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"Dresden bekennt Farbe über alle demokratischen Kräfte"

Dirk Hilbert, Erster Bürgermeister Dresdens, sagt, dass die Demokratie es aushalten müsse, dass der Jahrestag der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg auch von Neonazis für Kundgebungen genutzt werde. Wichtig sei, dass auch künftig alle demokratischen Kräfte zusammenhalten, so der FDP-Politiker.

Dirk Hilbert im Gespräch mit Jürgen Liminski | 14.02.2012
    Mario Dobovisek: In Dresden haben gestern Abend mehrere Tausend Menschen an die Bombardierung der Stadt vor 67 Jahren erinnert. Mit einer Menschenkette rund um die Altstadt setzten sie zugleich ein Zeichen gegen Rechtsextremismus, denn Neonazis missbrauchen das Gedenken seit Jahren für ihre Propaganda. Zwischen Gedenken, Schuldfragen und Instrumentalisierung des Gedenkens steht die Politik. Mein Kollege Jürgen Liminski sprach mit dem Ersten Bürgermeister der Stadt Dresden, mit dem liberalen Politiker Dirk Hilbert. Seine erste Frage lautete: Wäre es für die Behörden nicht das einfachste, alle Demonstrationen an diesem Tag zu verbieten?

    Dirk Hilbert: Auf Ihre Frage, was das Versammlungsrecht angeht, können wir feststellen, in unserer Verfassung ist gerade das Grundrecht auf Versammlung ein ganz, ganz hohes Gut, und deswegen hat es ja auch verschiedenste Versuche in verschiedensten Städten der Republik gegeben, Versammlungen zu verbieten, die vor Gericht gescheitert sind. Die Demokratie muss es aushalten.

    Jürgen Liminski: So wie die Diskussion über Rechtsextremismus und Naziterrorismus derzeit läuft, könnte man aber doch wenigstens die Nazidemo verbieten.

    Hilbert: Auch hier gilt zunächst das Recht auf Versammlungsfreiheit, und ich glaube und ich habe es auch in meiner Rede gesagt, Verbieten löst das Problem nicht. Es gilt, nicht nur Protest jetzt für Dresden am 13. Februar zu machen, sondern jeden Tag jeder Mensch an seinem Ort.

    Liminski: Es bleibt eine Gratwanderung. Was tut denn die Stadt sozusagen proaktiv, um die Würde der Opfer zu wahren?

    Hilbert: Dresden hat sich zusammengeschlossen in einer Arbeitsgruppe 13. Februar. Mitglieder dieser Arbeitsgruppe sind alle demokratischen Kräfte, sind wichtige Institutionen, die Kammern, Kultureinrichtungen, Bürgervereine, die gemeinschaftlich zusammenarbeiten, wie können wir ein bürgerschaftliches Engagement in dieser Stadt aufbauen. Und ich glaube, der Arbeitsgruppe ist es sehr gut gelungen, dieses Jahr unter dem Motto "Mit Mut, Respekt und Toleranz - Dresden bekennt Farbe" verschiedenste Veranstaltungen vorzubereiten. Prominenteste ist die Menschenkette, die wieder 13.000 Teilnehmer aufbringen konnte. Am nächsten Samstag wird es eine gemeinsame Kundgebung aller demokratischen Kräfte geben. Nach der Menschenkette wurde zum stillen Gedenken auf den Neumarkt eingeladen, vor der Frauenkirche, wo jeder Dresdner eine Kerze in ein Sandbild stellen konnte, und das freut mich am meisten, wenn wir hineinschauen, wie viele Aktivitäten von Kirchen, von Kultureinrichtungen, von Unternehmen, von Verbänden stattfinden, wo wirklich ein breites, auch selbsttragendes bürgerschaftliches Engagement stattfindet.

    Liminski: Die Erinnerung bleibt also lebendig. Ursächlich Schuld an der Bombennacht war der Naziterror, daran gibt es keinen Zweifel. Aber war der Bombenterror auf Zivilisten eine angemessene Antwort zu diesem Zeitpunkt des Krieges? Diese Frage stellen sich ja auch viele Leute heute noch.

    Hilbert: Zunächst denken wir in Dresden nicht nur an die Opfer des Bombenangriffes auf unsere Stadt, sondern aller Opfer des Zweiten Weltkrieges, und man kann jetzt sogar sagen auch gerade tagesaktuell aller Kriege, denn das ist nicht nur ein Phänomen des Zweiten Weltkrieges, sondern wir sehen es an anderen Orten dieser Welt tagtäglich. Die Frage möchte ich so beantworten: Welcher Angriff auf Zivilpersonen ist jemals gerechtfertigt?

    Liminski: Gibt es ein Konzept der Stadt, wie man in den kommenden Jahren, vor allem 2015, mit diesem Gedenktag umgehen will?

    Hilbert: In den vergangenen Jahren hat sich die Menschenkette als ein starkes Symbol herausgestellt, immerhin auch dieses Jahr wieder 13.000 Bürgerinnen und Bürger, die auf die Straße gegangen sind. Ich glaube, das Wichtigste - und das hat dieses Jahr gezeigt in der Vorbereitung -, wenn alle demokratischen Kräfte zusammenhalten, ist das ein ganz wichtiges Gut, woran wir auch in den nächsten Jahren unbedingt festhalten müssen. Aber ich glaube, es ist völlig weltfremd, wenn wir heute schon sagen, wie sieht das Gedenken im Jahre 2015 aus. Die Welt ist so schnelllebig, dass es wichtig ist, Dresden bekennt Farbe, Dresden bekennt Farbe über alle demokratischen Kräfte, und das nicht nur am 13. Februar. Das ist unser Ziel.

    Dobovisek: Dresdens Erster Bürgermeister Dirk Hilbert. Die Fragen stellte mein Kollege Jürgen Liminski.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.