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Doppeltalent in Wort und Bild

Cornelia Funke ist eine der großen deutschen Erzählerinnen – mit Worten wie mit dem Zeichenstift. Denn wer ihre Bücher gelesen hat, der kennt auch ihre Illustrationen. Nun ist in Oberhausen eine erste umfassende Retrospektive mit ihren Buchillustrationen zu sehen.

Die Fragen stellte Achim Hahn |
    Achim Hahn: Sie haben zu Beginn Ihrer künstlerischen Karriere nach Ihrem Studium an der renommierten Hochschule für Buchillustration in Hamburg als Illustratorin gearbeitet, waren aber mit den Geschichten nie wirklich zufrieden, die Sie da bebildern sollten. Deshalb, so ist zu lesen, hätten Sie überhaupt mit dem Schreiben angefangen. Welche Rolle spielen denn heute die Zeichnungen, die Bilder für Ihr Schreiben?

    Cornelia Funke: Die spielen heute oft erst mal sehr indirekt eine Rolle als Recherchematerial, das heißt, ich arbeite - da bin ich wirklich eine der wenigen Schreiberlinge, die das tun - immer erst mal mit Bildwänden, wenn ich an zu arbeiten fange an 'ner Geschichte. Das sind dann aber natürlich alles Kunstwerke von anderen Künstlern. Das heißt ich arbeite mit Illustrationen, Zeichnungen, Gemälden, und dieses Material, dass ich im Grunde beim Schreiben als Inspiration benutze, arbeite ich dann später als Illustrator. Was im Grunde ne sehr schöne Verbindung zwischen Schreiben und Illustrieren ist.

    Hahn: Ist denn die Illustration für Sie eher ein dienendes Beiwerk im Kinderbuch- und Jugendbuchgenre oder hat sie eine eigenständige Bedeutung für Sie?

    Funke: Ich würde mir sehr sehr sehr viel mehr Illustrationen wünschen. Also im Grunde so eigenständige Illustrationen, wie es im 19. Jahrhundert gang und gäbe war. Deswegen arbeite ich im Moment ja auch an einer App für die Spiegelwelt, einem sehr aufwendigen, größten kreativen Projekt, was ich je finanziert habe, wo ich mit sehr vielen Illustratoren, Bildhauern und Malern hier in L.A. zusammenarbeite, um Geschichten eben visuell zu interpretieren, aber eben auf literarische und nicht auf filmische Weise, die das doch alles immer sehr reduziert.

    Ich selber denke immer, mein Talent als Illustrator ist begrenzt. Ich bin ein guter Handwerker, aber ich finde andere Künstler wesentlich aufregender als mich selber, sodass ich auch sehr sehr interessiert bin an Zusammenarbeit mit anderen Künstlern.

    Hahn: Wovon lassen Sie sich in der Bildgestaltung inspirieren?

    Funke: Bei Büchern jetzt wie "Reckless" oder der Tintenwelt ist es natürlich einfach, weil man im Grunde nen fiktiven, historischen Rahmen hatte. Also bei der Tintenwelt war das die mittelalterliche Buchmalerei, die ich zum Vorbild genommen habe, und bei "Reckless" ist es jetzt so, dass ich die Buchillustration und die Malerei des 19. Jahrhunderts zum Vorbild nehme.

    Hahn: Bei vielen Illustrationen hab ich das Gefühl, Sie arbeiten viel mit der Tuschefeder. Das wirkt fast etwas altmodisch, wenn man an das Kratzen der Feder auf dem Papier denkt und an das Eintauchen in die Tinte. Warum haben Sie dafür eine besondere Vorliebe, wie es scheint?

    Funke: Ich finde, dass der Strich wesentlich lebendiger wird, als wenn man das mit modernen Mitteln macht. Ich hab auch mit Rapidographen und technischen Zeichengeräten gearbeitet am Strich, weil es sehr viel einfacher ist und gleichmäßiger wird, aber da fehlt's dann auch manchmal so'n bisschen am Leben, weil man diese Unregelmäßigkeit der Tinte möchte und den verschiedenen Federstärken. Inzwischen muss ich sagen ist mein Lieblingsmaterial entweder ein relativ weicher Bleistift oder aber Pastellkreide.

    Hahn: In der Oberhausener Ausstellung sieht man mehrere Schaffensperioden von den Bilderbuchillustrationen bis zu den generationsübergreifenden Büchern seit dem "Herrn der Diebe" etwa. Darunter gibt es auch die unterschiedlichsten Entwurfsstadien zum Beispiel zu Ihrem Bestseller "Tintenherz". Da ist am Anfang sehr oft der Marder Gwin auf dem Titelbild zu sehen, später entwickelten Sie aber das bekannte kalligrafische Bild, dass die Grafik der gesamten Trilogie prägt. Wie hat sich das entwickelt?

    Funke: Bei "Tintenherz" war es interessant, dass ich 'nem ganz klassischen Entwurf angefangen habe. Also man nimmt ein Motiv aus dem Buch, man versucht verschiedene Motive, man geht aber sehr direkt in die Geschichte, und eigentlich nicht so zufrieden damit war. Und ich weiß noch genau, als ich in den Verlag ging und alle meine Entwürfe vorstellte, da war dieser eben seltsame Collageentwurf ganz zum Schluss dabei herausgekommen, wo ich einfach nur dachte, das wär relativ ungewöhnlich und riskant, wenn wir das versuchen, aber das ist mit Abstand das Schönste. Und Gott-sei-dank war mein sowieso sehr wunderbarer und aufgeschlossener deutscher Verlag, nämlich Dressler, ganz offen da und hat gesagt, versuchen wir es doch einfach und machen diesen Entwurf, der ja aus lauter mittelalterlichen kolorierten Buchstaben besteht, die ich selber koloriert habe.

    Hahn: Im Innern der Tintenwelt-Trilogie sind Sie mit Zeichnungen etwas sparsamer, als nun in den beide bisher erschienenen "Reckless"-Bücher. Die sind wieder aufwendiger illustriert. Warum spielen denn jetzt für Sie die Bilder wieder eine wichtigere Rolle?

    Funke: Das liegt daran, dass ich noch nie in eine Welt auch nur annähernd so detailliert eingestiegen bin, wie jetzt in die Spiegelwelt. Das heißt, ich hab mir sogar - und ich bin immer noch dabei - Lexika zu jeder Pflanze, zu jedem Zauber, zu jedem Objekt in dieser Welt angelegt, weil die Welt inzwischen so komplex und detailliert wird. Da hat man dann auch einfach dann das Bedürfnis, dass die Bilder, die sich dann im Kopf einstellen auch mehr aufs Papier zu bringen, als es bei der Tintenwelt der Fall war.

    Hahn: Ich hab den Eindruck, Sie haben dort wieder viele Bezüge zur Kunstgeschichte hergestellt, was für Kenner - oder auch die Besucher der Oberhausener Ausstellung, in der das ja gut herausgearbeitet wird - eine weitere Ebene bietet. Können Sie uns ein Beispiel nennen?

    Funke: Ja, das war bei dieser Arbeit wirklich dann auch ganz besonders spannend. Also ich hab einmal mit Malern wie Adolf Menzel und Caspar David Friedrichs gearbeitet, hab mir dann sowieso romantische Malerei aus England, Deutschland und jeweils den Gebieten, in denen jeweils "Reckless" stattfand angesehen. Beim zweiten Band war das dann auch mehr Frankreich. Hab mir sehr viel Buchillustration aus dem 19. Jahrhundert, aber auch die ganze frühe Fotografie an die Wände gehängt, und hatte damit eine solche Vielzahl von visuellem Material.

    Ich hab auch das Glück, dass ich hier in Los Angeles sehr eng befreundet mit den Kuratoren des Getty-Museums bin, die eine unglaubliche Sammlung von Buchkunst und Buchillustrationen haben und mir dann sehr bei der Recherche gerade der visuellen Materialien geholfen haben.

    Hahn: Ist es so, dass inzwischen das Visuelle in ihrer Arbeit eine größere Rolle spielt? Sie haben ja auch gerade schon ihre Zusammenarbeit mit den App-Entwicklern von Mirada gesprochen, mit denen Sie an einer Smartphone-App arbeiten.

    Funke: Ja es ist ganz interessant, ich hatte das nicht erwartet. Ich hatte eigentlich gedacht, dass da auch einfach gar keine Zeit mehr ist. An Bilderbuch war ich sowieso nie so interessiert, da fehlt mir dann die Geduld, da schreib ich lieber. Und jetzt gerade in der Entwicklung der App, an der ich mit Mirada, einer hier sehr sehr renommierten und vor allem auch innovativen Firma zusammenarbeite, kommen da plötzlich eine ganz andere Dimension von Illustration und Kunst wieder rein.

    Eine Lektorin von mir hier sagte das so schön, als sie die Kunst sah, die da gerade angefertigt wird: "Das ist ja mehr Du als Du!" Wenn man dann plötzlich dieses Verständnis mit anderen Künstlern hat, ist das natürlich sehr bereichernd.


    Cornelia Funke - Tintenherz, Wilde Hühner und Gespensterjäger -
    Die fantastischen Bildwelten von den frühen Kinderbüchern bis Reckless"
    (Retrospektive von Cornelia Funkes Buchillustrationen in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen)