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Drill in Diemelstadt

Lothar Kannenberg, Leiter eines Trainingscamps im hessischen Diemelstadt-Rhoden, hält die Forderung einiger Politiker nach Erziehungscamps für kriminelle Jugendliche für überlegenswert. "Um sich überhaupt zurechtzufinden, braucht man auch eine gewisse Härte", sagt er.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 03.01.2008
    Dirk-Oliver Heckmann: Brauchen wir härtere Strafen für jugendliche Kriminelle? Müssen junge Ausländer, die gegen das Gesetz verstoßen, konsequenter abgeschoben werden? Und, brauchen wir so etwas wie Erziehungscamps für Intensivtäter, wie von Unionsfraktionschef Volker Kauder gefordert? Also Einrichtungen, die sich vergleichen lassen mit sogenannten Boot-Camps in den USA, in denen Druck und Drill herrscht, um die Jugendlichen auf den Pfad der Tugend zurückzuführen.

    Darüber diskutieren die Politiker in Deutschland seit dem brutalen Überfall auf einen Rentner in der Münchner U-Bahn. An vorderster Front Roland Koch, der um seine Wiederwahl als Ministerpräsident Hessens kämpft. Er muss sich allerdings auch den Vorwurf anhören, zum wiederholten Mal einen Wahlkampf auf Kosten von Ausländern zu betreiben.

    Am Telefon ist jetzt der Leiter einer Einrichtung, die man als Erziehungscamp light bezeichnen könnte. Er gründete das Boxcamp in Kassel und hat dafür die Bundesverdienstmedaille verliehen bekommen. Jetzt leitet er das sogenannte Trainingscamp im nordhessischen Diemelstadt-Rhoden, guten Morgen, Lothar Kannenberg.

    Lothar Kannenberg: Guten Morgen.

    Heckmann: Herr Kannenberg, was sind das für Jugendliche, die Sie in Ihrem Trainingscamp betreuen? Was haben die so auf dem Kerbholz?

    Kannenberg: Das sind Jugendliche, die Jugendhilfemaßnahmen, schon mehrere Maßnahmen durchhaben oder in Auslandsprojekten waren, wo nirgendwo was gefruchtet hat, wo man dann ganz einfach sagt, wenn ich den weiter auf der Straße rumlaufen lass, begeht er noch mal eine Straftat und wandert dann ins Gefängnis.

    Heckmann: Also so was wie ein Intensivtäter?

    Kannenberg: Wie ein Intensivtäter, genau, das sind Mehrfachtäter, ja.

    Heckmann: Und welche Straftaten bespricht man da?

    Kannenberg: Außer Mord war da alles dabei.

    Heckmann: Gewaltkriminalität in erster Linie?

    Kannenberg: Gewaltkriminalität steht natürlich sehr im Vordergrund und Raubüberfälle und was halt so ansteht, was jetzt gerade so passiert ist.

    Heckmann: Und sind diese Jungendlichen freiwillig da oder gezwungenermaßen bei Ihnen?

    Kannenberg: Also, es gibt natürlich einen Druck, und zwar ist das Jugendamt oder die Justiz, das heißt, U-Haft-Vermeidung haben wir ja auch, natürlich kriegen die dann gesagt, wo willst Du hin? Willst Du in das Heim, in das Heim, in das Heim oder willst Du ins Gefängnis oder wir haben anzubieten ein Trainingscamp und da musst du dich bemühen? Der Jugendliche entscheidet, okay, ich gehe ins Trainingscamp, ich weiß was auf mich zukommt, das heißt, ich muss den ganzen Tag was tun. Und so kommt er dann hier an mit der Entscheidung, die er vorher schon getroffen hat, was tun zu wollen.

    Heckmann: Wie viele ausländische Jugendliche haben Sie in Ihrer Einrichtung, und wie unterscheiden die sich von Ihren deutschen Altersgenossen, was den Umgang mit Gewalt angeht beispielsweise?

    Kannenberg: Ja, also das ist ungefähr die Hälfte ausländische Jugendliche, und Unterscheidungen gibt es da gar keine. Die unterscheiden sich gar nicht von den Delikten.

    Heckmann: Die haben auch keine speziellen Probleme?

    Kannenberg: Spezielle Probleme haben die eigentlich fast überhaupt keine, weil: Alle haben kein Ziel. Die bei mir sind, sind orientierungslos, und so verhalten sie sich auch.

    Heckmann: Jetzt hat der Innenminister Hessens Volker Bouffier gesagt, jugendlichen Gewalttätern sei nur mit einer harten Hand beizukommen. Hat er da Recht?

    Kannenberg: Ich sage es Ihnen mal anders, ich werde von meinen Jugendlichen hier akzeptiert, weil ich sehr konsequent bin. Und diese Konsequenz fordern sie regelrecht. Da ist endlich mal jemand, der mir eine Vorgabe macht. Und das hat den meisten Jugendlichen einfach gefehlt.

    Heckmann: Heißt das auch Härte, wenn jetzt die Vorgaben nicht erfüllt werden?

    Kannenberg: Härte ist ja immer dabei. Also im Grenzbereich gibt es auch eine gewisse Härte, so wie das ist im Leben, um sich überhaupt zurechtzufinden, braucht man auch eine gewisse Härte. Genauso brauchen wir aber auch einen weichen Teil und ich sage Ihnen mal: Unser Camp besteht zur Hauptsache aus Liebe, Wärme, Geborgenheit. Diese drei Teile, das sind die Teile, warum die Jugendlichen bei uns bleiben. Auf der anderen Seite schieben wir sie auch an, das heißt morgens aufstehen, Tagesstruktur durchhalten und die Umgangsformen, die für den täglichen Gebrauch gebraucht werden, einüben.

    Heckmann: Wie sieht denn so ein normaler Alltag für die Jugendlichen aus bei Ihnen?

    Kannenberg: Das heißt, 5 vor 6 aufstehen, 6 Uhr ist Frühsport, eine halbe, dreiviertel Stunde, 7 Uhr Frühstück, dann so um 7.30 Uhr alle Mann Zähne putzen, dann 8 Uhr gibt es entweder eine Sporteinheit oder raus und Campputz, dann um 10 Uhr Respekttraining, das wir täglich haben. Das ist wie eine Schulform, es werden Aufsätze geschrieben über Körperhygiene, über "Warum bin ich aus der Schule geflogen?" und, und, und. Das wird so ungefähr anderthalb Stunden sein, 12 Uhr Mittagessen, 12.30 Uhr bis 14 Uhr Mittagspause, dann kann es sein, dass wir ein Boxtraining haben oder Laufen, danach Arbeitseinsätze, die wir hier auch täglich haben, wir haben hier eine Hausschreinerei. Und 18 Uhr Abendessen, dann Zimmerputz, dann 19.30, Tagesreflektion, jeder Jugendliche schreibt über seinen Tag, wie er den empfunden hat, und um 20 Uhr gibt es meistens Gruppe, das heißt, wir sitzen dann alle Mann im Kreis zusammen und sprechen über die Probleme, die am Tag angefallen sind, 22.30 Uhr abends ist dann Nachtruhe.

    Heckmann: Sie haben, Herr Kannenberg, von dem Respekttraining gesprochen. Beeindruckt die Jugendlichen das, wenn die Respekttrainer dann sagen, du musst aber deinen Altergenossen hier beispielsweise mit Respekt behandeln?

    Kannenberg: Das Wort "muss" ist bei uns Index. Hier geht es um Wollen, ich will! Hier geht es auch darum, die Respekttrainer, wir haben ja von den Mitarbeitern, die ich hier habe, von 20,21 Mitarbeitern, sind 4,5 Mitarbeiter dabei, die so wie ich ihr Leben verändert haben, die selber Mal auf einer anderen Seite gestanden haben, die ihr Leben dann verändert haben. Und diese sind natürlich voll akzeptiert.

    Heckmann: Das heißt, Sie hatten selbst Probleme mit Gewalt und Drogen?

    Kannenberg: Ich selber war ja alkohol- und drogenabhängig und war ja auch sehr in Gewaltexzessen drin in meinen jungen Jahren und habe das dann irgendwann verändert. Ich bin auch im Getto groß geworden, ich bin aus der Schule ohne Abschluss geflogen, ich habe das eigentlich durchgelebt, und da ist die Akzeptanz ein bisschen größer.

    Heckmann: Und wie ist Ihnen das gelungen, aus diesem Teufelskreislauf rauszukommen?

    Kannenberg: Das hat zig Jahre gedauert bei mir, und ich habe immer wieder jemanden kennen gelernt, der wie mein Ziehvater war. Das ist eigentlich das, was ich jetzt praktiziere, ich bin für die Jugendlichen da, und das ist die Hauptsache. Ich habe Zeit für die Jugendlichen, ich höre hin. Das ist das, warum die Jugendlichen auch hier bleiben und sich hier wohl fühlen.

    Heckmann: Jetzt ist auf der anderen Seite von der Idee die Rede immer wieder, dass es ein Warnschussarrest geben solle, also bevor eine Bewährungsstrafe greift, sollen die Jugendlichen für ein paar Wochen ins Gefängnis, als Schnupperkurs sozusagen. Halten Sie das für eine gute Idee?

    Kannenberg: Also, nein, das wirkt nicht bei den meisten - kommt drauf an, was für Jugendliche das sind. Das wird für jemanden, der jetzt sich irgendeiner Gang anschließt und da Mal ein bisschen mitmacht und kriegt dann so was verpasst, da wird das vielleicht wirken, dass er da sich löst, aber von denen, die so eine Gang anführen, dann wirkt das überhaupt nicht. Die lachen sich darüber tot.

    Heckmann: Wenn Sie jetzt diese ganze Debatte verfolgen in den Medien, die ja möglicherweise nicht zufällig ins Ende des Wahlkampfes in Hessen fällt, wie erleben Sie die?

    Kannenberg: Ach, wie erlebe ich die? Es passiert was, wie das immer so ist. Erst wird halt diskutiert, und dann wird was rauskommen. Und ich sage halt immer, solange diskutiert wird, passiert halt nichts, gibt es keine Veränderungen. Und was da jetzt rauskommt, das kann ich Ihnen auch nicht sagen, das liegt ja nicht in meinen Händen. Aber ich bin überzeugt, dass die Arbeit, so wie wir sie hier machen in unserem Trainingscamp, genau das Richtige ist für gewisse Jugendliche. Und das wird auch für die Zukunft so sein.

    Heckmann: Lothar Kannenberg, der Leiter des Trainingscamps im nordhessischen Diemelstadt-Rhoden. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Kannenberg.

    Kannenberg: Ja, Wiederhören.