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"Drogenszene finanziert auch den Terrorismus"

Die Bundeswehr in Afghanistan soll nach den Worten von Verteidigungsminister Franz Josef Jung künftig stärker bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität eingesetzt werden. Die Drogenszene finanziere auch den Terrorismus, sagte der CDU-Politiker. Er habe den Eindruck, dass manche Anschläge gegen Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan dort ihren Hintergrund hätten.

Franz Josef Jung im Gespräch mit Rolf Clement | 21.09.2008
    Rolf Clement: Herr Minister Jung, die sicherheitspolitische Diskussion in Europa, in der Welt, hat in den letzten Monaten ja drastisch zugenommen, hat neue Themen bekommen. Georgien ist eines davon, Afghanistan diskutieren wir vor allen Dingen hier in Deutschland sehr im Vorfeld der Entscheidung des Deutschen Bundestages, der Wahlkampf spielt immer noch eine Rolle. Es ist eine Fülle von Themen, über die man sich unterhalten kann. Wenn man mal eines davon herausgreift, gerade mit der Bundestagsentscheidung für Afghanistan: Können Sie sich ein Szenario vorstellen, bei dem man sagt: Nun haben wir unser Ziel dort erreicht, nun können wir auch gehen?

    Franz Josef Jung: Also ich denke, zunächst einmal muss man deutlich machen, dass wir in Afghanistan engagiert sind, um dort Sicherheit und friedliche Entwicklung zu gewährleisten, aber - und das ist mir ein ganz wichtiger Punkt - auch im Interesse der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Denn von Afghanistan sind die Terroranschläge in New York und Washington ausgegangen. Afghanistan war das Ausbildungszentrum für den Terrorismus. Und wir leben nicht auf einer Insel der Glückseligen, wir haben die Bedrohungslage durch den internationalen Terrorismus, und deshalb ist der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan auch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Und das ist, denke ich, schon ein ganz wichtiger Punkt. Zweitens: Die Frage der Zielorientierung oder des Erreichens eines Erfolges hängt aus meiner Sicht damit zusammen, das umzusetzen, was wir auf dem NATO-Gipfel in Bukarest auch konkret beschlossen haben, nämlich die Gesamtstrategie. Das heißt, dass wir den umfassenden Ansatz, sowohl militärische Sicherheit, aber auch Entwicklung und Wiederaufbau für Gesamtafghanistan vorantreiben, und dass wir zweitens erreichen, dass Afghanistan selbst in der Lage ist, in Zukunft für seine Sicherheit zu sorgen. Das bedeutet ausgebildete Streitkräfte, das bedeutet ausgebildete Polizei. Und wenn wir das erreicht haben, dann kann man auch darüber diskutieren, dass wir hier unsere Erfolgsstrategie umgesetzt haben. Aber das bedarf noch etwas Zeit.

    Clement: Wie weit sind wir denn auf diesem Weg?

    Jung: Also meine Einschätzung ist heute, dass wir gut ausgebildete afghanische Soldaten rund 35.000 haben, es gibt den Wunsch von afghanischer Seite, 122.000 auszubilden. Wir haben nominal natürlich mehr, da werden immer Zahlen von 60.000 gehandelt, aber es geht darum, dass sie auch wirklich in der Lage sind, voll die Aufgaben der Sicherheitsgewährleistung zu erfüllen, wie das beispielsweise unsere Soldaten auch können. Und zweitens - im Rahmen der Polizeiausbildung: Hier müssen wir noch ein Stück weiter vorankommen, hier haben wir ja auch weitere Akzente gesetzt. Auch dort ist eine derartige Zahl im Blick, aber ich habe den Eindruck, dass wir in der Ausbildung der afghanischen Streitkräfte schon weiter vorangekommen sind als bei der Polizei. Aber beides gehört zusammen, und deshalb ist es auch richtig aus meiner Sicht, dass wir unsere Anstrengungen hier verstärken. Wir wollen ja im nächsten Jahr 7.500 afghanische Soldaten ausbilden. Auch im Rahmen der Polizeiausbildung haben wir hier Verstärkungen vorgenommen, so dass ich hoffe und wünsche, dass wir auf diesem Weg, dieses Ziel zu erreichen, auch hier jetzt weiter vorankommen.

    Clement: Der afghanische Außenminister Spanta war neulich in Berlin und hat auf einer Konferenz davon gesprochen, dass sie auch viele Fehler gemacht hätten in Afghanistan, unter anderem, dass sie die Warlords, die Drogenbarone, nicht entmachtet hätten. Das hat ja auch damit zu tun, dass die teilweise inzwischen demokratische Mandate haben. Was kann man denn dagegen tun, dass dieses so bleibt? Was muss geschehen, dass man in Afghanistan von der Zentralregierung aus das Land in Griff bekommen wird?

    Jung: Ich denke, eines ist schon richtig: Wir haben auf der Konferenz in London, als wir den Afghanistan compact, also sprich die Zielorientierung - wie können wir Afghanistan stabil und friedlich gestalten - beschlossen haben, drei Komponenten festgelegt: Einmal security, also militärische Sicherheit, zweitens economic development, also ökonomische Entwicklung, Wohlstand, und drittens good gouvernance, also gute Regierungsführung. Und das ist ein Punkt, der noch effektiver umgesetzt werden muss. Die Frage von Korruption, die Frage von Warlords bis zu den Verbindungen zur Drogenszene sind ein Punkt, den wir kritisch beurteilen. Das hat ja auch im Rahmen der Pariser Konferenz zu recht, wie ich finde, eine Rolle gespielt, auch im Gespräch mit Präsident Karsai. Ich habe, als ich jetzt gerade in Afghanistan war, auch mit Präsident Karsai darüber noch einmal gesprochen, weil aus meiner Sicht dort noch effektiver auch von Seiten der Regierung vorgegangen werden muss. Wir haben ja vor, noch einmal deutlich zu machen, dass wir auch die afghanische Seite, also sprich die afghanischen Streitkräfte, unterstützen wollen in der Bekämpfung der Drogenszene, denn die Drogenszene finanziert auch den Terrorismus. Und ich habe den Eindruck, auch der eine oder andere Anschlag, der gegen die Bundeswehr durchgeführt worden ist, dass er auch dort seinen Hintergrund hat. Deshalb ist es in unserem Interesse, dass wir auch in dem Punkt weiter vorankommen, aber das bedarf auch hier des weiteren Engagements und des noch stärkeren Engagements der afghanischen Regierung. Und wenn der Außenminister dies selbst als kritisch bewertet hat und damit aber auch signalisiert hat, dass es notwendig ist, hier noch effektiver vorzugehen, dann kann ich das nur unterstützen.

    Clement: Herr Minister, bei der Mandatsdiskussion wird in Deutschland ja unterschieden zwischen dem reinen ISAF-Mandat und dem OEF-Mandat, das wieder die Landkomponente von Afghanistan hat und die Seekomponente für das Horn von Afrika. Nun liest man, dass die Kommandospezialkräfte zum Beispiel eigentlich gar nicht gebraucht werden, da gab es in dieser Woche Medienberichte darüber. Können Sie sich vorstellen, dass bei den OEF-Mandatsverlängerungen Afghanistan - die Landkomponente - zunächst mal rausgenommen wird, weil man die Leute da eh nicht mehr braucht im Moment?

    Jung: Also, wie Ihnen bekannt ist, sagen wir in der Öffentlichkeit nichts zum Einsatz unserer Spezialkräfte, auch im Interesse des Schutzes unserer Soldaten. Wir haben diese beiden Mandate, wir haben auch immer darauf geachtet, dass die beiden Mandate getrennt sind. Das halte ich auch vom Grundsatz her für richtig, auch im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen. Schwerpunkt unseres Mandates OEF ist allerdings der Einsatz am Horn von Afrika - Dschibuti Terrorismusbekämpfung. Hier sind wir ja auch mit einer Fregatte engagiert gewesen, jetzt mit dem Aufklärungsflugzeug. Und konkret Operation Active Endeavour im Mittelmeer zur Herstellung von Seesicherheit. Und wenn ich zur Zeit die Entwicklung dort sehe, denke ich, es ist auch ein ganz wichtiger Punkt, dass wir uns hier weiter engagieren, also auch von daher unsere Verantwortung im Rahmen von OEF auch in Zukunft weiterhin haben werden.

    Clement: Nun haben Sie aber die Landkomponente von Afghanistan selbst auch nicht erwähnt.

    Jung: Ich denke, dass wir hier in einer Gesamtverantwortung stehen. Es ist natürlich eine unterschiedliche Entwicklung, was OEF anbetrifft vom Auftrag her. Es gibt ja auch den einen oder anderen, der darüber diskutiert, ob das gegebenenfalls zusammengelegt werden soll. Ich bin und bleibe der Auffassung, dass es besser ist - auch von der Aufgabenstruktur -, dies zu trennen und das auch in Zukunft getrennt zu halten.

    Clement: Diskutiert wird ja auch immer wieder über die Frage der Opfer bei Einsätzen. Sie haben gesagt, Krieg sei das nicht, weil die Deutschen mit Krieg auch etwas anderes verbinden würden. Aber ist es nicht so, dass man manchmal doch etwas stärker betonen muss, dass es kein Einsatz nur zum Brunnenbauen ist?

    Jung: Also ich denke, das sind zwei Aspekte, die man sehr deutlich unterscheiden muss. Erstens: Ich erachte diese Diskussion "Krieg" für wenig zielführend und eigentlich für eher belastend im Hinblick auf die Unterstützung unserer Soldatinnen und Soldaten, denn die deutsche Bevölkerung empfindet Krieg als etwas anderes. Es haben zu viele Bürgerinnen und Bürger den Krieg noch erlebt - das sind zerbombte Städte, das ist alles, was dort im Zusammenhang steht, auch rein nur militärisch. Und in Afghanistan setzen wir eine Strategie um, die eben sagt: Allein militärisch werden wir es nicht gewinnen, wir müssen militärische Sicherheit, aber auch den zivilen Wiederaufbau vorantreiben. Und deshalb ist es auch richtig, dass nicht nur unsere Soldaten als Brunnenbauer unterwegs sind, wobei ich immer eines sagen will: Ich möchte diesem Negativ-Touch auch hier entgegentreten, denn es ist einfach auch wichtig, dass unsere Soldaten im Norden Afghanistans über 800 Projekte umgesetzt haben. Dazu gehört auch Wasserversorgung, also auch Brunnenbau, dazu gehört Elektrizitätsversorgung, dazu gehört Straßenbau, Kindergärten, Schulen bis hin zu Krankenhäusern. Aber es kommt auch hinzu, dass natürlich unser Auftrag ist, auch ein sicheres Umfeld zu gewährleisten. Und wenn es dort kritische Situationen gibt, dann müssen unsere Soldaten dort auch kämpfen. Das heißt, es sind die vier Komponenten, die zu berücksichtigen sind: Einmal Schutz, Schutz der Bevölkerung, zweitens konkrete Hilfe, beispielsweise jetzt, wo wir uns schon Gedanken machen, wenn es eine Umweltsituation gibt im Winter, dass wir dort die Versorgung der Bevölkerung herstellen wollen. Dann "Vermitteln", das heißt Zugehen auf die afghanische Bevölkerung, auch im Gespräch deutlich machen, dass wir als Unterstützer hier sind, aber auch kämpfen, kämpfen gegen den Terrorismus. Und wir sind ja gerade in letzter Zeit durch den einen oder anderen Anschlag auch herausgefordert worden, auch durch den entsprechenden Beschuss unserer Soldaten, wo sie sich auch zu recht zur Wehr gesetzt haben. Also auch diese Komponente gehört dazu. Und deshalb ist das ein umfangreicher Stabilisierungseinsatz, der die helfende und schützende Funktion hat, der aber auch die Kampffunktion im Blickfeld hat.

    Clement: Die Bundeswehr ist ja auch noch beteiligt an dem Einsatz im Kosovo. Da hört man eigentlich zur Zeit relativ wenig von. Das ist ja zunächst mal ein gutes Zeichen. Wie stellt sich Ihnen die Lage dort im Moment dar?

    Jung: Also zur Zeit ist die Lage dort stabil. Allerdings muss man sagen, dass wir, die wir ja das stärkste Truppenkontingent stellen im Rahmen der NATO-Mission KFOR, dass wir auch mit die Voraussetzungen geschaffen haben, dass es stabil ist. Denn wenn nicht KFOR eingegriffen hätte, als die Auseinandersetzungen um das Justizgebäude dort stattfanden oder bei den Grenzsituationen, wäre die Lage nicht befriedet worden. Und deshalb war es notwendig und richtig, dass wir auch weiterhin hier KFOR aufrecht erhalten. Wir sind jetzt dabei, auch mit dafür zu sorgen, dass es eine Möglichkeit gibt, dass der Kosovo auch selbst Sicherheit gewährleistet, das heißt der Aufbau einer Kosovo-Security-Force, um letztlich mit dazu beizutragen, dass dann auch einmal ein Auftrag als erfüllt angesehen werden kann. Zur Zeit ist es noch so, dass die Lage noch den entsprechenden Einsatz erfordert. Aber wenn die Dinge sich weiterhin positiv entwickeln - das hängt auch damit zusammen mit dem Aufwuchs der EULEX-Mission, EULEX heißt Polizisten und Justiz für den Kosovo -, dass man dann einmal über die Frage eines stufenweisen Reduzierungsprozesses gesprochen werden kann.

    Clement: Aber zeitliche Dimensionen können Sie dazu noch nicht sagen?

    Jung: Das kann ich noch nicht sagen, weil wir natürlich eines nicht wollen, dass das, was wir bisher gewährleisten, dass wir das aufs Spiel setzen. Und deshalb kommt es auf die Lage, auf die konkrete Sicherheitslage an, wann ein solcher Schritt eingeleitet werden kann.

    Clement: Ganz still geworden ist es um den Einsatz in Bosnien. Ist das nicht nur noch Polizeieinsatz? Kann da die Bundeswehr nicht langsam raus?

    Jung: Wir haben ja in Bosnien eine erhebliche Reduzierung vorgenommen. Wir haben nur diesen Reduzierungsprozess dann gestoppt, als es um die Frage Stabilität und Entwicklung im Kosovo ging und eventuell Rückwirkung in Bosnien-Herzegowina. Wir haben ja das Feldlager Rajlovac auch schon abgegeben. Aber auch hier ist es so, es hat sich ein Stück verzögert was Polizeireform anbetrifft. Jetzt die Entwicklung des gemeinsamen Assoziierungsabkommens, das ein Schritt in die richtige Richtung weist, so dass auch, wenn sich die Lage hier weiter als stabil erweist, wir dann auch diesen Reduzierungsprozess fortsetzen können. Aber noch einmal: Es kommt auf die gesamte Sicherheitslage auf dem Balkan an, um dann auch die nächsten Schritte gehen zu können.

    Clement: Also da ist auch noch nicht daran zu denken, dass das kleine Kontingent . . .

    Jung: Es ist ja nur ein kleines Kontingent von rund 120 Soldaten.

    Clement: Herr Minister, seit August diskutieren wir über Georgien, über die Frage, wie sieht die europäische Sicherheit mit einem veränderten strategischen Ansatz Russlands aus. Muss die NATO nicht die eigene Strategie auch ein bisschen überdenken, etwas anpassen, anders gewichten, als das bisher der Fall war? Russlands Präsident Medwedew sprach mal davon, dass der Einmarsch in Georgien für Russland so etwas gewesen wäre wie der 11. September, also auf deutsch den Beginn eines neuen strategischen Denkens, denn das war ja damals der 11. September für den Westen. Ist so etwas notwendig? Sehen Sie das ähnlich, ich sage mal, dramatisch von den Auswirkungen her?

    Jung: Ich stimme einer derartigen Analyse nicht zu. Die NATO hat sich bisher aufgestellt, Russland nicht mehr als Bedrohung anzusehen, sondern als Partnerschaft. Wir haben ja zusammen gewirkt, auch beispielsweise in Operationen "Operation Active Endeavour", also sprich eine Artikel 5-Bündnisfall-Operation, wo Russland mitgewirkt hat. Dies ist jetzt durch Georgien unterbrochen. Sie wissen auch, dass beim NATO-Russland-Rat hier der Dialog unterbrochen worden ist. Ich halte es für richtig, dass, wenn Russland - und davon gehe ich aus - seine Zusagen jetzt einhält, bis Mitte Oktober dann auch seine Kräfte aus dem georgischen Gebiet zurückzuziehen und den 6-Punkte-Plan umzusetzen, dass wir auch den Dialog wieder aufnehmen, dass wir gemeinsame Anstrengungen unternehmen, auch hier wieder in einen sicherheitspolitischen Dialog einzutreten. Denn wir haben auch gemeinsame Sicherheitsinteressen mit Russland . Das darf man dabei nicht aus den Augen verlieren. Wenn ich beispielsweise an das Thema atomare Bewaffnung des Iran denke, dann ist es klug und richtig, wenn dabei nicht nur die Vereinigten Staaten von Amerika, nicht nur Europa, sondern Russland und China mitwirken. Ich habe gerade in den Gesprächen, die ich mit meinem chinesischen Kollegen führen konnte, doch auch diesbezüglich Unterstützung erfahren. Und deshalb halte ich es für notwendig, dass wir auch wieder in den Dialog kommen mit Russland und dass möglichst die Situation in Georgien auf eine stabile und friedliche Grundlage wieder zurück geführt wird.

    Clement: Russland, so war dieser Tage zu lesen, hat seinen Verteidigungshaushalt für nächstes Jahr um 27 Prozent erhöht. Das ist doch ein Signal. Das ist auch ein politisches Signal, wenn der Verteidigungshaushalt so hoch gefahren wird. Befürchten Sie nicht, dass Georgien eben nicht doch mehr ist als ein Einzelfall, nicht doch eine veränderte Strategie Russlands?

    Jung: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, dass Russland wieder auf eine Position kommen will, wie es damals Präsident Putin formuliert hat: Auge in Auge mit anderen Mächten dieser Welt, und dass Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in der gesamten Entwicklung jetzt wieder ein Stück weiter voran kommen will. Man muss alles ein bisschen relativieren. Wenn man die Dimension und die Größe Russlands sich anschaut und dann sieht, dass der Verteidigungsetat trotz dieser Steigerung dann doppelt so groß ist wie unser Etat, dann relativieren sich die Dinge etwas. Ich denke, dass wir klug beraten sind, jetzt nicht eine Diskussion zu führen, die wir überwunden haben. Wir wollen nicht wieder zurück in die Zeiten des Kalten Krieges. Ich denke, dass es richtig ist, dass wir hier - allerdings unter der Voraussetzung, dass Russland seine Zusagen einhält, den 6-Punkte-Plan nach oben setzt und die Truppen auch zurück zieht - dass wir dann auch wieder in den Dialog eintreten sollten. Das, finde ich, ist auch die richtige Strategie der NATO.

    Clement: Es gibt ja nun einige kleine NATO-Länder, die baltischen Staaten, aber auch Polen, wobei das kein kleines NATO-Land ist, aber das mit in diese Kategorie gehört, die Befürchtungen haben wegen dieser russischen Politik und die auch entsprechende Reaktionen in der Streitkräfteplanung der NATO und in den entsprechenden Planungen der NATO vorgeschlagen haben. Wie beruhigen Sie diese, ihre Partner, in diesem Gebiet?

    Jung: Ich kann sehr gut verstehen, dass Länder wie beispielsweise die baltischen Staaten, aber auch Polen, die in einer ganz anderen Betroffenheit auch noch unmittelbar - das liegt ja alles, wenn Sie so wollen, noch kaum 20 Jahre zurück - sich in einer anderen Sensibilität befinden als wir. Und deshalb ist es, glaube ich, trotzdem richtig, dass wir erstens in unserer gesamten NATO-Strategie eine gemeinsame Strategie entwickeln, und dass wir zweitens auch nicht in einen Eskalationsprozess kommen, der hier letztlich unsere gemeinsamen Sicherheitsinteressen nicht mehr im Blick hat. Und deshalb glaube ich, dass man auch im Hinblick auf die Frage der Ursache - da ist ja der Vorschlag, dass eine neutrale Kommission das noch mal untersuchen soll, auch im Hinblick auf Georgien - dass man hier die Dinge ein Stück weit relativieren muss. Die Sensibilität, dafür habe ich Verständnis. Dafür leisten wir aber auch unseren Beitrag. Wenn ich beispielsweise an unsere Mission Air Policing denke, wo wir unmittelbar für das Baltikum im Rahmen unserer NATO-Verpflichtungen engagiert sind. Also, von daher denke ich ist die Solidarität in der NATO richtig und notwendig. Ich kann die Sensibilität dieser Nationen verstehen, aber ich glaube, es ist trotzdem klug, wenn wir das, was wir in der NATO als "comprehensive guidelines" bezeichnet haben, also sprich, die gemeinsame Strategie, die wir hier entwickelt haben, die uns auch auf die neuen Bedrohungslagen ausrichtet, dass wir das auch in Zukunft so weiter fortsetzen.

    Clement: Wie beurteilen Sie denn vor dem Hintergrund dessen, was abgelaufen ist, auch der Sensibilitäten, über die wir gerade gesprochen haben, die Möglichkeit, weitere Erweiterungsschritte bei der NATO jetzt anzudenken? Der Dezember ist ja Stichtag, wo man noch mal über Georgien und die Ukraine nachdenken will. Das hat sich ja nun ein bisschen verändert, diese Sachlage.

    Jung: Also, ich halte es für richtig, dass wir weiterhin eine Politik der offenen Tür im Rahmen der NATO verfolgen. Konkret: Wir nehmen jetzt Kroatien und Albanien auf. Ich bedaure, dass bisher aus dieser Namensfrage im Hinblick auf Mazedonien wir dort noch nicht diesen Schritt tun können. Ich hoffe, dass es dort auch noch eine Verständigung gibt, denn auch Mazedonien hat die Voraussetzungen erfüllt. Wir haben anderen Nationen angeboten, beispielsweise in das Partnerprogramm Partnership for Peace hier sich mit zu engagieren. Dazu gehört beispielsweise auch Bosnien-Herzegowina. Aber die Frage Ukraine und Georgien ist aus meiner Sicht so zu beurteilen, wie wir es auf dem NATO-Gipfel in Bukarest auch beschlossen haben: Eine klare Perspektive für die Ukraine und Georgien für die NATO, aber die konkrete Beurteilung, wie der Fortschrittsprozess sich in diesen Ländern entwickelt, um die nächste Stufe zu erreichen, denn sie haben ja die erste Stufe bereits gewährt bekommen, das heißt den intensivierten Dialog. Es geht jetzt um die nächste Stufe, um diesen Membership-Action-Plan, und dann käme nachher die Aufnahme in die NATO. Und die Außenminister sollen im Rahmen ihrer Konferenz im Dezember genau diese Frage prüfen, hat der Forschritt sich schon so weit vollzogen, dass ein nächster Schritt erfolgen kann oder ist das noch nicht der Fall. Natürlich sind die Entwicklungen zur Zeit in Georgien, aber auch die Entwicklungen in der Ukraine, Punkte, die diese Fortschrittsentwicklung noch als kritisch bewerten lassen.

    Clement: Herr Minister, noch zu einem anderen innenpolitischen Thema: Nächste Woche findet in Berlin ein Forum Wehrpflicht statt, bei dem Sie auch sprechen werden. Sie gelten als Befürworter der Wehrpflicht. Es ist ein bisschen ruhig geworden um das Thema, was sicherlich für die Wehrpflicht erst mal eine Verschnaufpause gebracht hat. Gibt es nicht die eine oder andere Reform, die man trotzdem anstoßen muss, um die Akzeptanz der Wehrpflicht in der Öffentlichkeit, auch in der Truppe noch zu erhöhen?

    Jung: Eins stelle ich mit einer gewissen Zufriedenheit fest, dass ich sehe, eine Untersuchung unseres sozialwissenschaftlichen Instituts, wo deutlich wird, dass jetzt, glaube ich, 62 Prozent der Bevölkerung die Wehrpflicht wieder bejahen. Es gab ja schon mal völlig andere Zahlen. Aber ein wichtiger Punkt ist auch, dass die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, dass es gerecht bei uns zugeht. Das heißt konkret auch das Thema der Einberufungsgerechtigkeit. Das war ja auch der Grund, weshalb ich 6500 Wehrpflichtige mehr einberufen habe, um letztlich so in etwa bei 80 Prozent derjenigen, die tauglich sind und auch hier Wehrpflicht ableisten können, dann einberufen zu können. Das wird sich durch die demografische Entwicklung etwas verschieben, aber wir sollten auf jeden Fall weiterhin die 80 Prozent im Blick haben, gegebenenfalls auch mehr, so dass auch diesem Kriterium Rechnung zu tragen ist. Es kommt ein zweites hinzu, dass gerade auch durch die Unterstützung für den Einsatz sie eine wichtige Aufgabe erfüllen und im Zusammenhang mit unserer Aufgabe Schutz Deutschlands hier die Wehrpflichtigen natürlich auch einen ganz wichtigen sicherheitspolitischen Auftrag haben. Beispielsweise bei Katastrophen, ich denke nur mal an das Hochwasser der Elbe und andere Dinge, wo die Wehrpflichtigen natürlich unmittelbar auch mitgeholfen haben, so dass von daher, denke ich, wir auch weiterhin erstens gut beraten sind, wenn wir an der Wehrpflicht festhalten. Sie hat sich bewährt. Die Bundeswehr hat sich als Wehrpflichtarmee gut entwickelt. Aber zweitens werden wir auch von unseren sicherheitspolitischen Aufgaben her die Wehrpflichtigen auch in Zukunft brauchen.

    Clement: Es gibt so konkrete Vorschläge, zum Beispiel die Frage, kriegt ein Grundwehrdienstleistender am Ende seiner Dienstzeit das auch bescheinigt, was er bei der Bundeswehr gemacht hat, und zwar so bescheinigt, dass er es zivil verwerten kann. Kann man da nicht zum Beispiel Verbesserungen in so kleine Schritten herbeiführen, die dann die Wehrpflicht attraktiver machen für die Betroffenen?

    Jung: Also, auch das sind Punkte, die dazu gehören. Wir haben ja schon gewisse Bewertungsmöglichkeiten, die auch hier eine Rolle spielen. Das geht ja bis zu dem Thema, dass sie beispielsweise für die Hochschule, wenn sie dort studieren, einen Bonus bekommen, wenn es entsprechende Zugangsvoraussetzungen gibt. Ich weiß auch von vielen Unternehmen, die immer noch darauf schauen, ob jemand Wehrpflicht abgeleistet hat oder nicht abgeleistet hat, wenn sie einzustellen sind. Also, es gibt aber auch Bewertungskriterien, auch Fähigkeiten, die wir jetzt fortentwickeln, um hier zusätzlich, wenn ich so sagen darf, die Attraktivität der Wehrpflicht zu steigern.

    Clement: Herr Minister, Sie sind in der Außen- und Sicherheitspolitik tätig. Sie sind CDU-Politiker. Sie arbeiten mit dem Außenminister zusammen, müssen mit ihm zusammen arbeiten. Der ist nun Kanzlerkandidat der SPD. Verändert das Ihre Zusammenarbeit? Befürchten Sie, dass Sie im nächsten Jahr vielleicht etwas weniger gut zusammen arbeiten können, weil sich der Kanzlerkandidat anders profilieren muss in der Öffentlichkeit?

    Jung: Ich hoffe, dass das nicht der Fall ist, denn ich denke, dass wir eine gemeinsame Verantwortung haben für die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Und die sollte man aus parteipolitischen Kämpfen heraus halten. Und ich muss sagen, ich kann aus meiner sicht die Zusammenarbeit nur als sehr gut bezeichnen, die auf einer vertrauensvollen, guten Grundlage erfolgt. Das war schon einmal anders in anderen Regierungen. Aber ich hoffe nicht, dass letztlich nachher Wahlauseinandersetzungen hier zu Veränderungen führen. Ich will auf jeden Fall meinen Beitrag leisten, dass wir im Interesse Deutschlands eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik auch in Zukunft gemeinsam vertreten.