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Doping-Tester sind "personell völlig unzureichend ausgestattet"

Laut einem Bericht des ARD-Fernsehens konnten die NADA-Fahnder im vergangenen Jahr rund 400 unangekündigte Trainingstests nicht durchführen, weil die Athleten trotz ihrer Meldepflicht nicht am angegebenen Ort waren. Der Vizepräsident des Leichtathletik-Weltverbandes, Helmut Diegel, sagte, die NADA sei aufgrund ihrer mangelnden personellen Ausstattung derzeit völlig überfordert.

Moderation: Klaus Remme |
    Klaus Remme: Am Telefon ist Helmut Diegel, der Vizepräsident des Internationalen Leichtathletikverbandes. Hallo Herr Diegel!

    Helmut Diegel: Hallo!

    Remme: Herr Diegel, 400 Tests sind ins Leere gegangen, keine Sanktionen. Die Leichtathletik steht, gemessen an den Zahlen, in besonderem Maße am Pranger. Wie erklären Sie sich das Bild?

    Diegel: Nun, dass die Leichtathletik am Pranger steht, das hängt ja nun zunächst damit zusammen, dass in der Leichtathletik die meisten Kontrollen durchgeführt werden. Man sollte in dieser Sache sehr vorsichtig sein, bevor man die Athleten verurteilt. Ich bin nun sehr lange aktiv in diesem Antidopingkampf, und ich weiß, dass dieses Dopingkontrollsystem grundsätzlich Schwierigkeiten aufweist. Die Athleten sind nicht jederzeit so anzutreffen, doch das ist auch verständlich, denn sie haben eine Abmeldepflicht, sie haben eine Pflicht anzugeben, wo sie sich aufhalten, doch wenn der Kontrolleur ankommt und der hat in der Tat sich nicht telefonisch angemeldet, was dringend erwünscht ist, dann muss man damit leben, dass die Kontrolleure oft die Athleten nicht antreffen an jenem Ort, an dem sie nun ausgewiesen sind. Wenn ein Kontrolleur in Tübingen ankommt und einen Athleten beispielsweise der Leichtathletikgemeinschaft in Tübingen antreffen möchte, dann kann es sein, dass er sich gerade in einer Vorlesung befindet, es kann sein, dass er sich auf dem Trainingsplatz befindet, es kann sein, dass er sich bei seiner Freundin gerade aufhält, es kann sein, dass er zu Hause bei seinen Eltern ist.

    Remme: Aber Herr Diegel, der Hajo Seppelt hat es ja gerade erklärt, die NADA hat sich ja nicht umsonst diese Regeln gegeben möglicher Sanktionen bei einem Fehlschlagen von einem Test, von zwei Tests, von drei Tests, wie Seppelt sagt, die einem positiven Dopingbefund gleichkommen. Wenn Lars Riedel fünfmal nicht kommt, was heißt das, steht der Mann unter Dopingverdacht für Sie?

    Diegel: Man muss jede nicht angetroffene Sache, also wenn Riedel einmal nicht angetroffen wurde, dann ist er selbst in die Validierung einzubeziehen, erst dann kann man von einem Missed Test sprechen.

    Remme: Erklären Sie mir eben, was Validierung heißt, sonst komme ich nicht mit.

    Diegel: Gut, also ganz einfach: Ein Athlet ist ausgelost, er soll kontrolliert werden. Der Kontrolleur fährt los und geht an diesen Ort, an dem der Athlet angeblich zu sein hat. Nun trifft er den Athleten nicht an. Dann muss der Athlet nachweisen, warum er doch nicht angetroffen wurde. Diese Möglichkeit muss ihm eröffnet werden. Wenn dies nicht glaubhaft ist, gilt dies als ein verfehlter Test, dann erhält er eine öffentliche Verwarnung. Das heißt, es muss ein Schriftstück vorliegen, das von der NADA an Herrn Riedel versandt wurde, in dem er verwarnt ist.

    Nun kommt der zweite Fall, und beim zweiten Fall würde es genau gleich aussehen, Herr Riedel müsste wiederum die Möglichkeit haben dazu Stellung zu nehmen, dann würde er drei Monate gesperrt. Ich sehe in diesem Fall ein ganz konkretes praktisches Problem: Einmal ist die NADA völlig überfordert, sie ist personell völlig unzureichend ausgestattet, um dieses Kontrollsystem, das ja aufgebaut wurde, angemessen zu steuern. Zum Zweiten gibt es das Ärgernis, dass diese Regeln, so wie sie formuliert sind, international offensichtlich ungleich zur Anwendung kommen, beispielsweise im Weltverband Leichtathletik wird erst nach drei so genannten Missed Tests innerhalb von fünf Jahren eine zweijährige Sperre ausgesprochen. Alle übrigen Maßnahmen, wie wir sie auf der Ebene der NADA kennen, existieren im Weltverband selbst so nicht.

    Remme: Ich will das noch mal weiterspinnen. Steht Lars Riedel für Sie unter Dopingverdacht, wenn er fünfmal nicht auftaucht?

    Diegel: Für mich, ich spreche nicht von Dopingverdacht, wenn Missed Tests stattgefunden haben, sondern ich sage, wenn er fünfmal nicht aufgetaucht ist und er dabei jeweils unsererseits klar überführt wird, dass er diesen Missed Test zu verantworten hat, dann ist Lars Riedel zwei Jahre zu sperren. Wenn aber die Agentur die Regeln selbst nicht beachtet hat, wenn Lars Riedel nicht entsprechende Dokumente in den Händen hat, die an ihn adressiert sind durch die NADA, dann können wir nicht von einem Fehlverhalten von Lars Riedel sprechen. Insofern bedarf es einer sehr genauen Prüfung des Einzelfalles. Ich denke, das ist zwingend notwendig, bevor wir alle Athleten hier unter Generalverdacht stellen.

    Remme: Helmut Diegel war das, Vizepräsident des Internationalen Leichtathletikverbandes. Herr Diegel, vielen Dank für das Interview!