? Hat der Doping-Opferhilfe-Verein mit einer weiten Definition dahin gewirkt, dass es deutlich mehr Betroffene gibt? DOH-Vorsitzende Ines Geipel sagt dazu:
    "Was die Kritiker jetzt überhaupt nicht in den Blick nehmen ist natürlich ein Staatsdopingsystem, was mit Abhängigkeiten, Manipulation, viel Gewalt, Sadismus, Missbrauch gearbeitet hat und das alles auf die Tablette zu reduzieren, finde ich eben sehr, sehr eng. Das entspricht nicht den sehr komplexen Geschichten, die wir hier auf den Tisch bekommen."
    "Enge Definition der Kritiker"
    Dagegen legen die vier Kritiker die Definition von Opfer im Sinne des Doping-Opfer-Hilfegesetzes eng aus. Nur Minderjährige, die hintergegangen wurden, denen Substanzen unwissentlich verabreicht wurden, die es aufgrund ihres Alters nicht besser wissen konnten und dadurch heute unter schwersten Schäden leiden, sollten Hilfsgelder nach gründlicher Prüfung erhalten.
    Heute reichten bereits "subjektive Psycho-Gefühle" bei den Anträgen. Ganz besonders zu weit ginge ihnen, wenn jetzt auch die zweite Generation der Dopingopfer mit in Betracht genommen würde. Also die Kinder der Opfer, die selbst zu Opfern würden, weil sich die Leiden der Eltern im Wege der transgenerationalen Traumatransmission auf sie übertragen hätten, argumentieren zwei Psychologie – und Psychotherapie-Professoren aus Mecklenburg-Vorpommern, mit denen der Doping-Opfer-Hilfeverein inzwischen seit längerem zusammenarbeitet.
    Hilfsfonds aufstocken?
    "Die Behauptung dieser Mediziner geht dahin, dass sich soziale, psychologische und genetische Vererbungen einstellen könnten über die DNA, dazu sagt Professor Franke und die ganze Lektüre gibt es nicht einen stichhaltigen Beleg, dass es so ist."
    Sagt die ehemalige Leichtathletin Claudia Lepping. Der Streit dürfte noch weitergehen. Der Bundestag hat bereits beschlossen, dass Doping-Opferhilfegesetz zu verlängern und den Hilfsfonds aus Steuermitteln von 10,5 Millionen auf 13,65 Millionen Euro aufzustocken. Der Bundesrat muss jetzt noch zustimmen.
    Für die Sportpolitiker ist mit dem Brief und dem Streit um den Doping-Opfer-Hilfeverein die Entscheidung sehr viel schwieriger gemacht worden.
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