Jürgen Zurheide: Herr Dreßler, zunächst einmal: In der Industrie heißt es ja manchmal, wenn man Fehler gemacht hat: Wir haben verstanden, wir ändern was. Wenn Sie sich den Parteitag gestern noch mal vor Ihr Auge führen – hat die SPD verstanden?
Rudolf Dreßler: Wenn ich die Diskussionsbeiträge der Delegierten werte und das mit der Rede des neuen Parteivorsitzenden verknüpfe, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass dort sehr wohl verstanden worden ist, was die Ursachen und was die Motive der Wählerinnen und Wähler waren, am 27. September der SPD diese vernichtende Abstimmungsniederlage zu bescheren. Das kann man so sagen.
Zurheide: Es hat ja in vielen Redebeiträgen gestern eine Rolle gespielt, dass es offensichtlich eine große Distanz zwischen Parteiführung und Basis gegeben hatte. Das hat natürlich zwei Aspekte: Das hat einmal den Aspekt, dass die Führung möglicherweise nicht immer mitbekommen hat, was die Basis will; das hat allerdings natürlich auch den Aspekt, dass die Basis auf Parteitagen oder wo auch immer man sich äußern konnte, man vielleicht zu viel mitgemacht hat. Wie ordnen Sie das zu, das Verhältnis von Basis und Führung?
Dreßler: Es hat wohl beides eine Rolle gespielt, denn der neue Parteivorsitzende Gabriel hat zu Beginn seiner Rede eine wichtige Feststellung gemacht – dass er sich zu seiner politischen Verantwortung bekenne, denn er sei die letzten elf Jahre immer dabei gewesen. Ich sage es mal mit meinen Worten. Das war eine wichtige Feststellung, die man vom ausscheidenden Parteivorsitzenden nicht gehört hat, und zwar zu keinem Zeitpunkt gehört hat. Die hat man auch noch nicht vom neuen Fraktionsvorsitzenden gehört, von Steinmeier, der heute Morgen reden wird. Wir werden sehen, wie er das nun formuliert, seine eigene, politische Verantwortung für die letzten elf Jahre. Gabriel hat das in einen, glaube ich, wichtigen Satz, in eine wichtige Feststellung gekleidet, er hat gesagt, dass die SPD sich in der Vergangenheit der herrschenden Meinung der neoliberalen Wirtschaftspolitik angepasst habe und hat sich da mit einbezogen, und dass dieses offensichtlich – das ist ja der Analogieschluss – ein Fehler war.
Zurheide: Kommen wir mal zu so einem Satz, der natürlich auch belegt ist. Gibt es so etwas wie linke Wirtschaftspolitik? Gerhard Schröder hat das mal bestritten. Sie haben es immer anders gesehen. Was glauben Sie, wie die SPD sich da entwickeln wird bei so einem Satz?
Dreßler: Ich hielt und halte diesen Satz, um es höflich zu sagen, für Quatsch. Es ist nichts anderes als eine rhetorische Floskel. In dem Moment, wo die FDP ihre wirtschaftspolitischen Leitideen kundtut, die CDU, CSU, alle Parteien und damit auch die SPD, werden Unterschiede erkennbar, und diese Unterschiede, die machen nun genau den Inhalt aus, den dann die christdemokratische, die freidemokratische oder die sozialdemokratische Philosophie von Wirtschaftspolitik beinhaltet. Die Parteien prügeln sich ja nicht umsonst auf diesem Felde. Gerade jetzt, bei der Regierungserklärung, war ja dieser Punkt der Wirtschaftspolitik im Verbund mit der Finanzpolitik einer der größten Auseinandersetzungspunkte innerhalb der Redezeit des Deutschen Bundestages. Und da von gut oder schlecht zu sprechen und nicht von jetzt parteipolitisch untermauerter Grundphilosophie einer Wirtschaftspolitik, dieses halte ich, wie Schröder es formuliert hat, für völligen Quatsch. Tatsache ist nur eins, dass in einer überbordenden Feststellung vorgeblich die Parteien einig seien, nämlich, dass wir eine marktwirtschaftliche brauchen, aber genau da setzen wieder die Auseinandersetzungen an. Die Regierung setzt offensichtlich auf den Markt, dass der alles regelt, und die SPD will laut Gabriel dagegen setzen – nicht die Freiheit des Marktes, sondern die Freiheit des Menschen.
Zurheide: Mich hat gestern sehr nachdenklich gestimmt ein Satz, den Martin Schulz gesagt hat. Die Beobachtung ist ja nicht falsch. Bei der SPD die Probleme haben wir gerade beredet; aber es gibt andere, tendenziell linkere Parteien in Europa, die haben andere programmatische Aussagen getroffen vor Wahlen als die SPD das hierzulande getan hat und sie haben dennoch verloren. Liegt es also möglicherweise doch nicht am Programm und an den Aussagen, sondern an etwas anderem? Und was könnte das sein?
Dreßler: Ich glaube, dass auch hier mehrere Faktoren eine Rolle spielen. Entscheidend ist für die SPD immer gewesen, nach meiner Wahrnehmung, ob sie glaubwürdig war mit dem, was sie erklärt hat, was sie beabsichtige. Diese Glaubwürdigkeit hat die SPD in den letzten Jahren verloren und zwar durch eigenes tun, nicht dadurch, dass sie von anderen bedroht oder die anderen in Konkurrenz zur SPD gegangen sind. Dieser Verlust von Glaubwürdigkeit berührt dann ein weiteres Feld, was für die SPD grundlegend ist – für andere Parteien zugegebenermaßen auch –, nämlich der Identitätsfaktor. Also, ich habe immer behauptet, die SPD hat ihre großen Erfolge der vergangenen Jahrzehnte mit der Identität in Sachen Gesellschaftspolitik erreicht. Da hat man ihr etwas zugetraut, da hat man ihr die Position abgenommen. Und diese sind verlorengegangen durch eigenes Regierungshandeln. Und das wieder aufzubauen, kann man natürlich nicht mit einer Rede auf dem Parteitag oder mit der Abwicklung eines Parteitages. Das ist ein sehr, sehr langer Prozess. Entscheidend ist nur, dass gestern der neue Parteivorsitzende einen ersten Schritt gemacht hat, um dieses wieder zu korrigieren, also die SPD zu einer alten Stärke, zu einer alten Vertrauenswürdigkeit, Glaubwürdigkeit zurückzuführen.
Zurheide: Nun arbeiten sich viele immer noch an der Agenda 2010 ab. Ich will nur mal einen Aspekt herausgreifen: diese Rente mit 67 – wo wir alle wissen, dass es in der Partei sehr schwierig ist, in der Bevölkerung auch. Auf der anderen Seite wissen wir auch, dass wir eine demografische Entwicklung haben, die sich verändert und dass es Antworten darauf braucht und die kann man nicht wegbeschließen. Wie kommt man damit klar?
Dreßler: Die Regierung hat damals – letztlich sogar auf Betreiben der SPD, das darf man nicht vergessen – eine sogenannte Option in dieses Gesetz integriert, nämlich, dass ab 2010, also ab dem nächsten Jahr, die Regierung jeweils, egal, wer sie stellt, gesetzlich verpflichtet ist, regelmäßig zu überprüfen, ob dieses Gesetz die Voraussetzungen geschaffen hat, um überhaupt auf diesen Weg zu gehen, nämlich die Integration älterer Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt. Wir wissen heute, dass keine 10 Prozent von Menschen, die das 65. Lebensjahr erreicht haben, noch in Beschäftigung sind. Und das bedeutet, dass die Regelung, wie die SPD sie gefunden hat, in der Wirkung nur eines kennt: die Rentenkürzung um 7,2 Prozent für die zwei Jahre, die zusätzlich gearbeitet werden soll, wenn die Leute vorher schon gehen müssen, bevor sie 67 sind, sogar über 7,2 Prozent, wenn sie schon mit 64, 63 oder 62 Jahren gehen. Und diese Bedrohung – so empfinden das Menschen – der Rentenkürzung ist das, was die SPD lösen muss. Sie muss nämlich den Humanisierungsfaktor, die Integration Älterer in den Arbeitsmarkt, wie es auch der Gesetzgeber in diesem Gesetz formuliert hat, muss sie lösen. Wenn sie das nicht tut, steht diese Rente mit 67 zur Disposition. Sie muss also nichts anderes machen, als ihren eigenen Gesetzesauftrag jetzt begleiten und verwirklichen und die Regierung anhalten, dieses auch selber zu tun. Dann hat sie Chancen, Veränderungen in dieses Gesetz hineinzubringen in den kommenden zwei Jahren, und sie hat Chancen, dass sie – bezogen auf die demografische Entwicklung – auch hier neue Identität entfalten kann.
Zurheide: Sind Sie wieder etwas näher an die SPD herangerückt, an das, was da jetzt passiert?
Dreßler: Ganz zweifelsfrei hat die Rede gestern, die hervorragend war und die mal sozialdemokratisch war – das hat man ja auch bei den Delegierten gemerkt –, diese Rede hat mit Sicherheit diesen ersten Schritt, der, ich sage mal, Wiederhinwendung zu einer Partei, die sozialdemokratisch genannt wird, bewirkt.
Rudolf Dreßler: Wenn ich die Diskussionsbeiträge der Delegierten werte und das mit der Rede des neuen Parteivorsitzenden verknüpfe, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass dort sehr wohl verstanden worden ist, was die Ursachen und was die Motive der Wählerinnen und Wähler waren, am 27. September der SPD diese vernichtende Abstimmungsniederlage zu bescheren. Das kann man so sagen.
Zurheide: Es hat ja in vielen Redebeiträgen gestern eine Rolle gespielt, dass es offensichtlich eine große Distanz zwischen Parteiführung und Basis gegeben hatte. Das hat natürlich zwei Aspekte: Das hat einmal den Aspekt, dass die Führung möglicherweise nicht immer mitbekommen hat, was die Basis will; das hat allerdings natürlich auch den Aspekt, dass die Basis auf Parteitagen oder wo auch immer man sich äußern konnte, man vielleicht zu viel mitgemacht hat. Wie ordnen Sie das zu, das Verhältnis von Basis und Führung?
Dreßler: Es hat wohl beides eine Rolle gespielt, denn der neue Parteivorsitzende Gabriel hat zu Beginn seiner Rede eine wichtige Feststellung gemacht – dass er sich zu seiner politischen Verantwortung bekenne, denn er sei die letzten elf Jahre immer dabei gewesen. Ich sage es mal mit meinen Worten. Das war eine wichtige Feststellung, die man vom ausscheidenden Parteivorsitzenden nicht gehört hat, und zwar zu keinem Zeitpunkt gehört hat. Die hat man auch noch nicht vom neuen Fraktionsvorsitzenden gehört, von Steinmeier, der heute Morgen reden wird. Wir werden sehen, wie er das nun formuliert, seine eigene, politische Verantwortung für die letzten elf Jahre. Gabriel hat das in einen, glaube ich, wichtigen Satz, in eine wichtige Feststellung gekleidet, er hat gesagt, dass die SPD sich in der Vergangenheit der herrschenden Meinung der neoliberalen Wirtschaftspolitik angepasst habe und hat sich da mit einbezogen, und dass dieses offensichtlich – das ist ja der Analogieschluss – ein Fehler war.
Zurheide: Kommen wir mal zu so einem Satz, der natürlich auch belegt ist. Gibt es so etwas wie linke Wirtschaftspolitik? Gerhard Schröder hat das mal bestritten. Sie haben es immer anders gesehen. Was glauben Sie, wie die SPD sich da entwickeln wird bei so einem Satz?
Dreßler: Ich hielt und halte diesen Satz, um es höflich zu sagen, für Quatsch. Es ist nichts anderes als eine rhetorische Floskel. In dem Moment, wo die FDP ihre wirtschaftspolitischen Leitideen kundtut, die CDU, CSU, alle Parteien und damit auch die SPD, werden Unterschiede erkennbar, und diese Unterschiede, die machen nun genau den Inhalt aus, den dann die christdemokratische, die freidemokratische oder die sozialdemokratische Philosophie von Wirtschaftspolitik beinhaltet. Die Parteien prügeln sich ja nicht umsonst auf diesem Felde. Gerade jetzt, bei der Regierungserklärung, war ja dieser Punkt der Wirtschaftspolitik im Verbund mit der Finanzpolitik einer der größten Auseinandersetzungspunkte innerhalb der Redezeit des Deutschen Bundestages. Und da von gut oder schlecht zu sprechen und nicht von jetzt parteipolitisch untermauerter Grundphilosophie einer Wirtschaftspolitik, dieses halte ich, wie Schröder es formuliert hat, für völligen Quatsch. Tatsache ist nur eins, dass in einer überbordenden Feststellung vorgeblich die Parteien einig seien, nämlich, dass wir eine marktwirtschaftliche brauchen, aber genau da setzen wieder die Auseinandersetzungen an. Die Regierung setzt offensichtlich auf den Markt, dass der alles regelt, und die SPD will laut Gabriel dagegen setzen – nicht die Freiheit des Marktes, sondern die Freiheit des Menschen.
Zurheide: Mich hat gestern sehr nachdenklich gestimmt ein Satz, den Martin Schulz gesagt hat. Die Beobachtung ist ja nicht falsch. Bei der SPD die Probleme haben wir gerade beredet; aber es gibt andere, tendenziell linkere Parteien in Europa, die haben andere programmatische Aussagen getroffen vor Wahlen als die SPD das hierzulande getan hat und sie haben dennoch verloren. Liegt es also möglicherweise doch nicht am Programm und an den Aussagen, sondern an etwas anderem? Und was könnte das sein?
Dreßler: Ich glaube, dass auch hier mehrere Faktoren eine Rolle spielen. Entscheidend ist für die SPD immer gewesen, nach meiner Wahrnehmung, ob sie glaubwürdig war mit dem, was sie erklärt hat, was sie beabsichtige. Diese Glaubwürdigkeit hat die SPD in den letzten Jahren verloren und zwar durch eigenes tun, nicht dadurch, dass sie von anderen bedroht oder die anderen in Konkurrenz zur SPD gegangen sind. Dieser Verlust von Glaubwürdigkeit berührt dann ein weiteres Feld, was für die SPD grundlegend ist – für andere Parteien zugegebenermaßen auch –, nämlich der Identitätsfaktor. Also, ich habe immer behauptet, die SPD hat ihre großen Erfolge der vergangenen Jahrzehnte mit der Identität in Sachen Gesellschaftspolitik erreicht. Da hat man ihr etwas zugetraut, da hat man ihr die Position abgenommen. Und diese sind verlorengegangen durch eigenes Regierungshandeln. Und das wieder aufzubauen, kann man natürlich nicht mit einer Rede auf dem Parteitag oder mit der Abwicklung eines Parteitages. Das ist ein sehr, sehr langer Prozess. Entscheidend ist nur, dass gestern der neue Parteivorsitzende einen ersten Schritt gemacht hat, um dieses wieder zu korrigieren, also die SPD zu einer alten Stärke, zu einer alten Vertrauenswürdigkeit, Glaubwürdigkeit zurückzuführen.
Zurheide: Nun arbeiten sich viele immer noch an der Agenda 2010 ab. Ich will nur mal einen Aspekt herausgreifen: diese Rente mit 67 – wo wir alle wissen, dass es in der Partei sehr schwierig ist, in der Bevölkerung auch. Auf der anderen Seite wissen wir auch, dass wir eine demografische Entwicklung haben, die sich verändert und dass es Antworten darauf braucht und die kann man nicht wegbeschließen. Wie kommt man damit klar?
Dreßler: Die Regierung hat damals – letztlich sogar auf Betreiben der SPD, das darf man nicht vergessen – eine sogenannte Option in dieses Gesetz integriert, nämlich, dass ab 2010, also ab dem nächsten Jahr, die Regierung jeweils, egal, wer sie stellt, gesetzlich verpflichtet ist, regelmäßig zu überprüfen, ob dieses Gesetz die Voraussetzungen geschaffen hat, um überhaupt auf diesen Weg zu gehen, nämlich die Integration älterer Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt. Wir wissen heute, dass keine 10 Prozent von Menschen, die das 65. Lebensjahr erreicht haben, noch in Beschäftigung sind. Und das bedeutet, dass die Regelung, wie die SPD sie gefunden hat, in der Wirkung nur eines kennt: die Rentenkürzung um 7,2 Prozent für die zwei Jahre, die zusätzlich gearbeitet werden soll, wenn die Leute vorher schon gehen müssen, bevor sie 67 sind, sogar über 7,2 Prozent, wenn sie schon mit 64, 63 oder 62 Jahren gehen. Und diese Bedrohung – so empfinden das Menschen – der Rentenkürzung ist das, was die SPD lösen muss. Sie muss nämlich den Humanisierungsfaktor, die Integration Älterer in den Arbeitsmarkt, wie es auch der Gesetzgeber in diesem Gesetz formuliert hat, muss sie lösen. Wenn sie das nicht tut, steht diese Rente mit 67 zur Disposition. Sie muss also nichts anderes machen, als ihren eigenen Gesetzesauftrag jetzt begleiten und verwirklichen und die Regierung anhalten, dieses auch selber zu tun. Dann hat sie Chancen, Veränderungen in dieses Gesetz hineinzubringen in den kommenden zwei Jahren, und sie hat Chancen, dass sie – bezogen auf die demografische Entwicklung – auch hier neue Identität entfalten kann.
Zurheide: Sind Sie wieder etwas näher an die SPD herangerückt, an das, was da jetzt passiert?
Dreßler: Ganz zweifelsfrei hat die Rede gestern, die hervorragend war und die mal sozialdemokratisch war – das hat man ja auch bei den Delegierten gemerkt –, diese Rede hat mit Sicherheit diesen ersten Schritt, der, ich sage mal, Wiederhinwendung zu einer Partei, die sozialdemokratisch genannt wird, bewirkt.