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Drogen im Dritten Reich
War Hitler ein Junkie?

Dass Adolf Hitler Medikamente und Drogen konsumiert haben soll, ist nichts Neues. Und auch Soldaten im Zweiten Weltkrieg haben Aufputschmittel genommen, um länger durchzuhalten. Doch wurden durch Drogen Hitlers Politik oder gar der Krieg beeinflusst? Der Schriftsteller Norman Ohler hat dem Drogenkonsum im Dritten Reich nachgespürt - mit sehr vagen Ergebnissen.

Von Martin Hubert |
    Blick in die Berliner Krolloper während der Reichstagssitzung am 6. Oktober 1939. Adolf Hitler zog in seiner Rede eine Bilanz des Polenfeldzugs und machte ein "Friedensangebot", das unter anderem die Annerkennung der deutschen Eroberungen vorausssetzte und somit wenige Tage später von Frankreich und Großbritannien abgelehnt wurde.
    In Führerreden wurden in der NS-Zeit immer wieder rauschhafte Erlebnisse in Szene gesetzt - lässt sich das mit Drogenkonsum in Verbindung bringen? (picture-alliance / dpa / UPI)
    "Unsere Partei, sie wollte eine wahrhaftige Weltanschauungspartei sein und zweitens, sie wollte daher kompromisslos die einzige Macht und die alleinige Macht in Deutschland."
    Adolf Hitler auf dem Reichsparteitag 1934 über die NSDAP.
    Der Führer, der im Jubel seiner Parteigenossen badet - die euphorisierte Masse, die sich eins mit dem Führer fühlt. In Massenaufmärschen und Führerreden wurden in der NS-Zeit immer wieder rauschhafte Erlebnisse in Szene gesetzt, die ideologischen Wahn mit Machtdemonstration verknüpften. Sie waren ein massenpsychologisches Mittel, um die Bewegung zu stabilisieren und zu motivieren. Lässt sich das mit einem Drogenrausch in Verbindung bringen? Der Berliner Schriftsteller Norman Ohler legt das nahe, wenn er in seinem Buch behauptet, dass sich die NS-Herrschaft auch auf Drogen stützte. Eine starke Behauptung, die er im Gespräch allerdings in gewissem Ausmaß relativiert:
    "Jede schriftliche Darstellung von etwas, was in der Vergangenheit zumal weit in der Vergangenheit liegt, kann immer nur eine Verzerrung sein. Das ist ja nicht das, was passiert ist, man stützt sich auf gewisse Daten, die man gesammelt hat und erzählt dann eine Geschichte, das ist immer eine Verzerrung und man kann sagen, jedes historisches Sachbuch ist im Grunde fiktional."
    NS-Gesellschaft als moderne Leistungsgesellschaft
    Tatsächlich wirft die Lektüre von Ohlers Buch von Anfang bis Ende eine Frage auf: Wofür sprechen seine Daten und wann wird aus Interpretation Fiktion? Ohler schildert etwa den recht liberalen Umgang mit Drogen in der Weimarer Republik und macht deutlich, dass die Reaktion der Nazis darauf keineswegs eindeutig und zum Teil sogar scheinheilig war. Einerseits brandmarkten sie den Drogengebrauch als nichtarisch und jüdisch zersetzend. Süchtige wurden in geschlossene Anstalten oder Konzentrationslager verbracht. Andererseits konnten deutsche Unternehmen weiterhin gute Geschäfte mit Drogen machen. Die SS experimentierte mit Mescalin, um Gefangenen Geheimnisse zu entlocken. Und die stimulierende Substanz Pervitin wurde nicht nur von Zivilisten eingenommen. Auch Offiziere und Soldaten nutzten sie etwa in den Blitzkriegen gegen Polen und Frankreich, um länger wach bleiben und die Aufgabe eines schnellen Durchmarsches bewältigen zu können. 35 Millionen Dosierungen Pervitin sollen der deutschen Wehrmacht 1940 zur Verfügung gestanden haben. Ohler zieht daraus folgenden Schluss:
    "Die NS-Gesellschaft ist ja eine moderne Leistungsgesellschaft. Und im NS-System wurden Drogen halt eingesetzt, um Leute funktionsfähig zu halten, beziehungsweise die Leute haben das ja auch selbst genommen, also sie haben sie auch selbst freiwillig genommen, es hat ja niemand den Zivilisten vor dem Krieg befohlen, jetzt Pervitin, Metamphetamin, zu schlucken, aber trotzdem haben es alle genommen, weil halt alle irgendwie dabei sein wollten, und fit sein wollten, das war ein Automatismus."
    Ohler will die Nazis noch einmal entlarven, indem er zeigt, dass sie ihre reine Ideologie vergaßen, wenn es um Effektivität ging. Dass die NS-Gesellschaft auch eine moderne kapitalistische Leistungsgesellschaft war, ist zwar richtig - aber in puncto Drogen geht diese Geschichte nicht ganz auf. Es gab auch dauerhaften Widerstand von NS-Funktionären gegen den Pervitingebrauch. Ab Juni 1941 wurde er daher per Reichsopiumgesetz stark eingeschränkt. Ohlers Behauptung, Pervitin sei "Nationalsozialismus in Pillenform" gewesen und hätte dem Einzelnen das Überleben in der Diktatur ermöglicht, ist daher schon faktisch gesehen eine Übertreibung. Weder nahmen alle in der NS-Zeit Drogen noch war der ideologische Wahn der Nazis mit dem Drogenrausch identisch.
    Theo Morell, Adolf Hitlers Leibarzt
    Theo Morell, Adolf Hitlers Leibarzt, verabreichte Hitler regelmäßig den heroinartigen Stoff Eukodal. (imago/United Archives International)
    Ähnlich zwiespältig ist auch der Eindruck von Ohlers Buch, wenn es um den Drogenkonsum von Adolf Hitler geht. Seit Langem ist bekannt, das Hitler von seinem Leibarzt Theodor Morell eine Unmenge von Spritzen erhielt. Zuerst enthielten sie Vitamine und Traubenzucker zur Stimmungsaufhellung, dann auch Hormonpräparate, und zum Schluss Eukodal, einen heroinartigen Stoff. Ohler hat den Nachlass von Theodor Morell ausgiebig studiert und präsentiert neue Befunde:
    "Gerade nach dem Attentat von Stauffenberg, da häufen sich die Eukodalbeigaben derart, dass man von junkieartigem Konsum sprechen kann, weil, da gibt es schwarz auf weiß zum Beispiel im September 1944 jeden zweiten Tag eine Eukodalspritze und wer das bekommt, der erfährt eine sehr starke Drogenwirkung und Morell schreibt häufiger, wie Hitler vor Treffen mit Generälen explizit das Eukodal verlangt hat, um sich in eine euphorische oder zuversichtliche Gesamtstimmung zu bringen. Das heißt, Hitler war auf jeden Fall, als es sehr schlecht aussah für ihn im Krieg, war er süchtig nach diesem Eukodal, nach diesem künstlichen geputschen Gefühl."
    Hat der Drogenrausch Hitlers Entscheidungen beeinflusst?
    Diese Daten legen tatsächlich nahe, dass Hitlers Drogenkonsum noch größer war, als bisher angenommen. Morell hatte seine Führerverbindung schließlich auch dazu genutzt, seine "Wundermittel" geschäftstüchtig zu vermarkten, etwa indem er sich zur Produktion Tierorgane aus der eroberten Ukraine sicherte. Allerdings gesteht Ohler selbst zu, zum Drogenkonsum Hitlers nur eine Indizienkette liefern zu können und keinen letzten Beweis. Viel entscheidender aber ist die Frage, was Ohler meint, wenn er von Hitlers Sucht spricht. Hat der Drogenrausch Hitlers Denken, Hitlers Entscheidungen, gar seine Schuld beeinflusst?
    "Ich finde, man kann bei Hitler sehr deutlich sehen, dass die ideologischen Motivation, seine politische Haltung, die Pläne und die verbrecherische Haltung, die ist sehr konstant, die ist von Anfang im Grunde an da und die ändert sich nicht. Aber die Drogen hatten den Effekt, dass in einer Situation, in der auch alle seine Berater, seine Generäle ihn zu ganz anderen Entscheidung geraten haben, weil halt die Realität mit dem verloren gehenden Ostfeldzug einfach bestimmte Entscheidungen eigentlich verlangt hätte, in diesen Situationen hat Hitler durchaus bewusst oder unbewusst zur Droge gegriffen, um sich in seiner künstlichen Wahnwelt, die aber schon lange vorher etabliert war, weiterhin zu behaupten und dadurch auch seinen Kurs nicht zu ändern."
    Ohlers Geschichte lebt von Suggestion
    Wenn die Drogen aber den ideologischen Wahn nicht verursachten, sondern höchstens stabilisierten - wo liegt dann der Erkenntnisgewinn von Norman Ohlers Buch? Will er andeuten, dass Hitler den verlorenen Krieg ohne Drogenkonsum früher beendet hätte?
    "Also ich kann das nicht sagen, ich meine, Krieg ist ein so hochkomplexes Feld und System und sicherlich haben die Drogen eine wichtige Rolle gespielt, aber es könnte auch sein, dass ohne die Drogen es ganz genauso verlaufen wäre, das könnte auch sein."
    Norman Ohler liefert einige interessante Daten, die das Kapitel "Nationalsozialismus" um das Puzzle "Drogen" ergänzen und ein weiteres mal Licht auf die Abgründe und die Verlogenheit dieses Systems werfen. Seine gut erzählte Geschichte lebt allerdings auch von der Suggestion, dass ohne Drogen in Nazideutschland manches anders hätte kommen können - das allerdings bleibt wirklich reine Fiktion.
    Norman Ohler: Der totale Rausch. Drogen im Dritten Reich. Mit einem Nachwort von Hans Mommsen, 363 Seiten, Kiepenheuer & Witsch 2015, 19,99 Euro.