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Doping-Studie
Aussagen versus Testergebnisse

Teilergebnisse waren bereits durchgesickert - jetzt wurde eine 2011 durchgeführte Doping-Studie veröffentlicht. Das Ergebnis: Doping ist in der Leichtathletik deutlich verbreiteter, als es die Zahl positiver Labortests erahnen lässt. Warum wurde sie so lange unter Verschluss gehalten?

Von Marina Schweizer | 29.08.2017
    Eine A-Probe und B-Probe beim Dopingtest.
    Mindestens ein Drittel aller bei der WM 2011 befragten Leichtathleten hat zugegeben, gedopt zu haben. (imago / blickwinkel )
    Es wird deutlich mehr gedopt, als durch Tests nachgewiesen werden kann und die Testmethoden entdecken nur die Spitze des Eisbergs - das untermauern die Ergebnisse der jetzt veröffentlichen Studie der Universität Tübingen und der Harvard Medical School. Demnach hat mindestens rund ein Drittel aller Teilnehmer im Jahr vor der Leichtathletik-WM 2011 in Südkorea gedopt. Bei den Pan-Arabischen-Spielen im selben Jahr in Doha gaben sogar 45 Prozent an, zuvor gedopt zu haben.
    Uni erstreitet sich Recht auf Veröffentlichung
    "Wenn man das wissenschaftlich betrachtet, würde man sagen, das ist sehr konservativ geschätzt, die wahre Quote liegt sicherlich höher", sagt der Mainzer Dopingforscher Perikles Simon, der an der Studie beteiligt war. Jahrelang haben Wissenschaftler der Universität Tübingen um eine Veröffentlichung gekämpft - diese wurde aber vom Weltleichtathletikverband IAAF und der Welt-Antidoping-Agentur WADA verschleppt.
    Studienleiter Rolf Ulrich: "In langen, zähen Verhandlungen hat unser früherer Kanzler der Universität, Herr Sandberger, der sich sehr gut im internationalen Recht auskennt, mit diesen beiden Verbänden verhandelt und hat dann letztes Jahr im Dezember die Freigabe erstritten."
    Über 2.000 Athleten wurden befragt
    Jetzt folgte die Veröffentlichung im Fachmagazin Sports Medicine. Für die Studie wurden über 2.000 Athleten mithilfe eines elektronischen Fragebogens befragt. Die Ergebnisse sind für den Welt-Leichtathletikverband hoch brisant. Teile davon waren bereits über die vergangenen Jahre durchgesickert, auch die ARD hatte darüber bereits mehrfach berichtet. Den Aussagen der Athleten stehen Ergebnisse aus Labortests gegenüber: Jährlich sind nur etwa ein bis zwei Prozent der Tests unter der Aufsicht der Welt-Antidoping-Agentur positiv.
    Für Speerwurf Olympiasieger Thomas Röhler, der gerade in die Athletenkommission der IAAF gewählt wurde, ist es "schockierend zu erfahren, wie viele Athleten auch noch wohl wissentlich, wie es die Studie zeigt, kriminell unterwegs sind, um ihre persönlichen Leistungen zu steigern. Das ist für mich Ausdruck sportlicher Verzweiflung oder unmenschlicher Gewinnsucht."
    Welche Ausmaße diese annehmen kann, zeigte sich etwa im Jahr 2014: Damals wurde von der ARD Doping-Vertuschung und Korruption bis in die höchsten Ebenen des Welt-Leichtathletikverbands aufgedeckt. Nun will man durch Reformen das Vertrauen zurückgewinnen. Noch aber krankt das System im gesamten Sport an einer mangelnden Unabhängigkeit im Anti-Doping-Kampf.