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Dreßler geht mit SPD hart ins Gericht

Der SPD-Politiker Rudolf Dreßler hat in der Agenda-2010-Debatte scharfe Kritik an Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) geübt. Er könne nicht verstehen, "wie ein federführender Minister sich so bockig, so widerspenstig verhalten kann bei einer Sachlage, die völlig klar ist", sagte Dreßler zum Widerstand Münteferings gegen einen längeren Bezug von Arbeitslosengeld I für Ältere.

Moderation: Christian Schütte | 05.10.2007
    Christian Schütte: Deutschland in Richtung Zukunft steuern - das wollte der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 und den damit verbundenen Hartz-Gesetzen erreichen. Große Teile seiner Partei haben diese Reformen nur ungern mitgetragen, weil sie nicht in ihr traditionelles Verständnis von Sozialdemokratie passten. Der alte Unmut ist wieder aufgebrochen. Viele, darunter Parteichef Kurt Beck, wollen beim Arbeitslosengeld I nachbessern. Vor allem für ältere Arbeitslose seit die Bezugsdauer zu knapp bemessen. Arbeitsminister Müntefering dagegen lehnt eine Abkehr von der Agenda 2010 ab. ( MP3-Audio , Bericht von Frank Capellan)

    Mitgehört hat Rudolf Dreßler von der SPD, Experte für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Guten Morgen, Herr Dreßler!

    Rudolf Dreßler: Guten Morgen!

    Schütte: Wird die SPD die Agenda 2010 auf dem Hamburger Parteitag abschaffen?

    Dreßler: Sie wird sie mit Sicherheit nicht abschaffen. Aber sie wird das machen nach meiner Einschätzung, was ich eine Korrektur nenne aus Erfahrung. Das Ding läuft jetzt einige Zeit. Man hat gesehen, was man da angerichtet hat. Die Ergebnisse sind aus meiner Sicht nicht befriedigend, ganz höflich formuliert, sondern sie sind korrekturbedürftig. Und das wird man machen. Dass alleine aus dieser Debatte, eine Zahlung des Arbeitslosengeldes von 12 Monaten auf 18 Monate, so eine Grundsatzdebatte entsteht, zeigt, wie schwierig die Partei sich selbst in diese Lage gebracht hat. Da werden ja von Leuten, die überhaupt keine Ahnung haben, was ein Leben mit Hartz IV bedeutet, innerhalb der SPD Thesen vertreten, wo man nur noch den Kopf schütteln kann. Als ob nun jemand, der statt 12 Monate 15 Monate Arbeitslosengeld bezieht, die Konjunktur gefährdet. Das ist ja so was von lächerlich, was man da hört, dass man nur noch den Kopf schütteln kann. Das einzig Positive an dieser Debatte ist, dass endlich mal wieder Sozialpolitik im Streitpunkt der Bundespolitik steht, dass das nicht einfach übergegangen wird, sondern dass das mal wieder zum zentralen Thema der Auseinandersetzung geworden ist. Das ist das einzig Positive.

    Schütte: Parteichef Kurt Beck, aber auch andere werden nicht müde zu betonen, man wolle eine Weiterentwicklung. Faktisch handelt es sich dabei um eine Rücknahme und damit um die Abkehr von der Agenda 2010. Warum traut sich das keiner zu sagen in der SPD?

    Dreßler: Dieses ist mir auch schleierhaft. Ich nenne das auch gar nicht Abkehr, und ich nenne das auch gar nicht Weiterentwicklung. Beides ist es ja nicht. Sondern es ist die Korrektur eines einzigen Vorganges, also eine Winzigkeit. Dass daraus so ein Streit entsteht um Begriffe, macht ja das ganze Dilemma der Sozialdemokratie in diesen Monaten deutlich. Wenn man die Erfahrung gemacht hat, dass man einen Fehler gemacht hat, dann muss man in der Politik auch öffentlich sagen, jawohl, wir haben diesen Fehler gemacht. Wir stehen dazu. Wir haben jetzt die Erkenntnis gewonnen, das korrigieren zu müssen. Also nenne ich es Korrektur eines Fehlers, den ich gemacht habe. Was ist daran dramatisch?

    Schütte: War die Agenda 2010 insgesamt ein Fehler?

    Dreßler: Also insgesamt war sie sicherlich kein Fehler, sondern es waren Teile in diesem Konzept, die einfach unwürdig waren für sozialdemokratische Politik. Und die Begründungen, die dann nachgeliefert wurden, waren es ja genauso. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass heute behauptet wird, dass unter andere, dieser Vorgang die Kürzung des Arbeitslosengeldes einen Aufschwung bewirkt habe, dann kann ich mich nur noch an den Kopf fassen. Wenn nach fünf Jahren Zurückhaltung von Investitionen in Maschinen und Gebäuden dann endlich nachgelegt wird, dann ist das doch keine Überraschung. Die Exporte, die wir erfolgreich seit vielen, vielen Jahren in Deutschland praktizieren, also unsere Exportpolitik, die hat doch mit Hartz IV überhaupt nichts zu tun. Da werden Dinge zusammengerührt, die sind einfach verheerend.

    Schütte: Die SPD will stärker fördern beim Arbeitslosengeld I. Wo bleibt der zweite Teil der viel beschworenen Formel, nämlich das Fordern?

    Dreßler: Also wir haben heute, wenn Sie sich das praktisch anschauen innerhalb der Arbeitslosengeldzahlungsgesetzgebung, da haben wir Kontrollen. Die haben wir immer gehabt. Wenn ein Mensch einen angebotenen Job ablehnt, dann kann er, dann muss er sogar eine Sperre des Arbeitslosengeldes erwarten dürfen. Unser Hauptproblem hat immer darin bestanden, dass diese Ablehnungen dieses Angebotes von den Unternehmen, bei denen abgelehnt wurde, nicht weitergeleitet wurden an die Bundesanstalt für Arbeit früher und heute Bundesagentur. Das bedeutet, die Mechanismen, Leute zu fordern, dass sie dann auch sich im Arbeitsmarkt bewegen, hatten wir, und die haben wir. Das kann nicht an der Verlängerung des Arbeitslosengeldes liegen.

    Schütte: Sie haben vorhin schon Hartz IV angesprochen. Immer mehr Deutsche klagen gegen Hartz-IV-Leistungen. Zeitweilig hat jeder Zweite Recht bekommen. Sollten Nachbesserungen nicht gleich beim Hamburger Parteitag mit erledigt werden?

    Dreßler: Also wenn generell beschlossen wird, dass nachgebessert werden muss, also korrigiert werden muss, da wo Fehler gemacht sind, dann ist das ein Grundsatzbeschluss. Und dann muss Politik sich um die Details kümmern. Aber darum geht ja der Streit in der SPD. Wird dieser Beschluss gefasst oder nicht. Und meine Voraussage ist, wenn die SPD denjenigen folgen würde, die eine Korrektur der Fehler, die gemacht worden sind, ablehnt, dann wird sie Probleme bekommen. Dann werden die augenblicklichen Umfragergebnisse mit Sicherheit nicht das letzte Wort sein.

    Schütte: Franz Müntefering ist einer, der Änderungen an der Agenda 2010 ablehnt. Steht er nicht mehr für die SPD?

    Dreßler: Ob er noch für die SPD steht, steht für mich nicht zur Debatte. Sondern für mich steht zur Debatte, dass ich nicht verstehe, wie ein federführender Minister sich so bockig, so widerspenstig verhalten kann bei einer Sachlage, die völlig klar ist. Und wie er sich noch darüber hinaus in der Partei sich seinem Parteivorsitzenden gegenüber verhält, das ist eine andere Frage. Eine Geschmacksfrage, die er selber klären muss.

    Schütte: Die SPD nähert sich mit dem Vorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes an, aber auch von der anderen Seite kommen Konzepte. Herr Rüttgers hat seinen Entwurf aus dem vergangenen Jahr wieder ins Spiel gebracht. Entdeckt die Union abermals ihre sozialdemokratische Ader?

    Dreßler: Also wenn sich beide in diesem Streit auf Verbesserungen, sprich Korrekturen, an diesem System verständigen, kann das ja nur positiv sein. Ich habe damals vor einem, Jahr als Sozialdemokraten, führende Sozialdemokraten inklusive des SPD-Vorsitzenden, über Rüttgers hergefallen sind, davor gewarnt, sich einer solchen Strategie zu öffnen, weil ich glaubte, dass Rüttgers das Problem instinktiv oder sogar kalt überlegt richtig angepackt hat. Und wenn beide diese Korrektur, also Rüttgers jetzt und Beck, zumal noch in einer Koalition sitzend, erkennen, dann kann es verdammt noch mal kein Problem sein, diese winzige Korrektur in diesem Gesetz dann auch durchzuführen und sich nicht weiter um irgendwelche Details zu streiten.

    Schütte: Die Vorstellungen gehen aber eben noch auseinander. Beispielsweise will die Union die Bezugsdauer für Ältere verlängern, bei den Jüngeren dafür kürzen. Ist das mit der SPD zu machen?

    Dreßler: Also dieses wird mit Sicherheit mit den Sozialdemokraten, das schätze ich so ein, nicht zu machen sein. Aber ich habe bereits gelesen und gehört, dass selbstverständlich Rüttgers auf der einen Seite und andere in der CDU auch darüber bereit sind zu reden. Also wird sich mit Sicherheit ein Kompromiss finden lassen. Man kann ja nicht die eine Ungerechtigkeit mit einer neuen Ungerechtigkeit verbinden, um Korrekturen zu machen. Und wer das Geld hat, weitere 6 Milliarden Unternehmenssteuer zu senken, der wird ja wohl noch in der Lage sein, darüber zu diskutieren, wie ich diese 500 Millionen, die das ungefähr kosten wird, finanziere.

    Schütte: Herr Dreßler, Sie haben bei einem früheren Interview gesagt, Sie würden in Erwägung ziehen, aus der SPD aus- und in die Linke einzutreten. Bleiben Sie nun doch den Sozialdemokraten erhalten?

    Dreßler: Also unabhängig davon, dass ich diesen Satz nicht gesagt habe, sondern ich habe gesagt, man soll niemals nie sagen auf eine entsprechende Frage, ist es so, dass ich zurzeit mich natürlich aufrege über die Politik meiner Partei, aber einen Parteiwechsel zurzeit nicht Erwägung ziehe.

    Schütte: Wird denn mit den Änderungen, mit den möglichen Änderungen an der Agenda 2010 die Abgrenzung zur Linken gelingen?

    Dreßler: Eine Abgrenzung zur Linken wird damit mit Sicherheit nicht gelingen, sondern es wird ein Schritt in eine, wenn es denn so käme, wie ich finde, richtige Richtung getan. Ob damit die SPD sich von ihren Problemlagen erholt hat, das wage ich zu bezweifeln. Da muss sie noch weitere Schritte tun. Da muss sie endlich wieder Sozialpolitik, die zu den Kernelementen deutscher Gesellschaftspolitik gehören, verkaufen, damit die Leute sich damit identifizieren können. Das ist mit einem solchen einzelnen Schritt mit Sicherheit nicht zu machen.

    Schütte: Rudolf Dreßler, SPD-Mitglied und ehedem führender Sozialpolitiker seiner Partei. Ich danke für das Gespräch.

    Dreßler: Wiederhören.