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Doppelte Staatsbürgerschaft fördert nicht die Integration , sondern behindert sie

Wagener: Ein ungemein vielschichtiges Thema beschäftigt seit Tagen sowohl die Regierungskoalition als auch die Opposition. Es geht äußerst kontrovers zu, sowohl was die grundsätzliche Frage betrifft, ob es überhaupt zwei Staatsbürgerschaften für in Deutschland lebende Ausländer geben darf - darum geht es nämlich -, als auch in der Frage, wie und auf welchem Wege die Bevölkerung ihre Haltung dazu kundtun soll. Die bayerische CSU will eine Unterschriftenaktion starten, um gegen die von der Regierungskoalition geplante doppelte Staatsbürgerschaft anzugehen. Die größere CDU hatte und hat mit dieser Aktion ein wenig mehr Probleme als ihre Schwesterpartei. Drei Gegenstimmen gab es am Wochenende bei einer Parteivorstandssitzung in Königswinter. Die Sitzung der CDU-Spitze stand zwar im Zeichen der Doppelpaß-Diskussion; dennoch wurde auch Grundsätzliches über Gegenwart und Zukunft der Christdemokraten in Oppositionszeiten gesprochen. Nicht über alles, aber doch über einiges nun Fragen an Wolfgang Schäuble, dem CDU-Parteivorsitzenden, den ich nun am Telefon begrüße. - Herr Schäuble, ein Gremium der Partei, der Vorstand nämlich, hat nun die Unterschriftenaktion trotz dreier Gegenstimmen gebilligt. Ist damit das Vorhaben ausreichend legitimiert? Immerhin ist doch zur Zeit der Widerstand in Teilen der Basis noch gar nicht überschaubar.

    Schäuble: Ich glaube schon. Wir haben ja dafür den Bundesvorstand, daß er solche Entscheidungen trifft. Es ist ja auch ein ausreichend großes Gremium. Wir haben ja rund 50 Mitglieder im Bundesvorstand. Wir haben sehr intensiv diskutiert, haben einen Beschluß gefaßt, der klar sagt: Wir wollen die Integration der ausländischen Mitbürger, die auf Dauer in Deutschland leben, fördern. Das ist das Ziel, darum geht es uns, genauso wie der CSU. Deswegen entwickeln wir ein Konzept, wie man diese Integration fördern kann, legen einen Gesetzentwurf zur Erleichterung des Erwerbs der Staatsbürgerschaft und zur Neuregelung der Staatsbürgerschaft vor. Wir halten zugleich aber für notwendig, daß man an der Politik der Begrenzung weiteren Zuzugs festhält, denn wenn nicht der weitere Zuzug begrenzt wird, wird die Integration schwerer und die Gefahren, daß sie nicht gelingt, größer. Genauso ist es, daß man eben nicht zulassen darf, daß regelmäßig die doppelte Staatsangehörigkeit hingenommen wird. Das ist ja der Punkt. Natürlich gibt es bei vielen Einbürgerungen - auch schon in der Vergangenheit - die Situation, daß in begründeten Einzelfällen die doppelte Staatsangehörigkeit hingenommen wird. Das ist nichts Schlimmes, das ist ganz normal. Wenn aber aus der Ausnahme die Regel wird, dann bedeutet die Entscheidung für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nicht mehr eine Entscheidung für Integration in Deutschland. Damit wird durch die doppelte Staatsangehörigkeit als Regel die Integration nicht gefördert, sondern behindert, und deswegen haben wir gesagt, wir bekämpfen das mit den Möglichkeiten, die wir haben: im Parlament wie in der Mobilisierung von öffentlichem Meinungsdruck gegen dieses falsche Vorhaben der Bundesregierung.

    Wagener: Und das ist Konsens in der Tiefe als auch in der Breite Ihrer großen Partei?

    Schäuble: Ja, natürlich. Sonst hätten wir ja nicht nach einer intensiven Diskussion im Bundesvorstand eine so klare Entscheidung für diese Initiativen bekommen. Im übrigen ist es ja so: Die meisten, die sich in den letzten Tagen auch ein wenig skeptisch besorgt und mit Bedenken geäußert haben, was ja ganz legitim ist in einer großen Volkspartei, was im übrigen auch Zeit, wir machen uns diese schwierige Frage nicht leicht, die meisten haben ja nicht gesagt, es ist niemand in der Union für die regelmäßige doppelte Staatsangehörigkeit. Die meisten haben auch gesagt, es ist richtig, daß wir das bekämpfen. Sie haben lediglich gesagt, es muß sichergestellt sein, daß klar ist, daß das ganze dem Ziel dient, die ausländischen Mitbürger gut zu integrieren. Das darf nicht den Eindruck erwecken, als wären wir gegen die ausländischen Mitbürger. Und da das in dem, was wir beschlossen haben, was wir gemeinsam mit der CSU machen, ganz klar ist, denke ich, daß auch die allermeisten, die Sorgen geäußert haben, mit dem Beschluß einverstanden sind.

    Wagener: Herr Schäuble, Ihre Partei ist nicht gerade eine Fürsprecherin für pläbiszitäre Politikelemente. Warum ausgerechnet jetzt bei dieser sensiblen Frage im Bereich der Ausländerpolitik diese Orientierung an Volkesstimme?

    Schäuble: Herr Wagener, es geht ja nicht um pläbiszitäre Elemente. Die Entscheidung liegt im Parlament: beim Bundestag und im Rahmen dessen, was verfassungsmäßig an Zustimmung notwendig ist, beim Bundesrat. Wenn die Entscheidung dann der Verfassung entspricht ist das in Ordnung. Andernfalls muß es verfassungsrechtlich überprüft werden. Das ist aber eine Sorge hinterher. Politische Entscheidungen vollziehen sich ja niemals im luftleeren Raum. Die öffentliche Debatte wirkt ja immer auf politische Entscheidungen ein. Das haben wir in den 16 Jahren, in denen wir die Mehrheit im Bundestag hatten, auch immer gemerkt. Deswegen ist es für eine Opposition ja legitim, es ist geradezu die Pflicht, die Argumente, die in der Öffentlichkeit gegen ein falsches Vorhaben der Regierung vorgetragen werden, lautstark zum Ausdruck zu bringen und auch zu zeigen, daß es in der Bevölkerung eine Mehrheit gegen ein falsches Vorhaben gibt. Das wird den Druck auf die Regierung verstärken. Das bringt vielleicht auch - das ist unsere Hoffnung - rot/grün, die Regierung Schröder noch einmal zum Nachdenken. Vielleicht gibt sie - das ist ja das Ziel unserer Aktion - dieses falsche Vorhaben auf.

    Wagener: Wie groß ist Ihre Angst vor potentiellen SPD-Wählern unter den Ausländern mit zwei Pässen, wenn das Gesetz kommt?

    Schäuble: Das ist nicht das Problem, um das es geht. Da haben ein paar Sozialdemokraten wie der derzeit noch amtierende hessische Ministerpräsident ziemlich dummes Zeug geredet, der gesagt hat, das könne für die SPD weitere Wähler bringen. Das ist ja ziemlich albern. Wir können doch die Frage, ob wir ausländischen Mitbürgern die deutsche Staatsangehörigkeit gewähren, nicht davon abhängig machen, daß sie uns vorher sagen, welche Partei sie gegebenenfalls wählen werden. Das sind wirklich unsinnige Gesichtspunkte, die von den Sozialdemokraten in die Debatte gebracht werden. Das zeigt im übrigen, daß es den Sozialdemokraten nicht um die Integration ausländischer Mitbürger geht, sondern um irgendwelche dümmlichen Gesichtspunkte.

    Wagener: Welche Feinheiten werden denn jetzt noch von Ihrer Partei bis zum 24. Januar in diesem Kontext erarbeitet, dem Tag der Zusammenkunft der Parteipräsidien von CDU und CSU? Was verändert sich jetzt noch?

    Schäuble: Wissen Sie, es ist ja so: Wir haben ja schon im Herbst eine Arbeitsgruppe der Bundestagsfraktionen unter der Federführung von Jürgen Rüttgers eingesetzt, im übrigen unter Beteiligung aller von der Union geführten Landesregierungen, auch der bayerischen Staatsregierung, die Eckpunkte für ein Konzept der Integration erarbeiten soll. Jürgen Rüttgers hat auf unserer Klausurtagung am Wochenende in Königswinter einen Zwischenbericht über den Stand der Arbeiten gegeben; der hat große Zustimmung gefunden. Das ist ein sehr schlüssiges Integrationskonzept mit vielen konkreten Vorschlägen, was Bund, Länder, Kommunen zusätzlich tun können, um die Integration zu fördern. Wir als CDU haben dazu gesagt - das war von vornherein so vorgesehen -, wir wollen als CDU in unseren Ortsverbänden und Kreisverbänden vielfältige Initiativen zur praktischen Förderung der Integration ergreifen. Dann arbeitet diese Gruppe einen Gesetzentwurf zur Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechtes aus, und sie erarbeitet auch Vorschläge, wie die Politik der Zuzugsbegrenzung weiter konsequent fortgesetzt werden kann. All dies zusammen wird in der Fraktion diskutiert werden, und diese Gruppe wird auch den Text eines Aufrufs, für den wir Unterschriften sammeln wollen, erarbeiten, CDU und CSU gemeinsam. Das wird sie in der kommenden Woche tun. Sobald er vorliegt, werden sich die Führungsgremien von CDU und CSU damit beschäftigen, und dann starten wir die Aktion.

    Wagener: Gibt es eventuell eine Möglichkeit, einen Kompromiß mit der Regierung und ihrem Gesetzesvorhaben zu finden, beispielsweise in der Frage, diese doppelte Staatsangehörigkeit nur auf Zeit zu erteilen?

    Schäuble: Bisher hat ja die Regierung erklärt, daß sie beabsichtige, generell ohne jede Ausnahme bei der Einbürgerung die doppelte Staatsangehörigkeit hinzunehmen. Da gibt es dann keinen Kompromiß. Wenn die Regierung dieses unsinnige Vorhaben aufgibt, dann kann man sich natürlich einigen.

    Wagener: Es ging in Königswinter auch um das Erscheinungsbild der CDU. Meinungsforscher und TV-Profis waren als Berater zugegen. Wo hapert es denn im Moment? Was wissen Sie nach dieser Veranstaltung vom Wochenende über das Erscheinungsbild?

    Schäuble: Es ging nicht so sehr um das Erscheinungsbild, obwohl wir natürlich auch darüber am Samstagabend gesprochen haben. Wie ist die Entwicklung in den modernen Medien, was bedeutet die Entwicklung in den verschiedenen Fernsehkanälen, was bedeutet das Internet mit seiner rasanten Zunahme, auch die Frage, wie man in der modernen Medien- und Informationsgesellschaft kommunizieren kann mit der Bevölkerung und übrigens auch mit der eigenen Basis. Damit haben wir uns beschäftigt. Dort muß man auch neue technische Möglichkeiten zur Kenntnis nehmen, muß daraus lernen. Man muß ja immer offen sein für neue Entwicklungen und auch bereit sein zu lernen. Darüber hinaus haben wir uns natürlich mit Wahlforschern intensiv mit der Frage beschäftigt, wie entwickeln sich langfristig die Strukturen in der Bevölkerung. Die traditionellen Wählermilieus verändern sich: nicht nur im täglichen Bereich, im gewerkschaftlichen Bereich ist das ganz ähnlich. Deswegen hat das Wahlergebnis vom 27. Septmeber natürlich nicht nur kurzfristige Ursachen, sondern es hat auch längerfristige Ursachen, mit denen wir uns beschäftigt haben: nicht um zurückzublicken, sondern um die Lehren für die Zukunft zu ziehen. Und unsere Lehren sind: Wir wollen weiterhin die modernste Volkspartei sein. Wir wollen eine Volkspartei der Mitte sein, eine wertgebundene, wertorientierte Politik machen, die zur Mitte hin integriert. Wir wollen die Partei sein, die auf stattfindende Veränderungen in der sozialen, in der technischen, in der politischen und in der wirtschaftlichen Wirklichkeit mit den entsprechenden politischen Schlußfolgerungen reagiert, also die Partei der Innovation, der Modernisierung, auch wenn das im Einzelfall Widerstand bringt. Dafür haben wir viel Zustimmung gefunden. Da sind wir uns einig, und das setzen wir jetzt in vielen Aktionen um, bereiten uns auf unseren Parteitag im April in Erfurt vor und sind auf einem guten Weg. Wir wissen natürlich, daß ein solcher Einschnitt, wie es das Wahlergebnis vom 27. September bedeutet, auch ein Stück weit für die Opposition nicht nur neue Aufgaben mit sich bringt, sondern auch einen langen Atem erfordert. Auch darüber haben wir uns verständigt.

    Wagener: Lassen Sie uns zum Schluß noch ganz kurz über das Verhältnis zwischen Ihnen und Edmund Stoiber beziehungsweise zwischen der CDU und der CSU sprechen. Ihre Generalsekretärin Angela Merkel sprach an diesem Wochenende von einem schwesterlichen Verhältnis. In der Literatur und der täglichen Praxis gibt es auch viel Konkurrenz, Mißgunst und Intrigen unter Schwestern zu beobachten. Wenn 1 die schlechteste und 10 die Punktzahl für das beste Verhältnis wäre, wo würden Sie das derzeitige Verhältnis zwischen CDU und CSU verordnen?

    Schäuble: Na so bei 9 oder 9,5. Wir haben ein sehr gutes, gemeinschaftliches Verhältnis: CDU und CSU, auch Edmund Stoiber und ich persönlich. Wir wissen, wir haben eine riesen Aufgabe angesichts einer rot/grünen Mehrheit im Bundestag und auch im Bundesrat. Wir können sie nur gemeinsam bewältigen. Wir haben die gleichen Grundwerte und die gleichen Ziele. Auch wenn wir natürlich gelegentlich unterschiedliche Arten und Formen der Artikulation unserer Ziele und Positionen haben - das ist ja bei der landsmannschaftlichen Vielfalt und bei der Vielfalt der Charaktäre ganz klar -, aber in den Grundsätzen, in den Zielen sind wir uns einig und in der Überzeugung, daß wir es nur gemeinsam schaffen können. Deswegen arbeiten wir eng und vertrauensfall zusammen.

    Wagener: Der CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble zur doppelten Staatsbürgerschaft und zum Zustand seiner Partei. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.