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Drogenkonsum
Herzinfarkt eines Börsenmaklers

Diffuse Schmerzen im Bauchraum und ein winziger Harnleiterstein enden binnen weniger Stunden in einem Herzinfarkt – das Leben des 35 Jahre alten Börsenmaklers steht auf Messers Schneide. Wie sich herausstellt, hatte er regelmäßig Kokain konsumiert - mit verhängnisvoller Wirkung.

Von Mirko Smiljanic |
    Die Warenterminbörse New York Mercantile Exchange (Nymex) in New York City.
    Börsenmakler - ein stressiger Job. Manchen nehmen Kokain, um durchzuhalten. (imago/UPI Photo)
    Donnerstag, 23. Dezember 2010, letzter Handelstag an der Frankfurter Börse. Mit starrem Blick verfolgen Wertpapierhändler den Dax auf der riesigen Anzeigentafel, während draußen Bulle und Bär im Jahrhundertschnee versinken. Weihnachten, endlich Pause für Deutschlands Börsenmakler. Heiligabend bei der Familie mit Tannenbaum und Zimtsternen, Bratäpfeln und Lametta. Wunderbar! Wenn da nicht die höllischen Schmerzen wären.
    "Da kam ein junger Patient, 35 Jahre alt, mit einer Schmerzsymptomatik im Bauchraum linksseitig in unsere Notaufnahme."
    Berichtet Dr. Andreas Jerrentrup, stellvertretender Leiter der Notfallmedizin am Universitätsklinikum Marburg.
    "Er ist untersucht worden, der Patient, es ist eine Blutentnahme gemacht worden, eine Ultraschalluntersuchung und es ist zunächst nichts Wegweisendes gefunden worden. Der Patient hatte noch Schmerzen, war dann aber ungeduldig und ist, weil nichts gefunden wurde, zunächst wieder nach Hause gegangen."
    Entladen sich Stress und Hektik beim Börsenmakler im Moment beginnender Ruhe? Oder haben Stress und Hektik die Symptome einfach nur verdeckt?
    "Es gibt ganz, ganz viele Gründe, was eine Schmerzsymptomatik machen kann. Das kann von Luftansammlungen im Bauchraum sein bis eine kleine Entzündung, die von selber wieder weggeht oder viele, viele andere Dinge. Wir haben viele andere Patienten so um diese Zeit, wo die Hausarztpraxen zu sind, die mit Bauchschmerzen kommen und die meisten können auch ambulant verbleiben."
    Dachte auch der Börsenmakler.
    "Der hat schon gejammert und ein bisschen gelitten, war aber auch schon etwas echauffiert über die lange Wartezeit in der Notaufnahme."
    Schwierige Situation selbst für erfahrene Notfallmediziner
    Das Uniklinikum Marburg sortiert seine Notfallpatienten nach Farben: Harmlose Fälle bekommen Blau oder Grün, schwerere Gelb oder Orange, lebensbedrohliche Rot. Der Börsenmakler changiert zwischen Blau und Grün. Er fährt zurück durchs tief verschneite Marburg zu seinen Eltern – und steht am zweiten Weihnachtstag wieder in der Notaufnahme: Die Schmerzen sind schlimmer denn je, was ihn zu einem mittelschweren Fall mit der Farbe Gelb macht. Es wird eine Computertomografie angeordnet.
    "In dieser Computertomografie ist dann ein Befund entdeckt worden, ein ganz, ganz kleiner Befund, vier Millimeter groß nur, und zwar im linken Harnleiter, ein sogenanntes Konkrement, letztendlich eine Kalkablagerung im Harnleiter, ein Harnleiterstein. Und der war natürliche eine gute Erklärung für die Schmerzsymptomatik. Der war so klein, dass er im Ultraschall nicht gesehen werden konnte."
    Die Ärzte legen eine kleine Schiene in den Harnleiter, um die Niere zu entlasten, der Börsenmakler rückt auf die Notfallkategorie Orange. Alles gut? Leider nein! Was jetzt geschieht, erleben auch erfahrene Notfallmediziner nicht häufig: Binnen weniger Minuten steigt die Herzfrequenz dramatisch an, während gleichzeitig der Blutdruck bedrohlich absackt: Notfallkategorie Rot! Mehrere Ärzte und Schwestern kümmern sich parallel um den jungen Mann. Eine Sepsis vermuten die Mediziner, eine generalisierte Infektion. Die Situation ist kritisch.
    EKG nicht wie bei einem 35-Jährigen
    Andreas Jerrentrup:
    "Die sich dann noch weiter kritischer entwickelte, denn der Patient klagte über Luftnot. Dann wurde die übliche Diagnostik bei Luftnot gemacht, sprich EKG geschrieben, entsprechende Analysen der Blutgase, der Sauerstoffwert im Blut, gemacht und dann fiel auf, dass das EKG nicht normal war, wie zu erwarten gewesen wäre bei einem 35-jährigen Patienten, sondern Zeichen eines akuten Herzinfarktes plötzlich zeigte."
    Diffuse Schmerzen im Bauchraum und ein winziger Harnleiterstein enden binnen weniger Stunden in einem Herzinfarkt – das Leben des Patienten steht auf Messers Schneide.
    Professor Stephan Baldus, Direktor des Herzzentrums am Universitätsklinikum Köln:
    "Beim typischen Herzinfarkt liegt eine Herzkranzgefäßerkrankung, eine Arteriosklerose vor, und ein Plack im Herzkranzgefäß reißt auf. Auf diesen aufgerissenen Plack setzt sich dann ein Blutgerinnsel und das Gefäß ist verstopft."
    Natürlich behandeln die Marburger Mediziner den Patienten nach allen Regeln der Kunst, aber irgendetwas stimmt nicht, passt nicht ins Bild eines typischen Herzinfarkts. Andreas Jerrentrup stabilisiert zunächst Puls und Blutdruck des Maklers – und wartet ab. Dabei stand die Lösung des seltsamen Falls nur wenige Meter entfernt im Foyer der Klinik. Freunde aus Frankfurt sind gekommen, ebenfalls smarte Börsenprofis.
    Andreas Jerrentrup:
    "Und zwar haben die dann erzählt, was in den Kreisen vielleicht nicht ganz unüblich ist, dass der Patient doch relativ regelmäßig zum Drogen- sprich zum Kokainkonsum geneigt hat."
    Wie Kokain das Infarktrisiko erhöht
    Stephan Baldus:
    "Durch die Einnahme von Kokain kommt es zu einer Stimulation des Nervensystems und es kommt zur Freisetzung von Hormonen, von Transmittern, wie wir das nennen, die dazu führen, dass zum einen das Herz überaktiviert wird, schneller schlägt, der Blutdruck steigt, zum anderen die Herzkranzgefäße sich eng stellen, der Blutfluss durch die Herzkranzgefäße damit verringert ist, obwohl das Herz einen größeren Bedarf an Blut eigentlich hat. Und zum dritten kommt es dazu, dass unter Kokain die Aktivierung der Blutplättchen, die zu Blutgerinnseln führen, erhöht ist, was letztendlich in Kombination dazu führt, dass der Blutfluss in den Kranzgefäßen reduziert wird zu einem Maße und so extrem, dass es zu um Infarkt kommen kann."
    Drei Wochen liegt der 35-jährige im Uniklinikum Marburg, den Infarkt übersteht er glimpflich.
    Andreas Jerrentrup:
    "Zunächst gibt es meistens deutliche Verbesserungen in einigen Tagen, sodass der Patient soweit wieder stabil ist, dass er von der Beatmung genommen werden kann und irgendwann nicht mehr auf der Intensivstation liegen muss. Aber bis die volle Belastungsfähigkeit wieder hergestellt ist, das dauert tatsächlich Monate."
    Ein Besuch beim Drogenberater wird dem Börsenmakler aus Frankfurt am Main dringend empfohlen.