Klaus Müller: Man muss das sehr ernst nehmen, denn es hat offensichtlich ein Ausmaß, das bisher nie da gewesen ist. Das Positive daran ist, dass offensichtlich die Amerikaner nunmehr wirklich erwachen. Es hat ja in der Vergangenheit viele Vorwürfe gegeben, dass dort Dopingfälle unter den Tisch gespielt worden sind, Daten verheimlicht worden, und das scheint also nun anders zu sein. Das wäre dann die optimistische Seite dieses Vorgangs.
Remme: Wenn Sie von einer neuen Dimension sprechen, was meinen Sie, wie sieht sie aus, warum ist das so?
Müller: In zweierlei Hinsicht: Das Erste ist, dass die Dopingmittel, mehrere hundert ja, die bisher verboten sind, in aller Regel Arzneimittelwirkstoffe sind, die in der Medizin ganz offiziell für bestimmte Indikationen angewendet werden und die im Sport nur missbraucht werden. In diesem Falle scheint es nun das erste Mal vorgekommen zu sein, dass eine Substanz speziell für den Missbrauch im Sport entwickelt worden ist. Das hat es in dieser Form bisher nicht gegeben. Das Zweite ist der Umfang und die Tatsache, dass man relativ rasch in der Lage ist, diese neue Substanz, die bisher unbekannt war, auch nachzuweisen. Nun ist an den vielen Nachrichten, die sich da fast überschlagen, nicht alles ganz hundertprozentig richtig. Es braucht also beispielsweise diese Substanz nicht neu auf die Liste gesetzt werden, sondern in der Liste über die anabolen Wirkstoffe, zu denen das THG gehört, steht ausdrücklich, dass Analoga der dort explizit aufgeführten Verbindungen ebenfalls verboten sind, und dazu gehört es. Das heißt, das ist auch im Moment schon verboten. Sonst wäre das ja gar kein Fall von positivem Dopingbefund.
Remme: Im Mittelpunkt scheint das Balco-Labor in Kalifornien zu stehen. Ist Ihnen diese Einrichtung schon vorher auffällig geworden?
Müller: Ich weiß natürlich nur, was ich über die Medien höre. Nein, sie sind nicht auffällig geworden. Es ist tatsächlich der erste Fall von einer solchen Designerproduktion, wie wir sie aus den anderen Drogen, den Betäubungsmitteln kennen, also zum Beispiel vom Ecstasy, die aber im Sport bisher keine Rolle gespielt haben.
Remme: Wir haben es gehört, Dutzende von Athleten sollen betroffen sein. Was, wenn die B-Probe den Verdacht bestätigt?
Müller: Das setze ich voraus, denn es wird hier besonderer Aufwand bereits in der ersten Phase mit der A-Probe getrieben worden sein, und ich wüsste nicht, warum die B-Probe dann negativ ausgehen soll. Das ist eigentlich heute weitgehend eine Formalität. Die B-Probe wird zu Sicherheit angestellt, insbesondere, um irgendwelche Manipulationen an den Proben auszuschließen. Aber in den allermeisten Fällen, bis auf winzige Ausnahmen, bestätigt die B-Probe die A-Probe.
Remme: Und welche Konsequenzen hat das dann?
Müller: Nun, dann sind es positive Fälle und dann müssen die Betreffenden gesperrt werden. Und das können sie nach meiner Auffassung schon jetzt, obwohl diese Substanz explizit nicht in der Liste enthalten ist, weil sie eben zu den verwandten Verbindungen gehört, die ebenfalls als verboten gelten.
Remme: Herr Müller, wenn es so etwas wie THG gibt, spricht dann nicht auch einiges dafür, dass es dieses Designermittel längst auch bis nach Europa, bis nach Deutschland geschafft hat?
Müller: Nun, das kann man befürchten, aber es ist nicht sicher. Ich weiß ja nun nicht, auf welche Weise genau die Anfangsinformation hier zustande gekommen ist. Im Allgemeinen hat das Aufkommen neuer Mittel, zum Beispiel auch Arzneimittelwirkstoffe, die das erste Mal im Sport missbraucht werden, nur einen kurzen Vorlauf, weil irgendetwas fast immer dazu beiträgt, dass man innerhalb von kurzer Zeit auf diese Substanzen stößt, selbst wenn man sie noch nicht sicher identifizieren kann und ihnen nachgeht.
Remme: Erscheinen denn die Erfolge von US-Leichtathleten zum Beispiel bei der WM in Paris vor wenigen Wochen jetzt in anderem Licht?
Müller: Der Verdacht liegt nahe. Aber wiederum kann man auch nicht den Spies umkehren und kann das für sicher halten. Das muss eben alles erst nachgewiesen werden. Es ist grundsätzlich vor Verallgemeinerung zu warnen. In diesem Falle vielleicht etwas weniger als sonst, weil es sich offensichtlich um ein sehr umfassendes Problem handelt mit vielen Beteiligten. Aber ansonsten bin ich immer dagegen, dass man von den wenigen positiven Fällen auf die Allgemeinheit der Sportler schließt.
Remme: Herr Müller, ist dieser Fall ein Indiz dafür, dass Sie als Dopingbekämpfer letztlich immer das Nachsehen haben?
Müller: Nein, ich würde sagen, es ist eher umgekehrt zu sehen. Es wird sich bald herausstellen, wie lange dieses Problem schon im Schwange ist. Hoffentlich also nicht so sehr lange wie bei den meisten anderen, neu aufkommenden Verbindungen auch. Ich bin der Meinung, dass es eher ein Zeichen dafür ist, dass die Bäume der schwarzen Schafe nicht in den Himmel wachsen.
Remme: Sehen Sie die gefährlichsten Folgen von Doping eigentlich im Bereich der namhaften Spitzensportler, die auch Schlagzeilen machen, oder aber im Breitensport?
Müller: Nun, da wird es eine Frage der Auffassung. Sicher sind nicht alle Spitzensportler gedopt, einige werden durch die Maschen schlüpfen, aber letzten Endes handelt es sich um einen winziger Bruchteil der Sporttreibenden, um ein Prozent im Weltmaßstab der Hochleistungssportler, die positiv getestet werden. Die ganz große Gefahr liegt bei denen, die überhaupt nicht kontrolliert werden und die die Dopingpraktiken der Spitzensportlern, ihrer Idole, nachmachen. Das ist für mich sogar das Hauptmotiv der Bekämpfung. Man könnte kaltschnäuzig sagen, wenn sich ein paar Hundert oder ein paar Tausend Spitzensportler zu Tode dopen, dass wäre zwar schlimm, aber die Welt würde daran nicht zu Grunde gehen. Aber wenn Hunderttausende oder Millionen das nachmachen, und dafür gibt es Indizien, dass das geschieht, dann wäre es ein gesellschaftliches Problem hoher Rangordnung und deshalb müssen wir unbedingt weiter dazu beitragen, dass Doping mindestens zurückgedrängt wird und dass es nicht als normal gilt und als nachahmenswert.
Remme: Abschließend, können Sie als Wissenschaftler denn schon sagen, wie gefährlich dieses Mittel ist?
Müller: Das kann man nur in Analogie schließen. Die Anabolika, zu denen das THG gehört, sind lang wirkende Mittel, die von Leberschäden abgesehen, Veränderungen in der Steuerung der Sexualfunktionen mit sich bringen, und insofern wird sich das nicht grundsätzlich von den anderen unterscheiden, die es schon länger gibt.
Remme: Klaus Müller war das, Leiter des Doping-Analyse-Labors in Kreischa, vielen Dank für das Gespräch.
Remme: Wenn Sie von einer neuen Dimension sprechen, was meinen Sie, wie sieht sie aus, warum ist das so?
Müller: In zweierlei Hinsicht: Das Erste ist, dass die Dopingmittel, mehrere hundert ja, die bisher verboten sind, in aller Regel Arzneimittelwirkstoffe sind, die in der Medizin ganz offiziell für bestimmte Indikationen angewendet werden und die im Sport nur missbraucht werden. In diesem Falle scheint es nun das erste Mal vorgekommen zu sein, dass eine Substanz speziell für den Missbrauch im Sport entwickelt worden ist. Das hat es in dieser Form bisher nicht gegeben. Das Zweite ist der Umfang und die Tatsache, dass man relativ rasch in der Lage ist, diese neue Substanz, die bisher unbekannt war, auch nachzuweisen. Nun ist an den vielen Nachrichten, die sich da fast überschlagen, nicht alles ganz hundertprozentig richtig. Es braucht also beispielsweise diese Substanz nicht neu auf die Liste gesetzt werden, sondern in der Liste über die anabolen Wirkstoffe, zu denen das THG gehört, steht ausdrücklich, dass Analoga der dort explizit aufgeführten Verbindungen ebenfalls verboten sind, und dazu gehört es. Das heißt, das ist auch im Moment schon verboten. Sonst wäre das ja gar kein Fall von positivem Dopingbefund.
Remme: Im Mittelpunkt scheint das Balco-Labor in Kalifornien zu stehen. Ist Ihnen diese Einrichtung schon vorher auffällig geworden?
Müller: Ich weiß natürlich nur, was ich über die Medien höre. Nein, sie sind nicht auffällig geworden. Es ist tatsächlich der erste Fall von einer solchen Designerproduktion, wie wir sie aus den anderen Drogen, den Betäubungsmitteln kennen, also zum Beispiel vom Ecstasy, die aber im Sport bisher keine Rolle gespielt haben.
Remme: Wir haben es gehört, Dutzende von Athleten sollen betroffen sein. Was, wenn die B-Probe den Verdacht bestätigt?
Müller: Das setze ich voraus, denn es wird hier besonderer Aufwand bereits in der ersten Phase mit der A-Probe getrieben worden sein, und ich wüsste nicht, warum die B-Probe dann negativ ausgehen soll. Das ist eigentlich heute weitgehend eine Formalität. Die B-Probe wird zu Sicherheit angestellt, insbesondere, um irgendwelche Manipulationen an den Proben auszuschließen. Aber in den allermeisten Fällen, bis auf winzige Ausnahmen, bestätigt die B-Probe die A-Probe.
Remme: Und welche Konsequenzen hat das dann?
Müller: Nun, dann sind es positive Fälle und dann müssen die Betreffenden gesperrt werden. Und das können sie nach meiner Auffassung schon jetzt, obwohl diese Substanz explizit nicht in der Liste enthalten ist, weil sie eben zu den verwandten Verbindungen gehört, die ebenfalls als verboten gelten.
Remme: Herr Müller, wenn es so etwas wie THG gibt, spricht dann nicht auch einiges dafür, dass es dieses Designermittel längst auch bis nach Europa, bis nach Deutschland geschafft hat?
Müller: Nun, das kann man befürchten, aber es ist nicht sicher. Ich weiß ja nun nicht, auf welche Weise genau die Anfangsinformation hier zustande gekommen ist. Im Allgemeinen hat das Aufkommen neuer Mittel, zum Beispiel auch Arzneimittelwirkstoffe, die das erste Mal im Sport missbraucht werden, nur einen kurzen Vorlauf, weil irgendetwas fast immer dazu beiträgt, dass man innerhalb von kurzer Zeit auf diese Substanzen stößt, selbst wenn man sie noch nicht sicher identifizieren kann und ihnen nachgeht.
Remme: Erscheinen denn die Erfolge von US-Leichtathleten zum Beispiel bei der WM in Paris vor wenigen Wochen jetzt in anderem Licht?
Müller: Der Verdacht liegt nahe. Aber wiederum kann man auch nicht den Spies umkehren und kann das für sicher halten. Das muss eben alles erst nachgewiesen werden. Es ist grundsätzlich vor Verallgemeinerung zu warnen. In diesem Falle vielleicht etwas weniger als sonst, weil es sich offensichtlich um ein sehr umfassendes Problem handelt mit vielen Beteiligten. Aber ansonsten bin ich immer dagegen, dass man von den wenigen positiven Fällen auf die Allgemeinheit der Sportler schließt.
Remme: Herr Müller, ist dieser Fall ein Indiz dafür, dass Sie als Dopingbekämpfer letztlich immer das Nachsehen haben?
Müller: Nein, ich würde sagen, es ist eher umgekehrt zu sehen. Es wird sich bald herausstellen, wie lange dieses Problem schon im Schwange ist. Hoffentlich also nicht so sehr lange wie bei den meisten anderen, neu aufkommenden Verbindungen auch. Ich bin der Meinung, dass es eher ein Zeichen dafür ist, dass die Bäume der schwarzen Schafe nicht in den Himmel wachsen.
Remme: Sehen Sie die gefährlichsten Folgen von Doping eigentlich im Bereich der namhaften Spitzensportler, die auch Schlagzeilen machen, oder aber im Breitensport?
Müller: Nun, da wird es eine Frage der Auffassung. Sicher sind nicht alle Spitzensportler gedopt, einige werden durch die Maschen schlüpfen, aber letzten Endes handelt es sich um einen winziger Bruchteil der Sporttreibenden, um ein Prozent im Weltmaßstab der Hochleistungssportler, die positiv getestet werden. Die ganz große Gefahr liegt bei denen, die überhaupt nicht kontrolliert werden und die die Dopingpraktiken der Spitzensportlern, ihrer Idole, nachmachen. Das ist für mich sogar das Hauptmotiv der Bekämpfung. Man könnte kaltschnäuzig sagen, wenn sich ein paar Hundert oder ein paar Tausend Spitzensportler zu Tode dopen, dass wäre zwar schlimm, aber die Welt würde daran nicht zu Grunde gehen. Aber wenn Hunderttausende oder Millionen das nachmachen, und dafür gibt es Indizien, dass das geschieht, dann wäre es ein gesellschaftliches Problem hoher Rangordnung und deshalb müssen wir unbedingt weiter dazu beitragen, dass Doping mindestens zurückgedrängt wird und dass es nicht als normal gilt und als nachahmenswert.
Remme: Abschließend, können Sie als Wissenschaftler denn schon sagen, wie gefährlich dieses Mittel ist?
Müller: Das kann man nur in Analogie schließen. Die Anabolika, zu denen das THG gehört, sind lang wirkende Mittel, die von Leberschäden abgesehen, Veränderungen in der Steuerung der Sexualfunktionen mit sich bringen, und insofern wird sich das nicht grundsätzlich von den anderen unterscheiden, die es schon länger gibt.
Remme: Klaus Müller war das, Leiter des Doping-Analyse-Labors in Kreischa, vielen Dank für das Gespräch.