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Doppelter Europapokalsieg 1997
Ekstase im Ruhrgebiet

Vor 20 Jahren gewann der FC Schalke 04 sensationell den Europapokal, genau eine Woche danach Borussia Dortmund die Champions League. Was ist von der schönen Erinnerung an die magischen Tage im Mai 1997 geblieben?

Von Matthias Friebe | 20.05.2017
    FC Schalke 04 holt 1997 sensationell den Europapokal, Dortmund gewinnt die Champions League
    Der FC Schalke 04 (re.) holt 1997 sensationell den Europapokal, Dortmund gewinnt die Champions League. (imago/dpa)
    "Der FC Schalke ist Sieger im UEFA-Pokal 1996/97. Ich darf mich jetzt nicht selber übertreiben. Es ist ein unglaublicher Augenblick."
    Der größte Tag in der damals über 90-jährigen Vereinsgeschichte des Gelsenkirchener Vorort-Vereins Schalke 04. Europapokalsieg beim großen Favoriten, der mit Stars gespickten Mannschaft von Inter Mailand.
    "Das ist das Größte, was ich bisher mitgemacht habe, von der Euphorie, vom Ganzen. Mit einer Mannschaft, der man das auch nicht zugetraut hat", erinnert Mannschaftskapitän Olaf Thon an die Mannschaft, die erst 1991 wieder in die Bundesliga aufgestiegen ist. Jahre des Neuaufbaus und der Etablierung im unteren Mittelfeld der Bundesliga folgten, ehe im Sommer 1996 mit Platz drei zum ersten Mal wieder nach 19 Jahren der Einzug in den Europapokal gelang. An die enorme Bedeutung dieses Erfolgs vor allem für die leiderprobten Fans erinnert sich Verteidiger Mike Büskens:
    "Es war ja auch ein Sieg für die Leute und natürlich auch für uns Spieler. Du hattest ja auch eine lange Durststrecke."
    Geschichte der Schalker: Mehr Tiefen als Höhen
    1958 der letzte deutsche Meistertitel, danach Krisen und mehrere Abstiege. Die Geschichte der Schalker mit mehr Tiefen als Höhen, jetzt aber endlich Europa. Doch diese neue, so herbeigesehnte Saison, begann ganz anders als erwartet. Zwar überstand Schalke die erste Runde im UEFA-Pokal, in der Liga aber musste Trainer Jörg Berger nach nur zwei Siegen aus acht Spielen seinen Hut nehmen.
    "Der hat uns aus dem Dreck rausgeholt und jetzt setzt man den Stuhl vor die Tür. Eine Schweinerei ist das doch."
    Der Zorn war groß im Pott, hier wo der Fußball malocht und wo das Spiel auf dem Rasen mehr als nur identitätsstiftend ist. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist der Fußball Halt und Stütze. Auch dann, wenn sich viele fragen, wo es noch Arbeit geben wird, wenn die Zechen geschlossen werden. Gut dreißig Kilometer weiter östlich, in Dortmund war man schon – so wie es heute immer noch ist – einen Schritt weiter. Die letzte Zeche dort wurde schon Ende der 80er Jahre geschlossen, der Strukturwandel war etwas weiter fortgeschritten. Und auch sportlich war der große Revierrivale Borussia Dortmund den Schalkern voraus. Nach zuvor ebenfalls langer Durststrecke gelang dem BVB 1995 und 1996 der Gewinn der Deutschen Meisterschaft.
    "Die Schalker haben uns einen Gefallen getan und haben zu Hause gegen Bayern München 2:1 gewonnen und dadurch durften dann wir unsere zweite deutsche Meisterschaft feiern."
    Beide Revierclubs in Europa unterwegs
    Dortmunds Youngster Lars Ricken über den Meistertitel 1996, zum zweiten Mal in Folge durfte der BVB in der Königsklasse, in der Champions League antreten. Beide Revierclubs in Europa unterwegs, Balsam auf die Seele vieler Fans. Im Gleichschritt spielten sich BVB und S04 Runde für Runde weiter, bis zum Höhepunkt im Mai.
    "Guten Abend, liebe Zuschauer und willkommen daheim im Giuseppe-Meazza-Stadion, in dieser Stimmungshölle von Mailand."
    Zuerst der UEFA-Cup. Schalke mit dem neuen Trainer Huub Stevens war mit einem 1:0-Heimsieg aus dem Hinspiel nach Mailand gereist.
    "Eine Hand am Pott, dieser Satz ist ja schon Kult im Ruhrgebiet. Problem: wie kriegen wir die zweite dran?", fragt Kult-Kommentator Werner Hansch, selbst Kind des Ruhrgebiets. Die Antwort: In einem dramatischen Spiel, dass in die Verlängerung gehen musste, denn in der 85. Minute markierte Mailands chilenischer Stürmerstar Ivan Zamorano das 1:0 und glich damit das Hinspielergebnis aus. Doch auch nach 120 Minuten war noch keine Entscheidung gefallen. In dieser Mainacht sollte es die durch ein Elfmeterschießen geben.
    "Anderbrügge gegen Pagliuca. Jaaaa, 1:0 Schalke" – "Gehalten, Jens Lehmann gehalten" – "Drin das Ding, der FC Schalke hat es."
    4:1 im Elfmeterschießen, Schalke war UEFA-Pokalsieger. Bis heute erinnert man sich an die "Eurofighter"-Generation auf Schalke.
    "Wir schlugen Roda, wir schlugen Trabzon, wir schlugen Brügge sowieso, Valencia, Teneriffa, Inter Mailand, das war ne Show."
    Eine mindestens genauso große Show legte Revierrivale Borussia Dortmund hin. Souverän durch die Gruppenphase wurde erst AJ Auxerre im Viertelfinale besiegt, dann in zwei dramatischen Partien Englands Meister Manchester United, ehe im Finale, ausgerechnet in München, der Titelverteidiger wartete. Juventus Turin.
    "Wir waren ein Mittelklassewagen und Juve sicher der Rolls Royce"
    "Juve war natürlich die Mannschaft zu dieser Zeit, da gab‘s nichts Besseres. Ich würde mal sagen, wir waren ein Mittelklassewagen und Juve sicher der Rolls Royce."
    Lacht Karl-Heinz Riedle zurückblickend. Der BVB-Stürmer, der selbst drei Jahre in Rom gespielt hatte, war maßgeblich am Sieg seines Teams beteiligt.
    "2:0 für Borussia Dortmund, der Torschütze Kalle Riedle"
    Binnen fünf Minuten sorgte er mit zwei Toren für eine beruhigende Halbzeitführung. Als Juve nach dem Seitenwechsel aber noch einmal zurückkam, den Anschlusstreffer markierte und das Spiel zu kippen drohte, wechselte Trainer Ottmar Hitzfeld Youngster Lars Ricken ein:
    "Möller, Ricken, Ricken. Lupfen jetzt. Jaaaaa. Fünf Sekunden auf dem Platz, fünf Sekunden."
    Nur eine Woche nach den Schalkern war auch Borussia Dortmund an Europas Spitze angekommen. Auch der zweite Pott war im Pott, das ganze Ruhrgebiet in Ekstase. Doch was bleibt außer der schönen Erinnerung an die für viele magischen Tage im Mai 1997? Zunächst die großen Stadien. Dortmund baute sein Stadion zum größten in Deutschland aus, Schalke erfüllte sich den Traum einer modernen Hightech-Arena.
    "Also ich finde das einfach atemberaubend. Als jemand, der fußballbegeistert ist und in dieses Stadion kommt, der ist einfach einen Moment benommen."
    So der damalige NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement bei der Eröffnung. Sportlich versuchen beide Clubs sich in Europa zu etablieren und Bayern in der Bundesliga Paroli zu bieten. Das gelingt Schalke 2001 fast. Für vier Minuten war der Club Deutscher Meister, drei DFB-Pokalsiege können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bis ganz nach vorne noch immer nicht reicht. Etwas besser ist der BVB dran trotz Größenwahn und Börsengang und darauffolgendem Totalabsturz mit existenzbedrohendem Ausmaß. Drei Meisterschaften in der Bundesliga und der Einzug ins Champions-League-Finale 2013 unter Trainer Jürgen Klopp:
    "Bayern macht zwei Tore, wir machen eins. Ich brauche jetzt noch einen Moment, bis ich den Stolz wieder fühle, der sicher auch noch irgendwo in mir schlummert."
    Auch heute ist der Strukturwandel noch lange nicht abgeschlossen, die Arbeitslosenquote doppelt so hoch wie im Bundesschnitt. 2018 ist es mit der Steinkohle endgültig vorbei, eins aber kann man den traditionsliebenden Fans nicht mehr nehmen, die Erinnerung an den Mai 1997.
    "Ich darf mich jetzt nicht selber übertreffen, aber es ist unglaublich."