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Dopingexperte: Politik nicht wirklich an Dopingkampf interessiert

Dem Sportausschuss des Deutschen Bundestages attestiert Fritz Sörgel, Leiter des Instituts für biomedizinische und pharmazeutische Forschung in Heroldsberg, "keine so besonders tolle Veranstaltung" zu sein. Die "Erfurt-Affäre" sei zum Beispiel vor Olympia "aus der Agenda vertrieben" worden.

Fritz Sörgel im Gespräch mit Martin Zagatta | 04.08.2012
    Martin Zagatta: Betrüger haben es viel schwerer als früher, meint Michael Vesper, der deutsche Delegationsleiter bei den Olympischen Spielen in London, der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes. Da bei diesen Spielen ein früherer Dopingsünder das Radrennen gewonnen hat und eine 16-jährige chinesische Schwimmerin schneller ist als die besten Männer - und das Thema Doping dennoch keine größere Rolle spielt, wollen wir jetzt bei dem Dopingexperten Fritz Sörgel nachfragen. Er leitet das Institut für biomedizinische und pharmazeutische Forschung in Heroldsberg und ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Sörgel!

    Fritz Sörgel: Ja, guten Morgen!

    Zagatta: Herr Sörgel, wie ist das, wird jetzt nicht mehr so viel gedopt wie früher oder sind die Kontrollen zu lasch?

    Sörgel: Nein, ich denke, die Kontrollen sind nicht zu lasch. Es ist sicher auch richtig, dass sich die Dopinglabore über die letzten Jahre stark verbessert haben. Es hat dazu geführt, dass die Standardsubstanzen, sieht man mal davon ab, dass Sportler aus kleinen Ländern oder Ländern, die nicht technologisch auf dem neuesten Stand sind, erwischt werden, aber insgesamt gesehen, haben sich die Dopingtests nicht dahingehend entwickeln können, dass auch modernes Doping entdeckt wird.

    Zagatta: Wird da gedopt bei diesen Olympischen Spielen? Sie sprechen von modernem Doping. Kann man davon ausgehen?

    Sörgel: Ja, davon kann man sicher ausgehen. Das wird perfektioniert. Ich meine, es wird so viel Aufwand getrieben mit dem Training, mit der Vorbereitung der Sportler, mit dem Drumherum. Und dazu gehört eben auch die optimale Vorbereitung, wenn man so will, im chemischen Sinne.

    Zagatta: Kann das sein, dass eine 16-jährige Chinesin schneller schwimmt als die besten Männer?

    Sörgel: Ja gut, wenn das alles so langsam passiert wäre und der Prozess sich über Jahre entwickelt hätte, dann hätte man sich das schon vielleicht durchaus vorstellen können. Wobei ja noch zu korrigieren ist, es war ja nur die letzte Bahn, "nur" in Anführungszeichen, die letzte Bahn, in der sie schneller geschwommen ist. Aber die Frage natürlich, was dahintersteckt, die tut sich auf.

    Zagatta: Wie glaubhaft sind denn da die Sportverbände, auch diese Weltdopingagentur, die es mittlerweile gibt mit nationalen Agenturen? Peking zum Beispiel verweist ja jetzt auf 15.000 Kontrollen seiner Athleten im Jahr.

    Sörgel: Ja gut, was ist 15.000 bei – die Art und Weise und bei der Quantität der Kadersportler, also Sportler, die in der Topkategorie sind. Also ich gehe davon aus, dass das in China Zigtausende sind. Da sind natürlich 15.000 Proben, in Deutschland haben wir immerhin auch knapp 10.000. Im Prinzip nichts. Man darf ja auch nicht vergessen, man muss das ja immer in Relation zur Größe des Landes an sich auch sehen.

    Zagatta: Es gibt mittlerweile eine Weltantidopingagentur, die WADA, es gibt die NADA, also die nationale Agentur in Deutschland. Wird da jetzt etwas besser gemacht als früher? Wird Doping härter verfolgt? Welche Rolle spielen diese Agenturen?

    Sörgel: Na gut, die NADA in Deutschland hat leider in dem letzten Jahr keine sonderlich gute Rolle in der sogenannten Erfurt-Affäre gespielt. Sie ist auch sicher chronisch unterfinanziert. Es fehlt sehr viel an Kompetenz. Es ist ein ziemliches Durcheinander. Aber auch auf der WADA, auf der internationalen Seite, ist es nicht anders.

    Zagatta: Erfurt-Affäre, da geht es um Blutmanipulationsfälle, wo man sich streitet, ob das Doping war oder nicht?

    Sörgel: Ja, gut, Doping war es mit Sicherheit nicht. Also, oder mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht. Aber was es auf jeden Fall war, es war ein Verstoß gegen den Anti-Doping-Code, weil man nämlich am Blut nicht manipulieren darf. Das ist im Prinzip schon seit 1999 in allen Codes gegen das Doping aufgenommen gewesen. Und es ist nur sehr trickreich jetzt sozusagen vom Deutschen Sportbund, aber auch von der NADA, so gemacht worden, dass man das Thema vor Olympia mehr oder weniger aus der Agenda vertrieben hat. Aber ich denke, das wird zurückkommen, denn das ist eine unangenehme Geschichte. Da kann man nicht drum herum.

    Zagatta: Steht diese NADA, steht diese Anti-Doping-Agentur, steht die da im Dienst der Sportverbände oder wie sieht ihre Rolle – weil, Sie äußern ja Kritik jetzt auch an der Agentur.

    Sörgel: Sie steht sicher im Dienst der Sportverbände, aber sehr viel problematischer ist, dass sie im Dienst – und da kann man wirklich den Begriff "im Dienst stehen" bestens gebrauchen – im Dienst der Politik. Hier ist das größte Problem, denn die Politik ist nach wie vor Hauptgeldgeber. Und gut, wer das Geld gibt, gibt an. Und hier sind nicht so tolle Dinge passiert. Im Sportausschuss insbesondere von den Mitgliedern der Koalition. Also hier ist die NADA einfach nicht wirklich unabhängig.

    Zagatta: Hat die Regierungskoalition, der Sportausschuss, hat der irgendein Interesse, Doping zu vertuschen oder da nicht entsprechend vorzugehen?

    Sörgel: Ich denke, es ist jetzt auch in den letzten Tagen die Diskussion aufgekommen, welche Vorgaben haben eigentlich die Verbände, was die Medaillen anbetrifft. Die Politik, auch wenn die jetzt, immer dann natürlich sehr kritisch China sehen als totalitären Staat, der viele Medaillen will. So ist das ja bei uns nicht, dass bei uns die Politik nicht auch viele Medaillen will. Und die Politiker schmücken sich ja gern mit Sportlern. Und die Sportler schmücken sich gern mit Medaillen. Und wenn beides zusammenkommt, dann ist es ideal.

    Zagatta: Und das ist so, in Deutschland auch, in einem Land wie Deutschland.

    Sörgel: Ja, natürlich. Schauen Sie sich doch an, was passiert, welche Nähe die Politiker zu Siegern suchen, bei Verlierern sieht man sie nie. Das ist ein ganz normaler Vorgang, nur dass es noch nicht ganz so perfekt gemacht wird. Und Gott sei Dank auch nicht gemacht werden kann in einem demokratischen Staat - wie in China.

    Zagatta: Und dann schaut man auch in Deutschland über Doping hinweg?

    Sörgel: Ja, aber natürlich. Gerade diese Vorgänge im Sportausschuss haben doch deutlich gezeigt, wie man das Ganze mehr oder weniger unter der Oberfläche halten will. Und man nicht wirklich interessiert ist, hier einen Dopingkampf zu machen. Es sind dann ja auch Mitglieder wie Herr Gienger, der ehemalige Turner, in diesem Sportausschuss, also das ist ...

    Zagatta: ... heute CDU-Politiker, ja.

    Sörgel: ... CDU-Politiker, ja, das ist kein so sonderlich – ich war ja mal eingeladen und hab das mal erleben dürfen – keine so besonders tolle Veranstaltung.

    Zagatta: Der Dopingexperte Fritz Sörgel, der das Institut für biomedizinische und pharmazeutische Forschung in Heroldsberg leitet. Herr Sörgel, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

    Sörgel: Gerne. Und schönen Tag noch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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